November 2015 Blog

Krankheitsbedingte Kündigung ohne betriebliches Eingliederungsmanagement – möglich, aber riskant

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in den letzten Jahren zu den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung ist vielfach in der Praxis der Eindruck entstanden, dass ohne vorherige Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements („BEM“) eine krankheitsbedingte Kündigung per se unwirksam ist. Diesem Eindruck sind nun zwei kürzlich ergangene Urteile entgegengetreten.

Dabei haben das Landesarbeitsgericht Hessen und das Arbeitsgericht Berlin in zwei Urteilen die Anforderungen, die an den Arbeitgeber im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung ohne vorherige Durchführung eines BEM im Kündigungsschutzprozess gestellt werden, präzisiert.

Die Entscheidung des LAG Hessen

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung festgehalten, dass der Arbeitgeber - wenn kein BEM vor Ausspruch der Kündigung durchgeführt wurde - in dem Kündigungsschutzprozess umfassend und konkret darlegen muss:

  • warum der Arbeitnehmer auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden kann,
  • warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung der Arbeitsbedingungen ausgeschlossen ist,
  • warum der Arbeitnehmer nicht auf einem alternativen anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann und
  • dass künftige Fehlzeiten durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger nicht in relevanten Umfang hätten vermieden werden können.

Das Landesarbeitsgericht machte in seiner rechtskräftigen Entscheidung zwar deutlich, dass eine krankheitsbedingte Kündigung unverhältnismäßig und damit unwirksam ist, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden könne, wies aber zugleich darauf hin, dass die Durchführung eines BEM kein solches milderes Mittel gegenüber einer ordentlichen Kündigung ist. Allerdings könne die Durchführung eines BEM helfen, mildere Mittel, z. Bsp. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Erkenntnisse über einen anderen Arbeitsplatz, zu finden und zu entwickeln. Verzichtet der Arbeitgeber auf das gesetzliche vorgegebene BEM, beeinflusst dies daher die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess.

In dem konkret entschiedenen Fall konnte der Arbeitgeber durch ein vor Ausspruch der Kündigung eingeholtes betriebsärztliches Gutachten, das von einem vom Arbeitsgericht eingeholten Gutachten bestätigt und zudem von einem vom Landesarbeitsgericht eingeholten Gutachten ergänzt wurde, darlegen und nachweisen, dass dauerhaft eine Tätigkeit auf dem bisherigen Arbeitsplatz und auf anderen Arbeitsplätzen in dem Betrieb ausscheidet und auch künftige Fehlzeiten durch gesetzliche vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger nicht hätten vermieden werden können.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin

Das Arbeitsgericht Berlin hatte in seiner Entscheidung ebenfalls hervorgehoben, dass nicht schon allein wegen des fehlenden BEM eine krankheitsbedingte Kündigung als unwirksam zu erachten ist, sondern den Arbeitgeber dann umfassende Darlegungs- und Nachweislasten hinsichtlich des Unvermögens, dem Arbeitnehmer noch eine Zukunftsperspektive im betrieblichen Geschehen bieten zu können, treffen.

Anders als in dem vom Hessischen Landesarbeitsgericht entschiedenen Fall, genügte der Vortrag des Arbeitgebers in dem von dem Arbeitsgericht Berlin verhandelten Fall hierzu jedoch nicht. Der Arbeitgeber holte vor dem Ausspruch der streitbefangenen Kündigung kein ärztliches Gutachten über die gesundheitlichen und betrieblichen Perspektiven des Klägers ein, obwohl externer Sachverstand in dieser Hinsicht heute unschwer erreichbar ist, wie das Arbeitsgericht Berlin in seinen Entscheidungsgründen hervorhob. Zusätzlich warf das Arbeitsgericht dem Arbeitgeber vor, vor Ausspruch der Kündigung nicht – wie von dem BEM gefordert – das Gespräch „miteinander“ gesucht zu haben, was nunmehr in dem Prozess nicht durch ein Gespräch „übereinander“ ersetzt werden könne.

Praxishinweis

Auch nach den Entscheidungen des Hessischen Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts Berlin bleibt es dabei, dass Arbeitgebern vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung dringend anzuraten ist, ein BEM durchzuführen. Sofern hierauf verzichtet wird, muss zumindest durch ein vor Ausspruch der Kündigung eingeholtes ärztliches Gutachten nachweisbar sein, dass der Arbeitnehmer dauerhaft weder an seinem bisherigen Arbeitsplatz noch an einem anderen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens eingesetzt werden kann und künftige Fehlzeiten durch Maßnahmen der Rehabilitationsträger nicht vermieden werden können.

(LAG Hessen, Urteil vom 03. August 2015 (16 Sa 1378/14)

(Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 16.01.2015 - 28 Ca 9065/15)

Anja Dombrowsky, Rechtsanwältin, Frankfurt am Main

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