Autobahnprojekt Ummeln – Neue Rügerechte nach WRRL?
Der EuGH hat am 20. Mai 2020 über ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, das die Auslegung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) im Fall einer Planfeststellung über einen Autobahnzubringer in Nordrhein-Westfalen betrifft. Klärungsbedürftig war, ob und inwieweit sich private Kläger in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf einen Verstoß gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot berufen können, wenn sie durch die Planfeststellung zwar nicht enteignet werden, aber von einer Verschlechterung des Grundwassers betroffen sind. Der EuGH hat diesen Klägern ein Rügerecht eingeräumt, damit aber die Rechtsschutzmöglichkeiten privater Kläger nicht erheblich erweitert. Denn diese bestehen nur unter den – vergleichsweise engen – Voraussetzungen unmittelbarer Betroffenheit.
I. Sachverhalt und Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
Der Landesbetrieb Straßenbau in Nordrhein-Westfalen plant seit 2010 den Neubau der A33/B 61 (Zubringer Ummeln) bei Bielefeld. Zur Zulassung des Vorhabens erließ die Bezirksregierung Detmold im Jahr 2016 einen Planfeststellungsbeschluss. Insgesamt 14 Anwohner und Landwirte entlang des 3,7 km langen Straßenabschnittes erhoben Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Kläger sind von dem Bau des Autobahnzubringers in unterschiedlicher Weise und Intensität betroffen. Neben der Enteignung von Grundeigentum, existenzgefährdenden Einschränkungen von Wirtschaftsbetrieben und Lärmbelastungen beanstanden die meisten Kläger die wasserrechtlichen Entscheidungen und Auswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses.
Gegenstand der Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH war unter anderem die Klage- und Rügebefugnis derjenigen Kläger, die Inhaber eines privaten Hausbrunnens zur Wasserversorgung sind und eine Gefährdung des Grundwassers durch versickernde Straßenabwässer und Überschwemmungen beanstanden. Denn nach bisheriger Rechtslage können nur Enteignungsbetroffene und Umweltverbände die gerichtliche Überprüfung eines Planfeststellungsbeschlusses im Hinblick auf eine Verschlechterung des Grundwassers rügen. Die Inhaber eines in der Nähe des Vorhabens gelegenen Hausbrunnens werden durch die Planfeststellung jedoch nicht enteignet, sondern sind potenziell in ihrer Nutzung des Grundwasserkörpers betroffen.
Das BVerwG hat dem EuGH daher in seinem Beschluss vom 25. April 2018 die Frage vorgelegt, ob Art. 4 WRRL – angesichts seiner verbindlichen Wirkung gemäß Art. 288 AEUV und der Garantie wirksamen Rechtsschutzes gemäß Art. 19 EUV – gebietet, dass vor den mitgliedstaatlichen Gerichten allen betroffenen Privatpersonen, die geltend machen, durch den Planfeststellungsbeschluss in ihren Rechten verletzt zu sein, eine Klage- und Rügebefugnis eingeräumt wird. Hilfsweise wird der EuGH um Entscheidung darüber ersucht, ob jedenfalls Personen zu einer gerichtlichen Beanstandung befugt sind, die in räumlicher Nähe zur geplanten Straßentrasse einen Hausbrunnen zur privaten Wasserversorgung unterhalten.
II. Urteil des EuGH
Entgegen der im Vorlagebeschluss geäußerten Auffassung des BVerwG entschied der EuGH in seinem Urteil vom 28. Mai 2020, dass auch nicht enteignungsbetroffene private Kläger befugt sind, sich auf eine Verletzung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele aus Art. 4 WRRL zu berufen, sofern sie unmittelbar von einer solchen Verletzung betroffen sind.
Die Entscheidung billigt ein Rügerecht aber nur denjenigen Klägern zu, deren Quellen sich aus einem von dem angegriffenen Vorhaben potentiell betroffenen Grundwasserkörper speisen. Die weitergehende Auffassung des Generalanwaltes, wonach auch die Nutzer des öffentlichen Wasserversorgungsnetzes, soweit dieses aus ggf. betroffenen Gewässerkörpern gespeist wird, auf die WRRL Bezug nehmen können, greift der EuGH nicht auf. Weiter einschränkend lässt das Gericht nicht jegliche, sondern nur eine berechtigte Nutzung des Gewässerkörpers ausreichen.
Bis in der Sache Ummeln eine Entscheidung des BVerwG ergeht, bleibt allerdings offen, ob dieses die weiteren vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen für nicht enteignungsbetroffene Kläger (in offensichtlichen Fällen) zukünftig als Frage der Klagebefugnis behandeln und damit in solchen Fällen insoweit (weiterhin) die Zulässigkeit der Klage verneinen wird. Alternativ kommt für den Bereich der WRRL in Betracht, ähnlich wie bei enteignungsbetroffenen Klägern nunmehr regelmäßig eine Klagebefugnis anzunehmen und die aufgeworfenen Fragen sodann im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu behandeln.
III. Reichweite der Entscheidung
Wenngleich mit diesem Urteil der Kreis der Personen erweitert wird, die sich dem Grunde nach auf die WRRL berufen können, geht mit der Entscheidung keine erhebliche Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten einher. Der EuGH stellt nämlich für die Rüge einer Verletzung des Art. 4 WRRL strenge Anforderungen an die tatsächliche Betroffenheit der Rechtsschutzsuchenden. Letztlich ermöglicht die Entscheidung nicht enteignungsbetroffenen Klägern also keinen „wasserrechtlichen Vollüberprüfungsanspruch“, sondern sieht lediglich in Art. 4 WRRL potentiell subjektive Rechte angelegt.
Eine Verallgemeinerung der vorgenommenen Erweiterung der Rügerechte im Sinne einer Übertragung auf andere Bereiche des Umweltrechts dürfte nicht ohne weiteres in Frage kommen. Dies liegt zunächst begründet in der Tatsache, dass eine „berechtigte Nutzung“ der jeweils in Rede stehenden Umweltressource (anders als hier für Wasser) oftmals bereits faktisch nicht denkbar erscheint. Der EuGH betont darüber hinaus zur Begründung seiner Auffassung den spezifischen Schutzzweck der WRRL, wonach das Grundwasser als Ressource für die menschliche Nutzung zu schützen sei.
Demnach wäre für ein zulässiges Berufen auf andere umweltrechtliche Normen stets eine ähnliche Stoßrichtung der jeweils in Rede stehenden Vorschrift vorauszusetzen, die regelmäßig nicht vorliegen dürfte.
BVerwG, Beschluss vom 25. April 2018 – 9 A 16.16, ZUR 2018, 615, 621 – Ummeln (A33); EuGH, Urteil vom 28. Mai 2020 – C-535/18 – Ummeln, NVwZ 2020, 1177, 1184; GA Hogan, Schlussantrag vom 12. November 2019, BeckRS 2019, 27452.
Niclas Langhans, Rechtsanwalt
Dr. Paolo Ramadori, LL.M. (UCL), Rechtsanwalt
beide Hamburg