Ergänzende Satzungsauslegung oder gerichtliche Notbestellung eines Vereinsvorstands?
Wie verfahren, wenn die Satzung eines eingetragenen Vereins für die Beschlussfähigkeit der Mitgliederversammlung die Anwesenheit zweier Vorstandsmitglieder vorsieht, der Verein aber nur noch ein Vorstandsmitglied hat? Das OLG Karlsruhe weist den Weg.
Sachverhalt
Einige Mitglieder eines eingetragenen BGB-Vereins waren mit der Geschäftsführungstätigkeit des letztverbliebenen, im Vereinsregister eingetragenen Mitglieds des Vereinsvorstands V unzufrieden. Sie bemängelten u.a., dass dieser Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vereinsvermögen gestellt und keine ordentliche Mitgliederversammlung, sondern zwei außerordentliche Mitgliederversammlungen zur Auflösung des Vereins einberufen hatte.
In § 11 Abs. 10 der Vereinssatzung war geregelt, dass die Mitgliederversammlung beschlussfähig ist, wenn mindestens zwei Vorstandsmitglieder und ein Zehntel aller stimmberechtigten Mitglieder anwesend sind. § 14 der Satzung sah in Abs. 1, 2 vor, dass den Vorstand im Sinne des § 26 BGB der Vorsitzende (Präsident) und der stellvertretende Vorsitzende (Vizepräsident) bilden und beide jeweils einzeln zur Vertretung des Clubs berechtigt waren.
Noch vor Entscheidung über den Insolvenzantrag beantragten die Beteiligten zu 1) bis 3) beim zuständigen Amtsgericht (AG) unter Berufung u.a. auf die oben genannten Kritikpunkte gegenüber dem Vorstandsmitglied V die Bestellung des Beteiligten zu 1) als zweites Vorstandsmitglied gemäß § 29 BGB. Nach dieser Vorschrift hat das zuständige AG in dringenden Fällen für die Zeit bis zur Behebung des Mangels auf Antrag eines Beteiligten fehlende Vorstandsmitglieder zu bestellen.
Das AG hat den Antrag durch Beschluss zurückgewiesen, gegen welchen sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 3) richtet.
Entscheidung des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe bestätigte die Entscheidung des AG, weil die Voraussetzungen des § 29 BGB nicht gegeben seien. So sei die Bestellung eines weiteren Vorstandsmitglieds nicht deshalb dringend erforderlich gemäß § 29 BGB, weil es dem Verein an einem zur Vertretung berechtigten Vorstandsmitglied fehlen würde. Gemäß § 14 Abs. 2 der Vereinssatzung sei V schließlich einzeln vertretungsberechtigt.
Auch die angeführte Begründung, V habe vermeintlich eine ordnungsgemäße Geschäftsführung vermissen lassen, genüge nicht für eine Vorstandsnotbestellung gemäß § 29 BGB. Die Regelung des § 29 BGB diene nämlich nicht dazu, in vereinsinterne Streitigkeiten einzugreifen. Insoweit muss der Verein die eigenen internen, in der Satzung geregelten Mittel anwenden, insbesondere entsprechende Beschlüsse der Mitgliederversammlung herbeiführen, gegebenenfalls auch zur Neuwahl von Vorstandsmitgliedern. Sollte der Vorsitzende bereits keine Mitgliederversammlung einberufen, stehe den Vereinsmitgliedern zudem ein Vorgehen nach § 37 Abs. 2 BGB zur Verfügung, wonach das AG die Vereinsmitglieder zur Einberufung einer Versammlung ermächtigen kann.
Schließlich sei die Bestellung des Beteiligten zu 2) auch nicht deshalb dringend erforderlich gemäß § 29 BGB, weil die Mitgliederversammlung gemäß § 11 Abs. 10 der Satzung erst bei Anwesenheit von zwei Vorstandsmitgliedern beschlussfähig wäre. Dies könnte man zwar wegen des Wortlauts annehmen. Es verhalte sich aber so, dass diese Regelung auf einen mehrgliedrigen Vorstand zugeschnitten und der Fall nicht bedacht worden sei, dass der Vorstand auch einmal aus weniger als zwei Mitgliedern bestehen kann. Insofern liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die einer ergänzenden Auslegung zugänglich sei. Daher stehe § 11 Abs. 10 der Satzung der Beschlussfähigkeit der Mitgliederversammlung im Ergebnis nicht entgegen. Denn eine solche Rechtsfolge lasse sich weder aus einzelnen Satzungsbestimmungen noch aus dem Gesamtzusammenhang der Satzung für den Fall ableiten, dass der Vorstand nur aus einem Mitglied besteht und daher nur ein Vorstandsmitglied in der Mitgliederversammlung anwesend sein kann.
Praxisanmerkung
Der Entscheidung ist beizupflichten. Die gerichtliche Bestellung eines Notvorstands als hoheitlicher Eingriff in die Vereinsautonomie kann dann nicht in Betracht kommen, wenn der Verein aktiv und passiv vom letzten einzelvertretungsberechtigten Vorstandsmitglied vertreten werden kann. Zwar fehlte es vorliegend numerisch an einem Vorstandsmitglied. Dies aber hat im Fall der Einzelvertretungsbefugnis des letztverbliebenen Vorstandsmitglieds aber keine Auswirkungen für den Verein. Eine Notbestellung war daher insoweit nicht (und schon gar nicht dringend) erforderlich.
Und auch die ergänzende Satzungsauslegung ist sachgerecht: Die von § 14 Abs. 1, 2 der Satzung vorgesehenen jeweils einzelvertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder hatten insbesondere in der Mitgliederversammlung das gleiche Stimmrecht wie jedes Vereinsmitglied. Ihre dem Wortlaut der Satzung nach für die Beschlussfähigkeit der Mitgliederversammlung erforderliche Anwesenheit diente daher ersichtlich der Informationsversorgung der Mitglieder. Diese ist aber auch bei Anwesenheit des einzig verbliebenen Vorstandsmitglieds gewährleistet.
(OLG Karlsruhe Beschluss vom 16.7.2024 – 19 W 29/24 (Wx))