Neue EU- und US-Sanktionen gegen die Türkei
Im November 2019 hat die EU Finanzsanktionen gegen die Türkei beschlossen. Auch durch die USA droht seit Monaten die Verhängung von Sanktionen – wenn auch mit anderen Hintergründen. Wirtschaftsbeteiligte, die Geschäftsbeziehungen zur Türkei unterhalten, sollten die weiteren Entwicklungen deswegen aufmerksam verfolgen.
EU-Sanktionen gegen die Türkei
Hintergrund der EU-Sanktionen sind Erdgasbohrungen der Türkei im Mittelmeer, die nach Auffassung der EU die Hoheitsrechte ihres Mitgliedstaates Zypern verletzen. Als Reaktion auf diese Bohrtätigkeiten wurde die Verordnung (EU) 2019/1890 vom 11. November 2019, die auf den Beschluss GASP 2019/1894 vom selben Tag zurückgeht, erlassen. Die Verordnung enthält bislang (Stand 9. Dezember 2019) keine güterbezogenen, sondern ausschließlich personenbezogene Beschränkungen, sog. Finanzsanktionen: Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von in Anhang I der Verordnung aufgeführten Personen, Organisationen und Einrichtungen werden eingefroren. Außerdem ist es untersagt, diesen Personen unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Ausweislich der Erwägungsgründe von Verordnung und Beschluss können solche Personen, Organisationen und Einrichtungen gelistet werden, die für die Bohrtätigkeit vor Zypern verantwortlich sind oder sich an den Bohrungen beispielsweise durch Planung, Vorbereitungshandlungen oder Unterstützung dieser Tätigkeiten beteiligen. Auch finanzielle oder technische Unterstützungsleistungen begründen ein Listungsrisiko.
Derzeit enthalten allerdings weder der Anhang I der Verordnung (EU) 2019/1890 noch der Anhang des Beschlusses GASP 2019/1894 Eintragungen (Stand 9. Dezember 2019). Unmittelbare praktische Auswirkungen ergeben sich daher (noch) nicht aus der Verordnung. Sie hat aber trotzdem mehr als nur symbolische Bedeutung: Ihr Erlass ist als ein deutliches Zeichen politischer Solidarität der EU mit ihrem Mitgliedstaat Zypern zu werten. Trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der EU und dem NATO-Partner Türkei hat die EU mit dem Erlass der Verordnung die Grundlage für Sanktionen gelegt, die jederzeit „aktiviert“ werden können. Die EU signalisiert so Handlungsfähigkeit.
US-Sanktionen gegen die Türkei
Hintergrund der US-Sanktionen gegen die Türkei ist der Syrienkonflikt. Im Oktober 2019 hat die Türkei Truppen nach Nordsyrien gesandt, die gegen die kurdische Yekîneyên Parastina Gel (Volksverteidigungseinheiten – YPG), vorgehen und die dort gelegenen Gebiete besetzen, um eine „Sicherheitszone“ zu errichten.
Die YPG sind Teil der mit den USA verbündeten Syrian Democratic Forces (Syrische Demokratische Kräfte – SDF). In den USA herrscht deswegen die Auffassung, dass die Handlungen der Türkei die gegen den sog. Islamischen Staat erreichten Erfolge untergraben. Als Reaktion hatte der US-amerikanische Präsident bereits Mitte Oktober 2019 Sanktionen gegen die Türkei verhängt und weitere Konsequenzen angekündigt. Dazu zählten das Einfrieren von Konten türkischer Minister und die Verhängung eines Strafzolls von 50 % auf türkische Stahlimporte. Die Sanktionen wurden Ende Oktober 2019 jedoch durch eine Executive Order des US-amerikanischen Präsidenten – gegen den Willen vieler Abgeordneter im Kongress – wieder aufgehoben.
Der Kongress sieht das Verhalten der Türkei weiterhin kritisch. Im House of Representatives wurde bereits ein Gesetzentwurf verabschiedet, der ebenfalls Sanktionen gegen die Türkei vorsieht (Protect Against Conflict by Turkey Act – PACTA). Der PACTA-Entwurf, der Maßnahmen gegen Personen beinhaltet, die für den Einmarsch in Nordsyrien verantwortlich sind oder mit diesen in Verbindung stehen, befindet sich derzeit in der Abstimmung im Senat, der zweiten Kammer des US-Kongresses. Ob der Gesetzesentwurf im republikanisch dominierten Senat Zustimmung findet, ist ungewiss. Im demokratisch dominierten Repräsentantenhaus fand der entsprechende Gesetzesentwurf aber bereits parteiübergreifend Unterstützung: In einem bipartisan vote sprach sich auch eine Vielzahl der republikanischen Abgeordneten für den Gesetzentwurf aus.
Sollte der Senat für das Gesetzesvorhaben stimmen, umfassen die möglichen Sanktionen das Einfrieren von Vermögen sowie Visa-Beschränkungen. Ebenso sollen keine weiteren US-Waffensysteme an die türkische Regierung verkauft werden.
Ausblick
Die Rolle der Türkei im Nordsyrienkonflikt wird auch in der EU kritisch gesehen. Zwar haben die Mitgliedstaaten der EU bisher kein Waffenembargo gegen die Türkei erlassen; die Bundesregierung teilte jedoch bereits mit, dass sie keine Genehmigungen mehr für Rüstungsgüter erteile, die durch die Türkei in Nordsyrien zum Einsatz kommen könnten. Es ist nicht auszuschließen, dass auch die EU mit eigenen Maßnahmen auf die Situation in Nordsyrien reagieren wird. Insgesamt ist deswegen aktuell bei Geschäftsbeziehungen zur Türkei Vorsicht geboten. Sie sind zumindest potenziell als sanktions- und embargorechtlich kritisch einzustufen. Sobald es zu konkreten Listungen der EU kommt, ist insbesondere die Beachtung des sogenannten „mittelbaren Bereitstellungsverbotes“ zu gewährleisten.