Juni 2019 Blog

Steu­er­nach­zah­lung­en auf dem Prüf­stand – Zins­fest­set­zung­en können er­folg­reich aus­ge­setzt wer­den

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat bereits mit Schreiben vom 14. Dezember 2018 beschlossen, den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Aussetzung der Vollziehung von Zinsfestsetzungen gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) zu folgen. Mit Schreiben vom 2. Mai 2019 hat das BMF zu weiteren Einzelfragen in diesem Zusammenhang Stellung genommen.

Hintergrund

Erlässt das Finanzamt – beispielsweise im Anschluss an eine Außenprüfung – einen Nachforderungsbescheid, ist die Steuernachforderung gemäß § 238 AO (rückwirkend) mit einem Zinssatz von 0,5 % pro Monat, d.h. 6 % pro Jahr, zu verzinsen. Aber auch wenn der Steuerpflichtige einen Steuerbescheid mittels Einspruch anficht und zugleich die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids beantragt, wird die damit aufgeschobene Steuerschuld gemäß § 238 AO mit 0,5 % pro Monat verzinst. Ein hoher Preis, wenn der Einspruch nicht erfolgreich ist, zumal bis zur rechtskräftigen Entscheidung mehrere Jahre ins Land gehen können.

Diese Verzinsung kann ihrerseits wiederum mittels Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ausgesetzt werden; es fallen dann keine Zinsen an. Ein solcher Antrag war indes bisher nur erfolgreich, wenn der Steuerpflichtige die unbillige Härte der Zinsfestsetzung in seinem Fall darzulegen vermochte. Alternativ ist einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben, wenn erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Regelung (im Falle der Zinsfestsetzung § 238 AO) bestehen. Dies hatte der BFH zunächst in mehreren Entscheidungen verneint, auch wenn die Zinshöhe insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Niedrigzinsphase schon seit längerem in der Kritik steht. Mit Beschlüssen vom April und September 2018 aber hat der BFH eine Kehrtwende vollzogen: Die Höhe des Zinssatzes begegnet nach Auffassung des BFH erheblichen Zweifeln im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Übermaßverbot (BFH, Beschlüsse vom 24.4.2018, IX B 21/18; vom 3.9.2018, VIII B 15/18). Der Zinssatz sei angesichts des strukturellen und verfestigten Niedrigzinsniveaus realitätsfern und wirke wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung. Dies gelte jedenfalls für den Zeitraum ab dem 1. April 2012.

Die Entscheidung des BMF

In oben genannten Schreiben hat das BMF mit Bindungswirkung für die gesamte Finanzverwaltung beschlossen, die Entscheidungen des BFH allgemein anzuwenden. Das bedeutet, dass einem Antrag des Steuerpflichtigen auf Aussetzung der Zinsfestsetzung für Zeiträume ab dem 1. April 2012 stattzugeben ist. Eine unbillige Härte im Einzelfall muss nicht dargelegt werden. Für Zeiträume vor dem 1. April 2012 soll eine Aussetzung nur im Einzelfall gewährt werden, um dem Interesse des Staates an einer geordneten Haushaltsführung gerecht zu werden. Hier wiederum muss der Steuerpflichtige die unbillige Härte der Zinsfestsetzung erläutern.
Die endgültige Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von § 238 AO bleibt dem Bundesverfassungsgericht überlassen. Bis dahin ist die Regelung weiterhin gültig; die Zinsfestsetzungen sind demnach nicht automatisch nichtig.

Handlungsempfehlung

Steuerpflichtige sollten vor diesem Hintergrund jede aktuelle Zinsfestsetzung anfechten und zugleich Aussetzung der Vollziehung beantragen sowie Zinsfestsetzungen in der Vergangenheit dahingehend überprüfen, ob diese noch anfechtbar sind. Für die nähere Zukunft ist mit einer Neuregelung der Zinshöhe durch den Gesetzgeber zu rechnen.

Anna-Maria Drescher, Rechtsanwältin
Frankfurt am Main

 

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