Dezember 2017 Blog

Weg frei für die „Verbesserungsgenehmigung“ im Baurecht

Kann ein Vorhaben genehmigungsfähig sein, wenn sich zwar die Immissionssituation insgesamt verbessert, aber geltende Immissions-(richt-)werte weiterhin überschritten werden? Das hat das Bundesverwaltungsgericht nun auch für baurechtlich zu genehmigende Vorhaben bejaht und den Weg für die „Verbesserungsgenehmigung im Baurecht“ frei gemacht.

Für die dem Immissionsschutzrecht unterfallenden Anlagen hat der Gesetzgeber diese Frage bereits im Jahr 2010 mit der Einführung des § 6 Abs. 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) beantwortet und eine solche „Verbesserungsgenehmigung“ ausdrücklich zugelassen. Für diejenigen Vorhaben dagegen, die lediglich einer baurechtlichen Genehmigung nach den Landesbauordnungen (LBauO) in Verbindung mit dem Baugesetzbuch (BauGB) bedürfen, war die Anerkennung entsprechender Verbesserungen im Genehmigungsverfahren in den letzten Jahren obergerichtlich höchst umstritten. Hier hat das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung nun für rechtliche Klarheit und für Erleichterung bei den betroffenen Betrieben gesorgt.

Rechtlicher Hintergrund
Die Genehmigung für ein beantragtes Vorhaben ist sowohl nach dem Immissionsschutzrecht als auch nach dem Baurecht grundsätzlich nur dann zu erteilen, wenn keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden, also insbesondere die geltenden Immissions-(richt-)werte eingehalten werden. Kann dies nicht gewährleistet werden, ist die Genehmigung grundsätzlich zu versagen.

Vor allem in Gebieten mit einer hohen Vorbelastung, etwa aufgrund einer besonderen Konzentration von emittierenden Betrieben, ist in der Praxis eine Einhaltung aller immissionsseitigen Vorgaben allerdings häufig – trotz Ausschöpfung aller betrieblichen und technischen Möglichkeiten – nicht möglich. Liegt nämlich bereits die Vorbelastung oberhalb des vorgesehenen Wertes, ist grundsätzlich jede weitere (relevante) Erhöhung der Immissionsbelastung und sogar jede diese Situation verfestigende Änderung unzulässig. Für einen bestehenden emittierenden Betrieb bedeutet dies, dass nicht nur jede Erweiterung, sondern sogar jedwede (immissionsseitig neutrale oder verbessernde) Änderung seiner Anlage unzulässig wäre. Denn der einzelne Anlagenbetreiber kann lediglich versuchen, durch den Einsatz emissionsmindernder Maßnahmen seine eigenen Immissionen so weit wie möglich zu reduzieren; auf die Vorbelastung durch andere Betriebe wird er regelmäßig nicht einwirken können. Durch die bloße Reduzierung seiner eigenen Zusatzbelastung wird er bei einer bereits überhöhten Vorbelastung aber keine zulässige Gesamtbelastung erreichen können.

Ansatz der Verbesserungsgenehmigung

Ein gewisses Störgefühl stellt sich in der vorstehend beschriebenen Situation vor allem in solchen Fällen ein, in denen die geplante Erweiterung eines vorhandenen Betriebes in Kombination mit Sanierungsmaßnahmen an der bestehenden Anlage insgesamt zu einer Verbesserung der Immissionssituation, also auch der Gesamtbelastung führt. Für die Nachbarschaft ist eine solche Entwicklung grundsätzlich positiv, weil gerade eine Reduzierung oberhalb der vorgesehenen Vorgaben mitunter deutlich spürbar sein wird. Würde man in solchen Fällen – ungeachtet der eintretenden Verbesserung – die Genehmigung versagen, wären den betroffenen Betrieben trotz größter Anstrengungen bei der Emissions- und Immissionsminderung jedwede Erweiterungsmöglichkeiten genommen und zugleich würde mit der Ablehnung der Sanierung eine eigentlich vom Anlagenbetreiber gewollte Sanierung und damit auch eine Entlastung der von den Immissionen betroffenen Nachbarschaft verhindert.

Mit § 6 Abs. 3 BImSchG hat der Gesetzgeber für immissionsschutzrechtlich zu genehmigende Anlagen genau diesen Fall geregelt und festgelegt, dass im Fall einer deutlichen Reduzierung des eigenen Immissionsbeitrages und bei zusätzlichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung, eine Änderungsgenehmigung trotz verbleibender Überschreitungen erteilt werden soll. Hierdurch sollte auch ein Anreiz zur Sanierung immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen gesetzt werden. Im Baurecht fehlt eine solche ausdrückliche Regelung.

Obergerichtliche Rechtsprechung
Das Fehlen einer solchen ausdrücklichen Regelung im Baurecht hat in den vergangenen Jahren vor allem im Hinblick auf durch landwirtschaftliche Tierhaltungsanlagen hervorgerufenen Geruchsimmissionen besondere Relevanz entwickelt. Hier ist es zu einer sehr unterschiedlichen Bewertung entsprechend genehmigter Verbesserungsmaßnahmen in der Oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gekommen, wobei sich vor allem die beiden Oberverwaltungsgerichte der Länder Nordrhein-Westfahlen und Niedersachen gegensätzlich positioniert haben:

Während das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Auffassung vertreten hat, dass auch im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens auf den „Rechtsgedanken des § 6 Abs. 3 BImSchG“ zurückgegriffen werden könne (OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2013, Az. 2 B 141/13), hat das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen dies mehrfach ausdrücklich abgelehnt (OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 8. November 2012, Az. 1 ME 128/12, 6. März 2013, Az. 1 ME 205/12 sowie 9. Juni 2015, Az. 1 LC 25/14).

Insbesondere für Betriebe in Niedersachsen hat diese Rechtsprechung in den letzten Jahren in vielen Gegenden zu einem regelrechten „Genehmigungsstillstand“ und damit letztlich auch „Sanierungsstillstand“ geführt, der sowohl für die betroffenen Anlagenbetreiber als auch die Nachbarschaft im höchsten Maße unzufrieden stellend war.

Klarstellung durch das Bundesverwaltungsgericht
Die jüngste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen ist nun in der Revision vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben worden (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2017, Az. 4 C 3/16). In seinem Urteil hat der zuständige 4. Senat klargestellt, dass in einem durch landwirtschaftliche Geruchsimmissionen vorbelasteten Gebiet eine Baugenehmigung nicht wegen des Hervorrufens schädlicher Umwelteinwirkungen zu versagen ist, „wenn durch das Vorhaben die vorhandene Immissionssituation zumindest nicht verschlechtert wird“. Eine Grenze bilde insoweit lediglich die Gesundheitsgefahr, außerdem müsse die Anlage den Anforderungen für nicht genehmigungsbedürftige Analgen nach § 22 BImSchG (insbesondere Einhaltung des Stands der Technik) genügen. In einem solchen Fall sei eine Anlage folglich genehmigungsfähig, obwohl die Geruchswerte überschritten seien, weil das Vorhaben eben nicht zu einer Verschlechterung bzw. sogar zu einer Verbesserung der Immissionswerte führe. Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht auf die schutzmindernde Wirkung der Vorbelastung durch schon vorhandene emittierende Nutzungen hingewiesen, die bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Belästigungen zu berücksichtigen seien. Im Umfang der Vorbelastung seien Immissionen zumutbar, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet nicht hinnehmbar wären.

Praktische Bedeutung

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht nun bundesweit den aufgrund der uneinheitlichen Oberverwaltungsgerichtsrechtsprechung bis dahin bestehenden und schwer erträglichen Zustand der Rechtsunsicherheit beendet. Als echten „Befreiungsschlag“ dürften vor allem Anlagenbetreiber in Niedersachsen das Urteil empfinden. Die Entscheidung ermöglicht nun einerseits Betrieben in Gegenden mit einer bereits hohen Geruchsbelastung (wieder) eine wirtschaftliche Weiterentwicklung. Gleichzeitigt wird durch die Anerkennung von Verbesserungen der Immissionssituation der Weg frei gemacht für Sanierungen und Modernisierungen bestehender Anlagen, die letztlich auch der Nachbarschaft zu Gute kommen werden.

(BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2017, Az. 4 C 3/16)

Corinna Lindau, LL.M., Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht
GvW Hamburg

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