Niedrigere Abfindungen für rentennahe Jahrgänge
Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 26. März 2013 ist es zulässig, in einem Sozialplan für Arbeitnehmer aus sog. „rentennahen Jahrgängen“ niedrigere Abfindungen vorzusehen als für die übrigen Arbeitnehmer.
Die hier anklingende Grundkonstellation tritt bei größeren Entlassungsmaßnahmen häufig auf: Unter den zu kündigenden Mitarbeitern sind auch solche, die nicht mehr weit von ihrem Renteneintrittsalter entfernt sind – in dem vom BAG entschiedenen Fall waren das die Mitarbeiter, die das 62. Lebensjahr vollendet hatten. Da der soziale Absicherungsbedarf aber – anders als gerade in der Gruppe der 50- bis ca. 58-Jährigen – bei noch älteren Mitarbeitern wegen der nahenden Rente aber nicht mehr ganz so hoch ist und zudem mit fortschreitendem Alter weiter sinkt, wird in der Regel darüber diskutiert, wie dem Rechnung getragen werden kann.
Eine nach der „klassischen“ Formel Faktor x Dauer der Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsgehalt berechnete Abfindung führt in diesen Fällen mitunter zu einer sozialen „Übersicherung“, gerade bei Mitarbeitern, die schon sehr lange im Unternehmen tätig waren. Die klassische Abfindungsformel knüpft wegen ihres Bezuges auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht an die Zukunft an, sondern ist im Prinzip vergangenheitsbezogen. Daher wurde seit jeher versucht, die Abfindungen in Sozialplänen für rentennahe Jahrgänge anders zu gestalten als für die übrigen Arbeitnehmer, indem man nicht die „klassische“ Formel anwandte, sondern den Versorgungsbedarf bis zum Renteneintritt absicherte.
Im Zuge der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) wurden zunehmend Zweifel an der Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise bzw. nach deren Vereinbarkeit mit Europäischen Recht laut. Genährt wurden diese Zweifel auch von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 12.10.2010 in der Rechtssache „Ole Andersen“. Damals entschied der EuGH, dass der Ausschluss älterer Arbeitnehmer von einer Abfindungszahlung eine Altersdiskriminierung darstelle.
Seit dieser Entscheidung sind Arbeitgeber mit der Thematik der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmergruppen in Sozialplänen verständlicherweise sehr zaghaft umgegangen; viele Arbeitgeber versuchten, alternative Lösungsmodelle zu entwickeln. Aus diesem Grunde ist die nunmehr ergangene Entscheidung des BAG im Sinne der Rechtssicherheit sehr zu begrüßen.
Schon mit der Entscheidung des EuGH vom 06.12.2012 in der Rechtssache „Johann Odar“ deutete sich ein Richtungswechsel an: Der EuGH vertrat in dieser Entscheidung die Auffassung, dass es jedenfalls zulässig sei und keine Altersdiskriminierung darstelle, wenn ältere Arbeitnehmer eine im Vergleich zur Standardberechnungsmethode geringere Abfindungssumme erhalten. Dieser Entscheidung des EuGH lag ein Fall zugrunde, in dem die rentennahen Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der Abfindungssumme erhalten sollten, die sich nach der „klassischen“ Formel ergeben hätte.
Das BAG ist jetzt noch einen Schritt weiter gegangen. Es hat zunächst klargestellt, dass Sozialpläne generell eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion haben. Bei rentennahmen Jahrgängen sei der Ausgleichbedarf typischerweise niedriger, so dass Arbeitgeber dies bei der Bemessung der Abfindung berücksichtigen dürften.
In dem vom BAG entschiedenen Fall war in dem fraglichen Sozialplan eine Abfindung nach der oben beschriebenen „klassischen“ Formel und einem Faktor vereinbart gewesen, der – gestaffelt nach dem Lebensalter – zwischen 0,3 und 1,0 betrug. Mitarbeiter, die das 62. Lebensjahr vollendet hatten, erhielten allerdings keine Abfindung nach dieser Formel, sondern lediglich eine Mindestabfindung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern. Dies hat das BAG für zulässig gehalten. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG liege nicht vor. Die Regelung sei vielmehr zulässig nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. März 2013 - 1 AZR 857/11)
Christoph J. Hauptvogel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht