Mai 2014 Blog

Neues zur Verdachtskündigung und zur Verwertbarkeit von heimlichen Videoaufzeichnungen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 21. November 2013 klargestellt, dass bei Bestehen eines Verdachts, der selbst als erwiesener Tatbestand nur eine ordentliche und keine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, eine Verdachtskündigung generell unzulässig ist. Zugleich hat das BAG der Verwertbarkeit von heimlichen Videoaufzeichnungen als Beweismittel im Prozess enge Grenzen gesetzt.

Dem Urteil des BAG lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Betreiber eines Getränkemarktes zur Aufklärung erheblicher Leergutdifferenzen eine verdeckte Überwachung des Kassenbereichs anordnete. Diese ergab, dass sich unter der Leergutkasse des Markts ein mit kleinen Geldbeträgen versehener Plastikbehälter befand, aus der eine bei dem Arbeitgeber seit 18 Jahren beschäftigte Kassiererin dreimal Geld entnahm und einsteckte. Nach Anhörung der Mitarbeiterin zur Existenz dieser sog. „Klüngelgeld-Kasse“ und dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben, kündigte der Getränkemarkt-Betreiber das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß. Die Mitarbeiterin bestritt, das Geld für sich behalten zu haben. Sie erhob Kündigungsschutzklage und machte geltend, dass die „Klüngelgeld-Kassen“ dazu gedient hätten, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Die Beklagte hielt dieser Einlassung entgegen, dass sich aus den Videoaufnahmen ergebe, dass sich die Klägerin vor jeder Geldentnahme vergewissert habe, dass ihr niemand zusehe. Das Landesarbeitsgericht (LAG) erkannte auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung, hielt die hilfsweise ordentliche Kündigung aufgrund des dringenden Verdachts, dass sich die Klägerin fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet habe, jedoch für sozial gerechtfertigt.

Das BAG bestätigte die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung, hob die Entscheidung des LAG im Übrigen aber auf. Es sei nicht zu beanstanden, dass das LAG die fristlose Kündigung mit Blick auf die lange Beschäftigungsdauer und den in Rede stehenden geringen Geldbetrag als unverhältnismäßig angesehen hat. Die Unverhältnismäßigkeit der fristlosen Verdachtskündigung habe jedoch zwingend auch die Unwirksamkeit der ordentlichen Verdachtskündigung zur Folge. Eine Verdachtskündigung sei wegen der Gefahr, dass ein Unschuldiger seinen Arbeitsplatz verliert, auch als ordentliche Kündigung nur rechtens, wenn sich der Verdacht auf eine Pflichtverletzung bezieht, die – wäre sie erwiesen – für eine fristlose Kündigung genügt hätte.

Das BAG hat die Sache zur Aufklärung und Entscheidung darüber, ob die ordentliche Kündigung nicht auch auf Basis einer nach der Überzeugung des Gerichts erwiesenen Tat rechtmäßig wäre, an das LAG zurückverwiesen. Es hat hierzu angeordnet, dass die von dem Arbeitgeber in Absprache mit dem Betriebsrat heimlich erstellten Videoaufnahmen als Beweismittel nicht verwertet werden dürfen. Die Verwertung von Aufzeichnungen aus einer verdeckten Videoüberwachung sei nur zulässig, wenn weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts einer strafbaren Handlung oder einer schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbliebene Mittel darstellt und sie insgesamt – auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ - nicht unverhältnismäßig ist. Im Streitfall sei nicht erkennbar, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So hätte der Arbeitgeber stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der – einzigen – Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der  Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes durchführen können. Zudem sei die Verwertung der Videoaufzeichnungen zum Nachweis der Absicht, dass sich die Klägerin einige Münzen im Wert von Centbeträgen angeeignet habe, schlechthin unverhältnismäßig.

Das Urteil des BAG fügt sich in eine Reihe von arbeitsgerichtlichen Entscheidungen der vergangenen Jahre ein, durch die die Zulässigkeit heimlicher Mitarbeiterkontrollen an strenge Voraussetzungen geknüpft wird. Hegt ein Arbeitgeber einen Verdacht gegen einen Mitarbeiter, ist dem Arbeitgeber zu raten, die Zulässigkeit von Maßnahmen zur Aufklärung der Verdachtsmomente bereits im Vorfeld juristisch klären zu lassen. Auch an datenschutzrechtliche Aspekte und an Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ist zu denken.

(BAG, Urteil v. 21. November 2013 – 2 AZR 797/11)

Dr. Malte Evers, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Marius Bodenstedt, Rechtsanwalt

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