Letzte Stufe des MwSt-Digitalpakets soll um 6 Monate verschoben werden
Die EU Kommission hat vorgeschlagen, das Inkrafttreten der letzten Stufe des Mehrwertsteuerpakets für den elektronischen Handel um 6 Monate – vom 1. Januar 2021 auf dem 1. Juli 2021 – zu verschieben, um den Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, mit denen Unternehmen und Mitgliedstaaten derzeit aufgrund der Coronavirus-Krise konfrontiert sind.
Reform des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Commerce)
Auch über 25 Jahre nach der Schaffung des europäischen Binnenmarkts sind Unternehmen und Verbraucher in der EU im Bereich der Mehrwertsteuer noch immer mit der damals so bezeichneten „Übergangsregelung“ für die grenzüberschreitende Leistungserbringung konfrontiert, die zunächst nur für vier Jahre gelten sollte. Am 7. April 2016 hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan angenommen, der den Weg hin zu einem einheitlichen europäischen Raum der Mehrwertsteuer darlegt. Teil des Plans ist eine endgültige Mehrwertsteuerregelung für den grenzüberschreitenden Handel in der EU, die allgemein zur Besteuerung im Empfängerland führen soll (sog. Bestimmungslandprinzip). Das MwSt-Digitalpaket, das die EU-Finanzminister am 5. Dezember 2017 als Teil dieses Aktionsplans billigten, betrifft die Umsatzsteuer beim grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr mit Privatkunden („E-Commerce“). Die seit 2015 geltende E-Commerce-Regelung zur Umsetzung des Bestimmungslandprinzips soll dadurch verbessert und vor allem ausgeweitet werden.
Für Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen und auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen, die Unternehmer an Verbraucher erbringen („B2C-Geschäfte“), gilt seit 1. Januar 2015 eine allgemeine Sonderregelung, wonach für diese Leistungen das Bestimmungslandprinzip gilt (§ 3a Abs. 5 UStG). In Deutschland ansässige Unternehmer müssen sich wegen der in anderen Mitgliedstaaten erbrachten Umsätze allerdings nicht dort für die Umsatzsteuer registrieren, sondern können von der Regelung zur Anmeldung und Zahlung der Umsatzsteuern bei der sog. kleinen einzigen Anlaufstelle (mini one stop shop, MOSS) Gebrauch machen (§ 18h UStG). Die Umsatzsteuern werden dann zwischen den Mitgliedstaaten ausgeglichen. Für andere Leistungen von Unternehmern an Verbraucher gilt die MOSS-Regelung bislang hingegen nicht. Dies ist vor allem von Bedeutung für B2C-Lieferungen von Gegenständen im E-Commerce. Nach der sog. Versandhandelsregelung des § 3c UStG wird bei der Überschreitung von spezifischen Umsatzschwellen auch hier das Bestimmungslandprinzip angewendet; dies führt in Ermangelung der MOSS-Regelung allerdings zur Registrierungspflicht des Unternehmers in den Mitgliedstaaten, in denen er Verbraucher beliefert.
Änderungen zum 1. Januar 2019
Die erste Stufe des Digitalpakets beinhaltete vor allem Erleichterungen für Kleinstunternehmen und KMU. Bis zu einem jährlichen Umsatz von EUR 10.000 sind seither die Umsätze für grenzüberschreitende elektronische Dienstleistungen in B2C-Bereich von in Deutschland ansässigen Unternehmen in Deutschland steuerbar (§ 3a Abs. 5 S. 3 UStG), sodass diese wie inländische Umsätze zu behandeln sind. Nutzen die Unternehmen hingegen freiwillig oder wegen der Überschreitung der Umsatzschwelle die MOSS-Regelung, müssen sie trotz der Steuerbarkeit der Umsätze in dem Mitgliedstaat, in dem ihre Kunden ansässig sind, nicht mehr die Rechnungsvorschriften dieses Mitgliedstaats anwenden, sondern es genügt die Einhaltung der deutschen Regelungen. Bis zu einer Umsatzschwelle von EUR 100.000 ist zudem ein erleichterter Nachweis der Ansässigkeit des Verbrauchers möglich (Art. 24b MwStVO). Insgesamt konnten durch diese Maßnahmen die Prozesse in den Unternehmen erheblich vereinfacht werden.
Änderungen zum 1. Juli 2021
Da die Umsetzung des Bestimmungslandprinzips mittels der MOSS-Regelung erfolgreich war, soll dieses Konzept nun erheblich ausgeweitet werden (einzige Anlaufstelle, one stop shop, OSS-Regelung). Ab dem Stichtag wird die Regelung auch für den innergemeinschaftlichen Versandhandel („Fernkäufe“) und jegliche Dienstleistungen an Verbraucher gelten, mithin den gesamten grenzüberschreitenden B2C-Geschäftsverkehr erfassen. Die bisherige Lieferschwelle der Versandhandelsregelung (§ 3c UStG) wird abgeschafft.
Bei „Fernkäufen“ aus Drittländern bis EUR 150 wird eine neue Einfuhr-Regelung geschaffen, wonach die Betreiber von Online-Plattformen, über die die Waren verkauft werden, so behandelt werden, als ob sie diese Gegenstände selbst erhalten und geliefert hätten. Gleiches gilt für den Versand in der EU, wenn der Lieferer im Drittland ansässig ist. Die Umsatzsteuerbefreiung bei der Einfuhr von Kleinsendungen bis EUR 22 wird entfallen.
Praktische Auswirkungen
Insbesondere im E-Commerce tätige Unternehmen, die bislang die Versandhandelsregelung des § 3c UStG angewendet haben, müssen ihre Prozesse und Systeme anpassen. Der Aufwand dafür kann erheblich sein, wird im Ergebnis aber zu mehr Effizienz führen. Vor ganz eigenen Herausforderungen stehen drittländische Lieferer und Betreiber von Online-Plattformen. Nicht zu vergessen ist dabei, dass sich auch die Steuerverwaltungen und – im Hinblick auf die Einfuhrregelungen – insbesondere die Zollverwaltungen der Mitgliedstaaten mit den neuen Regelungen einrichten und ihre Systeme anpassen müssen. Es wurden bereits Zweifel geäußert, ob alle Mitgliedstaaten die neuen Regelungen bis zum 1. Januar 2021 umsetzen und anwenden können.
Daher wäre es zu befürworten, dass den Unternehmen und Behörden, die aufgrund der Corona-Krise unerwartete und vielfältige Herausforderungen zu meistern haben, mehr Zeit zur Umsetzung gegeben wird. Unternehmen müssen die notwendigen Anpassungen trotz der gegenwärtigen Belastungen in Angriff nehmen, um nicht nach der Corona-Krise in eine Compliance-Krise zu geraten.
Dr. Hartmut Henninger, Rechtsanwalt
Hamburg