April 2021 Blog

Keine Haftung von Gründungs­gesell­schaftern für Prospektf­ehler nach den Grund­sätzen der Prospekt­haftung im weiteren Sinne

In bemerkenswerter Klarheit hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Gründungsgesellschafter von Fondsgesellschaften wegen des Vorrangs spezialgesetzlicher Regelungen für Prospektfehler nicht aus Prospekthaftung im weiteren Sinne haften.

Sachverhalt

In einem Verfahren nach dem Kapitalanlage-Musterverfahrensgesetz hatte die Klageseite gegenüber zwei (Rechtsnachfolgern von) Gründungsgesellschaftern einer Fondsgesellschaft wegen des Beitritts zu einer geschlossenen Beteiligung Schadenersatzansprüche wegen Verwendung eines im Jahr 2007 veröffentlichten und vermeintlich fehlerhaften Verkaufsprospekts geltend gemacht (Feststellungziel 6). Das Oberlandesgericht hatte in seinem Musterentscheid zunächst Prospektfehler verneint und infolge dessen auch den Antrag zu Feststellungsziel 6 zurückgewiesen. Der Musterkläger wandte sich hiergegen mit zulässiger Rechtsbeschwerde.

Entscheidung des BGH

Der BGH nahm diese Prozesskonstellation zum Anlass für grundsätzlichere Ausführungen und entschied eine alte Streitfrage zu Gunsten der früher in der Literatur herrschenden Meinung, wonach spezialgesetzliche Prospekthaftungsregelungen in ihrem Anwendungsbereich die richterrechtlich entwickelte Prospekthaftung im weiteren Sinne verdrängen.

Zutreffend stellt der XI. Senat zunächst fest, dass auf den im Jahr 2007 veröffentlichten Verkaufsprospekt die Regelung des § 8g Verkaufsprospektgesetz (VerkProspG) in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (künftig: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung findet, was den Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. Börsengesetz (BörsG) in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (künftig: aF) eröffnet. Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von Prospektfehlern auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). In diesem Sinne „Veranlasser“ sind nach dem BGH insbesondere die Gründungsgesellschafter, weshalb in dem zu entscheidenden Fall beide Musterbeklagte (grundsätzlich als Veranlasser für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung haften würden.

Neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF aber ist, und dies stellt der BGH nunmehr ausdrücklich klar, eine Haftung der Gründungskommanditisten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen.

Die Haftung nach § 13 VerkProspG, § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF erfasse den Gründungsgesellschafter als Veranlasser und als künftigen Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags der Anlagegesellschaft; die Haftung nach § 13VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF verwirkliche daher in der Person des Gründungsgesellschafters stets auch die Voraussetzungen des Verschuldens bei Vertragsschluss mittels Verwendens eines fehlerhaften Verkaufsprospekts (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311Abs. 2 BGB).

Daher sei für die Anwendung der Prospekthaftung im weiteren Sinne kein Raum. Wollte man in dieser Konstellation neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung Raum für die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im weiteren Sinn lassen, liefe nämlich die bewusste gesetzgeberische Entscheidung ins Leere, dem Gründungsgesellschafter als Veranlasser die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit dem Nachweis einfach fahrlässiger Unkenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Verkaufsprospekts zu entlasten (§ 45 Abs. 1 BörsG aF) und auch die Sonderverjährungsfrist (§ 46 BörsG aF) entfaltete keine Wirkung mehr.

Anderes, so der BGH, folge auch nicht aus § 47 Abs. 2 BörsG aF, wonach Ansprüche, die nach den Regeln des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, unberührt bleiben sollen. Die Prospekthaftung im weiteren Sinne begründe vorvertragliche gesetzliche Schadenersatzansprüche, welche der Gesetzgeber in jener Norm jedoch bewusst nicht adressiert habe.

In der Folge erklärte der BGH abschließend die auf die Feststellung von Prospektfehlern gerichteten Feststellungsziele des Musterklägers für gegenstandslos. Die beantragten Feststellungen sollten ersichtlich Schadenersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne begründen, solche Ansprüche aber bestünden wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Vorschriften nicht. Es fehle den Feststellungszeilen daher an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit.

Hintergrund und Einordnung

Nehmen geschlossene Beteiligungen einen wirtschaftlich ungünstigen Verlauf, stellt sich die Frage, ob und wer Anlegern auf Rückerstattung ihrer Einlagen haften muss, soweit ein bei der Vermittlung der Kapitalanlage verwendeter Verkaufsprospekt unrichtige Angaben enthält. Entsprechende Schadenersatzklagen halten die Gerichte spätestens seit den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Atem.

Anders als wertpapiermäßig verbriefte Kapitalanlagen erfuhren geschlossene Beteiligungen des „Grauen Kapitalmarkts“ lange Zeit keine spezialgesetzlichen Regelungen hinsichtlich einer Haftung für die Verwendung fehlerhafter Verkaufsprospekte. Dies änderte sich mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28. 10. 2004. Hier ordnete der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. 7. 2005 auch für nicht wertpapiermäßig verbriefte Kapitalanlagen eine Prospektpflicht und eine Haftung für fehlerhafte Verkaufsprospekte an (vgl. §§ 8 f, 13 aF, §§ 44 ff. BörsG aF). Haftungsschuldner waren gemäß § 44 Abs. 1 BörsG aF neben den Prospektverantwortlichen (Nr. 1) insbesondere diejenigen, von denen „der Erlass des Prospekts ausgeht“ (Nr. 2). Damit konnten über den Verweis in das BörsG jedenfalls Initiatoren, Gründer und Hintermänner in die spezialgesetzliche Haftung einbezogen werden. Jedoch konnten sich diese exkulpieren, wenn sie nachweisen konnten, dass sie die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Prospekts nicht kannten und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhte (§ 45 BörsG aF). Zudem ordnete § 46 BörsG aF an, dass ein Schadenersatzanspruch aus § 44 BörsG in einem Jahr seit dem Zeitpunkt verjährte, zu dem der Erwerber von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Prospekts Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung des Prospekts.

In diesen Regelungen der §§ 45, 46 BörsG aF dürfte die tiefere Begründung dafür liegen, dass die Rechtsprechung lange Jahre die Auffassung vertrat, dass die (bürgerlich-rechtliche) Prospekthaftung im weiteren Sinne als eine Form der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss der genannten spezialgesetzlichen Prospekthaftung im Sinne einer Anspruchskonkurrenz zur Seite gestellt werden müsse (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 09.07.2013 - BGH Aktenzeichen II ZR 9/12; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.05.2019 - 4 U 236/17). Die herrschende Literatur hatte dagegen bereits früh die Auffassung vertreten, dass die genannte gesetzliche Prospekthaftung als die spezielle Regelung in ihrem Anwendungsbereich die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung verdränge und lehnte eine Anspruchskonkurrenz folgerichtig ab.

Die jüngste Entscheidung des XI. Senats erteilte nun der in der Rechtsprechung vielfach vertretenen „Konkurrenzlösung“ eine Absage und setzte inhaltlich teilweise wortgleich auf eine Entscheidung vom 23.10.2018 auf, in welcher der XI. Senat bereits mit Blick auf § 127 Abs. 1 Investitionsgesetz aF unter Verweis auf den Willen des Gesetzgebers in schulmäßiger Auslegungsarbeit den Vorrang der spezialgesetzlichen Haftung vor der Prospekthaftung im weiteren Sinne ausgesprochen hatte.

Die jüngste Entscheidung des für Kapitalanlage-Musterverfahrensgesetz zuständigen XI. Zivilsenats ist für die Veröffentlichung in die Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (BGHZ) vorgesehen und darf getrost als wegweisend bezeichnet werden. Mit seiner dogmatisch folgerichtigen Begründung dürften die hier aufgestellten Maßstäbe uneingeschränkt auch in Einzelverfahren gegen Gründungsgesellschafter und andere Veranlasser im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BörsG aF zur Anwendung kommen, soweit dort wegen vermeintlicher Prospektfehler auf Schadenersatz wegen Prospekthaftung im weiteren Sinne geklagt wird.

(BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – XI ZR 35/18)

Stephen-Oliver Nündel, Rechtsanwalt
Frankfurt a.M.

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