Juli 2019 Blog

Haften Ver­siche­rungen wie Ban­ken wegen Pros­pekt­haftung?

Diese Auffassung vertritt – überspitzt zusammengefasst – das OLG Stuttgart unter Bezugnahme auf Begründungsstränge der Prospekthaftung im engeren Sinne in einer jüngst ergangenen Urteils-Serie. In den entschiedenen Fällen verwundert weniger das Ergebnis, als Teile der Begründung.

Sachverhalt

Der Fall klingt einfach. Die Klägerin hatte bei der beklagten Versicherung ein Darlehen aufgenommen und damit zwei Photovoltaikanlagen nebst Erbbaurechten an den Installationsflächen erworben. Als Tilgungsersatzinstrument für das Darlehen diente eine bei der Versicherung zusätzlich abgeschlossene Rentenversicherung. Als die Photovoltaikanlagen deutlich weniger Strom produzierten, als der Verkäufer der Klägerin gegenüber prognostiziert hatte, wollte sich diese auch von dem Darlehensvertrag und der Rentenversicherung lösen. Das Landgericht Stuttgart befand, dass der Verkäufer der Photovoltaikanlagen die Klägerin arglistig getäuscht hatte und ging dabei von einem institutionalisierten Zusammenwirken auch mit der beklagten Versicherung aus, welche sich die Täuschung daher zurechnen lassen müsse. Die unter anderem erfolgte Anfechtung sämtlicher Verträge durch die Klägerin hatte damit auch gegenüber der Versicherung Erfolg.

Entscheidung des OLG

Auf die Berufung der beklagten Versicherung befasste sich das OLG Stuttgart mit der vom Landgericht offen gelassenen Frage, ob und inwieweit die Versicherung der Klägerin gegenüber wegen Verletzung eigener Aufklärungspflichten haften müsse. Im Ergebnis sah das OLG eine solche Haftung für gegeben an.

In seinem ersten Begründungselement rekurrierte das OLG dabei auf die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach eine kreditgebende Bank ausnahmsweise dann den Darlehensnehmer über die Risiken der von ihm verwendeten Darlehensgewährung aufzuklären hat, wenn und soweit sie im Einzelfall über „ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgeht“. Hierfür ist Voraussetzung, dass die Bank im Zusammenhang mit der Planung, Werbung, Durchführung oder dem Vertrieb des Objekts gleichsam als Partei des zu finanzierenden Geschäfts „in nach außen erkennbarer Weise“ Funktionen oder Aufgaben des Veräußerers oder des Vertreibers übernommen und damit einen zusätzlichen, auf die übernommenen Funktionen bezogenen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Eine Aufklärungspflicht besteht insbesondere, wenn eine Bank Interessenten gegenüber den Eindruck erweckt, ein Anlageprogramm mit positivem Ergebnis geprüft zu haben. In diesem Fall hat sie die Interessenten über alle bei ordnungsgemäßer banküblicher Überprüfung erkennbaren Programmrisiken und Bedenken gegen die Bonität oder Seriosität des Initiators aufzuklären.

Diese Voraussetzungen sah das OLG vorliegend für die beklagte Versicherung für gegeben an. Diese habe sowohl den Eindruck erweckt, das Anlageprogramm (die Photovoltaikanlagen) mit positivem Ergebnis geprüft zu haben und auch sonst Funktionen des Veräußerers übernommen und sich dabei gleichsam als Partei des finanzierten Geschäfts präsentiert. Denn im Rahmen einer Präsentationsveranstaltung insbesondere für Vermittler des Anlageprogramms, an der plangemäß auch interessierte Anleger teilgenommen hatten, hatte ein Filialdirektor der Versicherung ausdrücklich darauf verwiesen, dass „in unterschiedlichen Abteilungen“ der Versicherung „immer wieder an dem Angebot „geschraubt“ worden sei, um „das rund zu machen“. Zudem hatte der Finanzvorstand der Versicherung im Rahmen der Veranstaltung einen Vortrag mit zu halten, der im Titel von einer „Kooperation“ mit der Versicherung und davon sprach, dass es sich um ein „Engagement ohne Ausfälle“ handele. Das OLG sah hierin mindestens die Mittelung der Versicherung, das fremde Konzept geprüft und für gut befunden zu haben, aber auch ein Mitwirken bei der Konzeption. Gleichzeitig habe die Versicherung damit Werbung für die Anlage gemacht, mithin Funktionen oder Aufgaben des Veräußerers oder des Vertreibers übernommen. Dass es sich nicht um eine Bank, sondern um eine Versicherung handelte, sei nicht relevant: Derlei Aussagen einer unter staatlicher Aufsicht stehenden Versicherung seien im Verkehr von gleichem Gewicht, wie ein entsprechendes Auftreten einer Bank.

Da die Klägerin (und auch die Klageparteien der entschiedenen Parallelverfahren) selbst Teilnehmerin der Veranstaltung war, hätte das OLG es eigentlich dabei belassen können festzustellen, dass die Versicherung dadurch auch der Klägerin gegenüber besonderes Vertrauen erweckt hat.

Dabei wollte es das OLG jedoch nicht belassen, sondern stellte zusätzlich fest, dass es nicht darauf ankäme, ob die Klagepartei von den Aussagen des Filialleiters und Finanzvorstands der Versicherung auf der Veranstaltung Kenntnis erlangt habe oder nicht. Das OLG sieht vielmehr eine Parallele zur Prospekthaftung im engeren Sinne, bei der es nach der Rechtsprechung des BGH um eine typisierte Vertrauenshaftung geht, der Aufklärungsverpflichtete also dem Anleger gegenüber gerade kein persönliches Vertrauen entgegen bringen muss. Hier wie dort, so das OLG, rücke „der Aufklärungsverpflichtete bereits infolge des inkriminierten Verhaltens in den Kreis der Haftenden ein, ohne dass es darauf ankäme, ob der einzelne Anleger das zum Einrücken in die Haftung führende Verhalten – dort die Nennung der für einen Prospektfehler Verantwortlichen im Prospekt, hier den Auftritt der Versicherung im Rahmen der Veranstaltung – zur Kenntnis genommen hat“. Entscheidend sei dort wie hier, „ob der infolge typisierten Vertrauens zum Kreis der Verpflichteten Gehörige dort für einen Prospektfehler, hier für einen Aufklärungsfehler verantwortlich ist, der für einen Schaden des Anlegers kausal geworden ist“.

Im Ergebnis sieht das OLG seine Entscheidung auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH, da dieser in seinen Entscheidungen zu diesem Thema eine „Kenntnis des Interessenten“ gerade nicht als notwendiges Tatbestandsmerkmal einer Haftung formuliere.

Anmerkung

Soweit die vorliegend vom OLG Stuttgart entschiedenen Fälle eine Verletzung eigener Aufklärungspflichten der Versicherung gegenüber denjenigen Anlegern annimmt, die an der Veranstaltung teilgenommen und die Aussagen der in leitenden Funktionen der Versicherung tätigen Personen wahrgenommen haben, ist gegen die Anwendung der für Banken entwickelten oben dargestellten Rechtsprechung des BGH auch für Versicherungen grundsätzlich nichts zu erinnern. Die Versicherung hat zurechenbar im persönlichen Kontakt einen Vertrauenstatbestand geschaffen, dem sie mangels sorgfältiger Prüfung des Anlagekonzepts nicht gerecht geworden war. Eine entsprechende Anwendung der für Banken entwickelten Rechtsprechung auch auf Versicherungsunternehmen wird bekanntlich auch im Zusammenhang dem Abschluss von Kapitallebensversicherungen praktiziert: Stellt sich eine Kapitallebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft dar, so hat eine Aufklärung und Beratung des (potentiellen) Versicherungsnehmers nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Aufklärung und Beratung bei Anlagegeschäften zu erfolgen. Danach muss der Anleger „bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen über alle Umstände verständlich und vollständig zu informieren, die für ihren Anlageentschluss von besonderer Bedeutung waren. Das gilt insbesondere für die mit der angebotenen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken (vgl. BGH, WM 2012, 1577 m.w.N.).

Fraglich ist jedoch, ob auch die – vorliegend vom OLG Stuttgart ohne Not statuierte – Prämisse trägt, wonach es den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren Sinne entsprechend nicht darauf ankommen soll, ob die klagenden Anleger von dem Auftreten der Versicherung im Rahmen der Veranstaltung Kenntnis hatten oder nicht. Da die klagenden Anleger sämtlich Teilnehmer der Veranstaltung waren und persönlich die vertrauensschaffenden Aussagen der Versicherung miterlebt hatten, wäre dieser Schritt vorliegend nicht erforderlich gewesen: Eine Haftung wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens (insoweit entsprechend den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne) war damit jedenfalls begründet.

Dass in den vorliegenden Fällen eine Kenntnis klagender Anleger von der Schaffung des Vertrauenstatbestands im Rahmend er Veranstaltung nicht erforderlich sei und insoweit die Grundsätze der Prospekthaftung im engeren Sinne greifen sollen, ist dagegen zweifelhaft. Aus Prospekthaftung im engeren Sinne haften bei Vorliegen eines Prospektfehlers nach ständiger Rechtsprechung des BGH bekanntlich neben den Initiatoren, Gründern und Gestaltern der Gesellschaft, soweit sie das Management bilden oder beherrschen auch die Personen, die hinter der Gesellschaft stehen, auf ihr Geschäftsgebaren oder die Gestaltung des konkreten Modells besonderen Einfluss ausüben und deshalb Mitverantwortung tragen. Dabei kommt es nach dem BGH nicht darauf an, „ob die Hintermänner nach außen in Erscheinung getreten sind“ (vgl. BGH, Urteil vom 7. 12. 2009 - II ZR 15/08).

Diesen letzten Zusatz mag das OLG Stuttgart bei seinen Urteilen im Auge gehabt haben. Dabei verkennt es allerdings möglicherweise den tieferen Grund für diese Rechtsprechung, die insbesondere auch darin liegt, dass sich Anleger von Kapitalanlagen oftmals lediglich mit Hilfe des Emissionsprospekts einer Beteiligung hinreichend über deren Chancen und Risiken informieren können. Dem Prospekt – und den hierfür Verantwortlichen – kommt folglich eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung interessierter Anleger zu. Grundlage der Information ist dabei stets der gedruckte und damit materialisierte Prospekt zur Beteiligung. Hier liegt denn – soweit ersichtlich – auch ein zentraler Unterschied der vom OLG Stuttgart entschiedenen Fälle. Dies deshalb, weil es bei diesen nicht um Fehler in einem materialisierten Emissionsprospekt ging, sondern im Wesentlichen um mündliche und entsprechend flüchtige Aussagen sowie den Titel eines Vortrags im Rahmen einer einzigen Veranstaltung. Von einem etwas vorhandenen Prospekt war in dem Urteil jedenfalls keine Rede. Bereits vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob das vom OLG proklamierte „typisierte“ Vertrauen zutreffend in diesen flüchtigen mündlichen Aussagen gesehen werden darf (vgl. auch BGH, Urt. vom 31.03.1992 - XI ZR 70/91).

Schwierigkeiten dürften auch mit Blick auf die erforderliche Kausalität einer so definierten Aufklärungspflichtverletzung für die Anlageentscheidung bestehen. Es entspricht zwar nach der Rechtsprechung des BGH der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist. Diese Vermutung kann allerdings nach ständiger Rechtsprechung des BGH widerlegt werden. Davon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat. Wendet man diese Kausalitätsregeln auf die im Rahmen der Veranstaltung von der Versicherung getätigten Aussagen an und stellt sich einen Anleger vor, der dieser Veranstaltung nicht beigewohnt hat, dürfte es schwierig werden, Kausalität anzunehmen.

Es wird abzuwarten sein, ob der BGH die Möglichkeit bekommt, zu diesem Fragenkomplex Stellung zu beziehen. Bis dahin aber müssen Versicherung in vergleichbaren Fällen mit gesenkten Eintrittshürden für klagende Anleger rechnen.

(OLG Stuttgart, Urteile vom 30.04.2019, Az. 6 U 174/18; 6 U 175/18; 6 U 176/18; 6 U 177/19; 6 U 178/18; 6 U 179/18)

Stephen-Oliver Nündel, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main

Anmeldung zum GvW Newsletter

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!