November 2016 Blog

Personalgespräch am Arbeitsplatz trotz Arbeitsunfähigkeit: „Should I stay or should I go?“

Das Weisungsrecht nach § 106 Gewerbeordnung (GewO) erlaubt es dem Arbeitgeber, die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers zu konkretisieren. Darunter fällt auch das Recht, Personalgespräche mit dem Arbeitnehmer zu führen, die beispielsweise die Qualität seiner Arbeitsleistung zum Gegenstand haben. Der Arbeitnehmer ist auf Grund seiner Arbeitspflicht grundsätzlich zur Teilnahme an solchen Gesprächen verpflichtet. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Urteil vom 02.11.2016, Az.: 10 AZR 596/15, inwieweit diese Pflicht auch während der Arbeitsunfähigkeit besteht.

Sachverhalt
Der Kläger, der zunächst als Krankenpfleger und zuletzt als medizinischer Dokumentationsassistenz arbeitete, war von Ende November 2013 bis Mitte Februar 2014 krankheitsbedingt arbeitsunfähig. „Zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ lud die Beklagte den Kläger mit einem Schreiben zu einem Personalgespräch im Betrieb ein. Der Kläger sagte ab und verwies auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit. Mit einem zweiten Schreiben wurde der Kläger erneut zur Teilnahme an einem Personalgespräch aufgefordert. Gleichzeitig wies das Schreiben darauf hin, der Kläger habe gesundheitliche Hinderungsgründe durch Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachzuweisen. Unter erneutem Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nahm der Kläger auch an diesem Gespräch nicht teil. Dieses Verhalten mahnte die Beklagte ab. 

Entscheidung
Die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte hatte Erfolg. Laut Auffassung des BAG sei die Abmahnung zu Unrecht erfolgt.

Das Recht des Arbeitgebers ein Personalgespräch mit seinem Arbeitnehmer zu führen, beruhe nach Auffassung der Erfurter Richter auf seinem Weisungsrecht gemäß § 106 GewO. Sofern eine Pflicht zur Erbringung einer Arbeitsleistung bestehe, müsse der Arbeitnehmer an derartigen Gesprächen grundsätzlich teilnehmen. Ein erkrankter Arbeitnehmer ist während seiner Arbeitsunfähigkeit jedoch nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet. Daher bestehe auch keine Pflicht, der Einladung zum Personalgespräch im Betrieb Folge zu leisten. Der Arbeitgeber dürfe weder ein konkretisiertes Attest fordern, noch sei er zur Abmahnung des Arbeitnehmers befugt, weil sich dieser auf seine attestierte Arbeitsunfähigkeit berufe.

Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verbiete nach Ansicht des BAG jedoch kein generelles Kontaktverbot. Vielmehr dürfe der Arbeitgeber mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt treten, um mit ihm die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu besprechen. Dazu genüge dem Arbeitgeber bereits ein berechtigtes Interesse. Selbst dann bestehe für den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer jedoch keine Erscheinungspflicht im Betrieb, sofern dies nicht ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unerlässlich und der Arbeitnehmer gesundheitlich dazu in der Lage sei. Eine entsprechende Unerlässlichkeit konnte das BAG im vorliegenden Fall nicht erkennen. 

Praxishinweis:
Bisher war es in der Arbeitswelt eher unüblich, einen Mitarbeiter im Krankenstand zu kontaktieren. Dies könnte sich aber aufgrund der neuen Rechtsprechung des BAG ändern. Denn es wurde erstmals höchstrichterlich festgestellt, dass der Arbeitgeber bereits bei Vorliegen eines berechtigten Interesses die Möglichkeit hat, einen kranken Mitarbeiter wegen seiner Arbeitsunfähigkeit auf den Zahn zu fühlen. Relevant ist dies insbesondere für Fälle, in denen sich ein Mitarbeiter mit Krankschreibungen von Woche zu Woche hangelt, obwohl offensichtlich ist, dass die Krankheit länger dauert. Durch einen kurzen Anruf oder eine E-Mail des Arbeitgebers können solche Situationen jetzt aufgeklärt werden, was Planungssicherheit schafft. Im Regelfall wird das Planungserfordernis des Unternehmens aber keinen betrieblichen Belang darstellen, der dazu berechtigt, den kranken Mitarbeiter auch zu einem Personalgespräch im Betrieb aufzufordern.      

Anton Kastenmüller, Rechtsanwalt
München

Frei Becker, LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Frankfurt am Main 

Anmeldung zum GvW Newsletter

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!