Dezember 2014 Blog

Erheblicher Kalkulationsirrtum bei der öffentlichen Vergabe

Ist für den öffentlichen Auftraggeber ein erheblicher Kalkulationsirrtum erkennbar, verstößt er gegen seine Rücksichtnahmepflichten, wenn er dem Bieter dennoch den Zuschlag erteilt.

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte das Land Niedersachsen Straßenbauarbeiten öffentlich ausgeschrieben. Ein Bieter bot seine Leistung für rund 455.000 € an. Das nächsthöhere Angebot belief sich bereits auf rund 621.000 €. Als der Bieter bemerkte, dass er bei einer Angebotsposition einen falschen Mengenansatz zugrunde gelegt hatte, bat er die Vergabestelle, ihn aufgrund dieses Irrtums von der Vergabe auszuschließen. Das Land Niedersachsen wies diese Bitte zurück und erteilte dem Bieter den Zuschlag für die Straßenbauarbeiten.

Da der Bieter es ablehnte, die Arbeiten zu dem angebotenen Preis auszuführen trat das Land Niedersachsen von dem Vertrag zurück und beauftragte einen anderen Unternehmer. Die hierdurch entstandenen Mehrkosten machte es anschließend als Schadensersatz geltend.

Der für Vergabesachen zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat sich den Vorentscheidungen des Landgerichtes Hannover – Urteil vom 24. Juni 2013 – 19 O 90/12 und des Oberlandesgerichtes Celle – Urteil vom 20. Februar 2014 – 5 U 109/13 angeschlossen und einen Schadensersatzanspruch verneint.

Der BGH gibt zu erkennen, dass der öffentliche Auftraggeber mit der Zuschlagserteilung gegen seine Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB verstoße, „wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen.“ Eine besondere Bedeutung käme dabei auch dem Abstand von dem günstigsten zum zweitgünstigsten Angebot zu.

Der Bundesgerichtshof stellt jedoch klar, dass es sich bei dem entschiedenen Fall um eine Ausnahme handelt. Es dürfe dem Bieter nicht ermöglicht werden sich im Nachhinein von einem bewusst zu niedrig kalkuliertem Angebot zu lösen, dass ihm nun auch selbst zu niedrig erscheine. Der öffentliche Auftraggeber könne, wenn tatsächlich eine solche Ausnahme vorläge und er den Vertragsschluss dennoch herbeiführe, weder Erfüllung noch Schadensersatz verlangen.

Die Urteilsgründe wurden bisher noch nicht veröffentlicht. Die Entscheidung des BGH kann zumindest vom Ergebnis her jedoch nicht als überraschend bezeichnet werden.

Auch das Angebot des Bieters stellt ein nach § 145 BGB bindendes Angebot dar. Eine Anfechtung nach § 119 Absatz BGB scheidet aus, da es sich bei dem Kalkulationsirrtum lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt. Dieser ist nach dem BGH Urteil vom 07.07.1998, Az. X ZR 17/97 selbst dann unbeachtlich, wenn der Irrtum erkennbar war.

Auf dieses Urteil des BGH beruft sich auch die Vorinstanz. Hiernach trage derjenige, der aufgrund einer unrichtigen Berechnungsgrundlage einen Preis ermittle und seinem Angebot zugrunde lege, auch das Risiko dafür, dass diese Kalkulation zutrifft. Daraus folge auch, dass der Auftraggeber das Angebot nicht auf etwaige Fehler überprüfen müsse, es sei denn ein solcher dränge sich geradezu auf.

Bereits in diesem Urteil erwähnte der BGH, dass es grundsätzlich möglich sei, bei einem Kalkulationsirrtum auf das allgemeine Rechtsinstitut des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zurückzugreifen. Nun führt der BGH weiter aus, dass durch die Zuschlagserteilung in Ausnahmefällen auch gegen die Rücksichtnahmepflicht aus §§ 311 Absatz 2 Nr. 1, 241 Absatz 2 BGB verstoßen werde. Ein solcher Verstoß läge jedoch nur vor, wenn es sich um eine nicht mehr annähernd äquivalente Gegenleistung handle. Der BGH ist somit wie auch die Vorinstanz nicht der Ansicht des Landes Niedersachsen gefolgt, dass es für einen solchen auch notwendig sei, dass der Auftragnehmer in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten müsse.

Nach dieser neuesten Entscheidung des BGH soll dem Abstand vom günstigsten zum zweitgünstigsten Bieter eine besondere Bedeutung zukommen, wenn es um die Klärung der Frage des Vorliegens eines insofern „wesentlichen“ Kalkulationsirrtums geht. Der BGH stellte bereits in dem Urteil von 1998 fest, dass besonders zu beachten sei, dass eine breite Streuung der Angebote bei Ausschreibungen häufig vorkomme. Ein grundsätzlich ausgelastetes Unternehmen, das den Auftrag an ein Subunternehmen weitergeben wolle, gebe eher hohe Angebote ab, während zur Überbrückung von betrieblichen Flauten eher niedrige Angebote abgegeben würden, um den Zuschlag überhaupt zu erhalten. Eine Bedeutung könne dem Abstand zum nächsthöheren Bieter deshalb nur dann zukommen, wenn das Angebot als einziges deutlich günstiger sei als die anderen Angebote.

(BGH, Urteil vom 11. November 2014 – X ZR 32/14)

Nils-Alexander Weng, Rechtsanwalt 

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