Bundesfinanzhof äußert erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Nachzahlungszinssatzes
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von sechs Prozent auf nachzuzahlende Steuern (§§ 233a und 238 Abs. 1 der Abgabenordnung) für Verzinsungszeiträume ab 2015 und hat deshalb in einem Eilverfahren die Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheids gewährt.
Hintergrund und Entscheidung des BFH
In dem streitigen Verfahren hatte das Finanzamt im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 16. November 2017 auf eine Steuernachzahlung i.H.v. etwa 2.000.000 € Nachzahlungszinsen in Höhe von etwa 240.000 € festgesetzt. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb erfolglos, wogegen die Steuerpflichtigen Beschwerde einlegten. Bisher hatten mehre Finanzgerichte sowie der dritte Senat des BFH in seinem Urteil vom 9. November 2017 (III R 10/16) keine Einwände gegen die Höhe des Nachzahlungszinssatzes von 6%. Der neunte Senat des BFH gewährte jedoch nach der im AdV-Verfahren maßgebenden summarischen Prüfung die Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheides wegen erheblicher Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz und dem Übermaßverbot (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz). Nach Auffassung des BFH ist der Zinssatz angesichts eines strukturellen und verfestigten Niedrigzinsniveaus realitätsfern und gleichheitswidrig und wirkt wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.
Bewertung und Konsequenzen für die Praxis
Beim Bundesverfassungsgericht sind derzeit ebenfalls Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit des Nachzahlungszinssatzes anhängig (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) Die Verfahren betreffen jedoch die Veranlagungszeiträume ab 2010 bzw. ab 2012. Der BFH hat mit Urteil vom 9. November 2017 (III R 10/16) für den Veranlagungszeitraum 2013 bereits entschieden, dass die Höhe der Nachforderungszinsen weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot verstößt und damit verfassungsmäßig ist. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bleiben jedoch abzuwarten. Für Veranlagungszeiträume ab 2015 empfiehlt es sich für Steuerpflichtige nach der deutlichen Aussage des neunten Senats jedoch nunmehr Einspruch gegen entsprechende Zinsbescheide einzulegen, die Verfahren offen zu halten und die Entscheidung des BFH im Hauptsacheverfahren sowie ggf. die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.
(BFH-Beschluss vom 25. April 2018, IX B 21/18)
Lars-Olaf Leskovar, LL.M., Rechtsanwalt
Frankfurt a. M.