Dezember 2019 Blog

Leis­tungs­ver­zeich­nis er­kenn­bar fehler­haft: Auftrag­neh­mer muss sei­ner Prüf- und Hinweis­pflicht nach­kommen!

Das Oberlandesgericht Celle hat entschieden, dass im Rahmen einer fehlerhaften Ausschreibung eine Prüf- und Hinweispflicht des Bieters besteht, wenn die Ausschreibungsunterlagen offensichtlich falsch sind. Kommt der Auftragnehmer seiner Verpflichtung nicht nach, ist er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Mehrvergütungs- oder Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Sachverhalt

Die Beklagte beauftragte die Klägerin nach Durchführung eines Vergabeverfahrens mit den Arbeiten für den Neubau einer Bundesstraße. Nach der Leistungsbeschreibung umfasste die Beauftragung auch die Auskofferung des Bodenbelags.

Die Leistungsbeschreibung war hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit, insbesondere des Kohlenstoffgehalts und der davon abhängigen Verwertung des Bodenmaterials widersprüchlich. In der Baubeschreibung wurde zunächst auf einen erhöhten Kohlenstoffgehalt (TOC-Wert) hingewiesen und eine fachgerechte Entsorgung ausdrücklich gefordert. Im Widerspruch dazu wurde im Leistungsverzeichnis die Bodenbeschaffenheit als nicht überwachungsbedürftig bezeichnet. Ein den Vergabeunterlagen beigefügtes Gutachten stufte die Bodenbeschaffenheit zusammenfassend analog der LAGA-Einbauklasse Z 1.1 ein, obwohl die Feststellungen im Detail eine höhere Einstufung rechtfertigten.

Der Kläger hatte bereits vor Angebotseröffnung auf die Unstimmigkeiten hingewiesen. Daraufhin stufte die Beklagte die Bodenbeschaffenheit im Leistungsverzeichnis als „besonders überwachungsbedürftig“ und gleichzeitig in die LAGA-Einbauklasse Z 1.1 ein.

Die Klägerin legte ihrer Kalkulation des Angebotes die niedrigere Einbauklasse zu Grunde. Nach Erhalt des Auftrags beauftragte die Klägerin ebenfalls die Erstellung eines Gutachtens über die Schadstoffbelastungen für den ersten Teilabschnitt der Bundesstraße. Die daraufhin durchgeführten Bodenproben ergaben wiederum eine Einstufung in eine höhere Einbauklasse.

Mit der Klage begehrt die Klägerin nunmehr einen Mehrvergütungsanspruch, da  die tatsächlichen Bodenverhältnisse eine andere Einbauklasse aufwiesen als der Kalkulation zu Grunde gelegt wurden. Zudem stellt nach Ansicht der Klägerin die fehlerhafte Bezeichnung der Bodenqualität im Leistungsverzeichnis eine vorvertragliche Pflichtverletzung der Beklagten dar.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Celle erachtet die Berufung der Klägerin als unbegründet.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ergab, dass die Einstufung der Bodenbeschaffenheit in die Einbauklasse Z 1.1 im Rahmen der Ausschreibungsunterlagen fehlerhaft war, da sie nicht den tatsächlichen Bodenverhältnissen entsprach. Die Fehlerhaftigkeit der pauschalen Einstufung des zu entsorgenden Bodenmaterials in die Einbauklasse Z 1.1 war auch erkennbar, weil die Detailerkenntnisse des der Ausschreibung zu Grunde gelegten Gutachtens hierzu im Widerspruch stand.

Die Ausschreibungsunterlagen waren daher offensichtlich fehlerhaft. Das Leistungsverzeichnis war in sich widersprüchlich und nicht mit dem zu Grunde gelegten Gutachten in Einklang zu bringen. Für die Beurteilung einer mangelhaften Ausschreibung kommt es nach Rechtsprechung des BGH in erster Linie auf den Wortlaut, sodann die besonderen Umstände des Einzelfalls, die Verkehrssitte und die Grundsätze von Treu und Glauben an. Die Auslegung erfolgt dabei gem. §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter. Im Rahmen der Auslegung sind alle Ausschreibungsunterlagen zu berücksichtigen. Im Ergebnis war die zu erbringenden Leistung entgegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben und die Ausschreibung damit mangelhaft.

Dies war für die Klägerin auch erkennbar. Die Klägerin durfte daher nicht ohne Klärung mit einem Boden der Einbauklasse Z 1.1 kalkulieren. Die Klägerin hat durch fehlende Aufklärung ihre Prüfungs- und Hinweispflichten verletzt. Grundsätzlich besteht zwar keine Pflicht des Bieters, auf Fehler in den Ausschreibungsunterlagen hinzuweisen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Ausschreibungsunterlagen – wie zuvor dargestellt – offensichtlich falsch sind. Da die Klägerin zunächst bezüglich des zu lösenden Bodens nachfragte, war sie sich ihrer Prüf- und Hinweispflicht auch bewusst. Das daraufhin neu gefasste Leistungsverzeichnis war jedoch ebenfalls offensichtlich widersprüchlich. Die Klägerin war aufgrund der zuvor erkannten Unklarheit der Leistungsbeschreibung verpflichtet, auch die neu gefasste und erkennbar fehlerhafte Beschreibung sorgfältig zu prüfen. Dass die Klägerin tatsächlich weiterhin Zweifel an der pauschalen Einstufung des Bodens hatte, erklärt, weshalb sie selbst zu Arbeitsbeginn ein Bodengutachten in Auftrag gegeben hatte.

Ist die Ausschreibung für einen Bieter aber erkennbar mangelhaft, kann er sich nicht auf eine für ihn günstige Einstufung berufen, die Leistung entsprechend attraktiv anbieten und im Nachgang auf einen Mehrvergütungs- oder Schadensersatzanspruch berufen. Insofern ist der Bieter nicht schutzwürdig.

Praxishinweis

Noch im Juli hatte die VK Lüneburg ebenfalls zur VOB/A entschieden, dass ein Bieter bei einem erkannten Fehler im Leistungsverzeichnis die Wahl habe zwischen der Aufklärung des Fehlers (per Bieterfrage oder Rüge) und der Ausnutzung des Fehlers im Wege eines besonders günstigen Angebotes. Im konkreten Fall kam dies zwar nicht zum Tragen, da der Bieter einen unzulässigen dritten Weg gewählt hatte, nämlich die „Korrektur“ der Vergabeunterlagen, welche zu Recht zum Ausschluss seines Angebotes geführt hatte. Nunmehr ist mit Blick auf die Entscheidung des OLG Celle jedoch zu raten, etwaige Fehler in den Vergabeunterlagen immer erst aufzuklären – im Zweifel auch mehrfach!

(OLG Celle, Urteil vom 20. November 2019 – 14 U 191/13)

Jana Gretschel, LL.M., Rechtsanwältin
Daniel Metz, Rechtsanwalt
beide München 

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