April 2019 Blog

Organ­haf­tung: Auf­sichts­räte haf­ten in der „ex­ten­ded ver­sion“!

Aufsichtsratsmitglieder müssen sich zukünftig im Fall etwaiger eigener Pflichtverletzungen darauf einstellen, dass gegen sie gerichtete Schadenersatzansprüche der Aktiengesellschaft erst zum denkbar spätest möglichen Zeitpunkt verjähren.

Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft („Gesellschaft“) entgegen § 57 AktG an den seinerzeitigen Aufsichtsratsvorsitzenden, der zugleich Mehrheitsaktionär der AG war, Zahlungen geleistet. Den Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand aus § 93 Abs.3 Ziff.1 AktG hatte der hierfür im Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft zuständige Aufsichtsratsvorsitzende und späterer Beklagter verjähren lassen. Hierdurch hatte der Beklagte sich möglicherweise seinerseits gegenüber der Gesellschaft wegen Verletzung seiner Aufsichtspflichten gemäß §§ 116, 93 AktG schadenersatzpflichtig gemacht, weshalb die Gesellschaft gegen ihn Klage erhob. Während das Landgericht der Klage stattgegeben hatte, hob das zuständige Oberlandesgericht das Urteil auf und wies die Klage ab. Die Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Beklagten seien ebenfalls verjährt gewesen. Der Schaden der Gesellschaft sei bereits mit der Erbringung der Zahlungen durch den seinerzeitigen Vorstand an den Beklagten entstanden und durch das verjähren Lassen des Schadenersatzanspruchs gegen den Vorstand sei der Gesellschaft kein weiterer Schaden entstanden. Zudem habe dem Beklagten die in der Geltendmachung des Anspruchs gegen den Vorstand liegende Selbstbezichtigung nicht zugemutet werden können.

Entscheidung des BGH

Der BGH teilt die Auffassung des Berufungsgerichts nicht und hat das Berufungsurteil unter Zurückverweisung aufgehoben. Der Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Beklagten sei – entgegen der Begründung des OLG – nicht verjährt. Es komme insbesondere nicht darauf an, ob das Unterlassen des Beklagten, den Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand geltend zu machen, ein einheitliches Dauerverhalten oder ein wiederholtes Unterlassen darstelle. In jedem Fall sei der Schaden der Gesellschaft im Sinne des Verjährungsbeginns gemäß § 200 S.1 BGB erst in dem Moment entstanden, als der der Aufsichtsrat die letzte Möglichkeit hatte verstreichen lassen, den Schadenersatzanspruch gegen den Vorstand verjährungshemmend geltend zu machen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Aufsichtsrat sich selbst schon bei der Annahme der Zahlungen der Gesellschaft gegenüber schadenersatzpflichtig gemacht habe. Es handele sich hierbei und bei dem verjähren Lassen der Ansprüche gegen den Vorstand um unterschiedliche Pflichtverletzungen, die auf verschiedenen Lebenssachverhalten und unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen beruhten. Damit aber begründeten beide Pflichtverletzungen auch eigenständig entstehende und verjährende Schadenersatzansprüche der Gesellschaft. Wollte man dies anders sehen und von nur einem einzigen Schadenersatzanspruch ausgehen, würde im Ergebnis derjenige Aufsichtsrat begünstigt, dem nicht nur eine, sondern sogar zwei Pflichtverletzungen vorgeworfen werden.

Auch müsse das aus Art. 2 GG folgende Recht auf Selbstbelastungsfreiheit des Aufsichtsrats hinter den Interessen der Gesellschaft und der durch § 57 AktG geschützten Aktionäre zurückstehen. Die Pflicht des Aufsichtsrats zur Prüfung und Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft würde ansonsten regelmäßig leerlaufen, da Überwachungspflichtverletzungen des Aufsichtsrats nicht selten mit Pflichtverletzungen des Vorstands einhergingen.

Praxishinweis

Der BGH hat mit seinem erst jüngst veröffentlichtem Urteil verdeutlicht, dass er trotz Kritik im Schrifttum an seiner in Sachen „ARAG/Garmenbeck“ getroffenen Entscheidung festhält, dass der Aufsichtsrat im Grundsatz verpflichtet ist, Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder wirksam geltend zu machen. Ein deutliches Signal an die Aufsichtsräte dürfte insbesondere in der Herauszögerung der Entstehung des Schadenersatzanspruchs der Gesellschaft gegen das pflichtwidrig handelnde Aufsichtsratsmitglied auf den letztmöglichen Zeitpunkt zu sehen sein: dem Zeitpunkt des Verjährungseintritts des Schadenersatzanspruchs der Gesellschaft gegen das zuvor pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglied. Durch diese zeitliche Verlagerung schafft der BGH sozusagen die „extended version“ der potentiellen Aufsichtsratshaftung und erhält der Gesellschaft etwaige Schadenersatzansprüche so lange als möglich. Es dürfte daher für den Aufsichtsrat zukünftig immer seltener möglich sein, in einem Einzelfall zu begründen, warum ein potentieller Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied entgegen der Regel nicht geltend gemacht werden muss. Daher dürfte es zukünftig für „sich gegenseitig wohlgesonnene“ Vorstände und Aufsichtsräte jedenfalls schwieriger werden, sich durch „mehr oder weniger bewusstes“ Verjährenlassen von Ansprüchen der Gesellschaft gegen das jeweils andere Organ auf Kosten der Gesellschaft zu protegieren.

(BGH, Urteil vom 18.09.2018 – II ZR 152/17)

Stephen-Oliver Nündel, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main

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