BGH entscheidet erneut über Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung zu Lehman Brothers-Zertifikaten
Der Bundesgerichtshof hat mit einem Urteil vom 17. September 2013 erneut über Schadensersatzklagen von Anlegern gegen die anlageberatende Bank im Zusammenhang mit dem Erwerb von Zertifikaten der seit September 2008 insolventen Investmentbank Lehman Brothers bzw. deren Tochter- und Schwestergesellschaften entschieden.
Hintergrund
In den vergangenen Jahren hatten eine Vielzahl von Anlegern, denen Banken den Erwerb von Lehman Brothers-Zertifikaten empfohlen hatten, Schadensersatzklagen gegen die Banken erhoben. Neben der im Einzelfall zu klärenden Frage, ob der jeweilige Anlageberater den Anleger im Hinblick auf die mit den Zertifikaten verbundenen Anlagerisiken ordnungsgemäß aufgeklärt hatte, spielte dabei insbesondere die von den Klägern behauptete Pflicht der Banken zur Offenlegung ihres wirtschaftlichen Eigeninteresses beim Vertrieb der Zertifikate eine zentrale Rolle.
Der Bundesgerichtshof hatte ursprünglich am 19. Dezember 2006 im Zusammenhang mit einer Anlageberatung durch eine Bank zu Investmentfondsanteilen entschieden, dass die Bank den Anleger über Rückvergütungen (Kick backs) aufzuklären hat, die sie von der Fondsgesellschaft aus Zahlungen des Anlegers an die Fondsgesellschaft erhält, damit der Anleger das ihm sonst verborgen bleibende Eigeninteresse der Bank erkennen könne. Im Zusammenhang mit der Anlageberatung zu Lehman Brothers-Zertifikaten war somit zu klären, ob die Bank auch hier über ihren wirtschaftlichen Vorteil beim Verkauf der Zertifikate ungefragt aufzuklären hatte.
Mit Urteilen vom 27. September 2011 hatte der Bundesgerichtshof die Klagen von Anlegern abgewiesen und entschieden, dass eine Aufklärungspflicht über den Gewinn beim Verkauf von Zertifikaten an Bankkunden nicht bestehe, wenn es sich um ein Eigengeschäft der Bank mit dem Kunden handle. Bei einem solchen Kaufvertrag sei für den Kunden offensichtlich, dass die Bank eigene (Gewinn‑)Interessen verfolge, so dass darauf nicht gesondert hingewiesen werden müsse.
Aktuelle Entscheidung
Diese in der Folgezeit vom für Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenat wiederholt bestätigte Auffassung wurde unter anderem vor dem Hintergrund der zum 1. November 2007 in Kraft getretenen Neufassung der §§ 31 ff. des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) kritisiert. So sieht insbesondere § 31d WpHG nunmehr eine Offenlegungspflicht bezüglich „Zuwendungen“ an Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor. Die Gesetzesänderung durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG) vom 16. Juli 2007 diente der Umsetzung der europäischen Richtlinien 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 (Finanzmarktrichtlinie) und 2006/73/EG der Kommission vom 10. August 2006 (Durchführungsrichtlinie) in nationales Recht.
Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 30. Mai 2013 - C-604/11), nach der die Festlegung etwaiger vertraglicher Folgen von Verstößen gegen Vorgaben der Richtlinien dem nationalen Gesetzgeber überlassen sei, hat der Bundesgerichtshof auch für Sachverhalte nach der Gesetzesänderung zum 1. November 2007 an seiner Rechtsprechung festgehalten, so dass eine Aufklärungspflicht der anlageberatenden Banken zur Aufklärung über ihren Gewinn bei Verkauf der Zertifikate an Kunden nicht bestanden habe. Unabhängig davon, ob die §§ 31 ff. WpHG eine aufsichtsrechtliche Pflicht zur Offenlegung von Gewinnmargen oder Einkaufsrabatten statuieren, was der Senat offengelassen hat, ergäben sich aus einem entsprechenden Verstoß gegen das Aufsichtsrecht jedenfalls keine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche der Anleger.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. September 2013 - XI ZR 332/12)
Dr. Patrick Wolff, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht