Dezember 2012 Blog

Baulärm bei innerstädtischen Bauprojekten

Baubehörden müssen bei Bauvorhaben Anlieger vor Lärm und Erschütterungen schützen, die von Bauarbeiten ausgehen. Das hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof am 31. Mai entschieden. Die Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für innerstädtische Bauprojekte.

Die Hessischen Verwaltungsgerichte haben anlässlich einer Großbaustelle im Frankfurter Westend den zuständigen städtischen Behörden mit sehr deutlichen Worten aufgegeben, Anwohner und andere Anlieger vor Lärm und Erschütterungen zu schützen. Trotz zahlreicher mehrere Monate lang andauernder Beschwerden - u.a. eines benachbarten Gymnasiums, das wegen der intensiven Abbrucharbeiten sogar seine Abiturprüfung an einen anderen Ort verlegen musste - war die Stadt untätig geblieben. Daraufhin war ein Nachbar vor das Verwaltungsgericht Frankfurt gezogen und hatte auch in zweiter Instanz Erfolg. Die Gerichte haben nun Grenzwerte für den zulässigen Baulärm festgesetzt und die Stadt verpflichtet, alle von der Baustelle ausgehenden Immissionen wöchentlich zu kontrollieren. Sehr laute Baumaschinen dürfen gar nicht mehr oder nur noch in bestimmter Weise und zu bestimmten Zeiten eingesetzt werden. Ist dies ein Präzedenzfall, der zukünftig dazu führt, dass Bauprojekte mit erheblicher Lärmentwicklung in innerstädtischen Lagen gar nicht mehr oder nur unter erheblicher Kostensteigerung verwirklicht werden können?

Die Entscheidungen sind von erheblicher Bedeutung für alle innerstädtischen Bauprojekte, vor allem diejenigen mit aufwändiger Gründung oder vorangehenden Abbrucharbeiten. Zukünftig müssen alle von einer Baustelle ausgehenden Immissionen regelmäßig in kurzen Abständen kontrolliert und dokumentiert werden und der Bauherrn muss alle ihm technisch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Beeinträchtigungen möglichst gering zu halten.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 31. Mai 2011 (Az. 9 B 1111/11) auf den vorinstanzlichen Beschluss des VG Frankfurt vom 21. April 2011 der Stadt Frankfurt am Main aufgegeben, unverzüglich durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass durch die Großbaustelle im Westend Grenzwerte für den Baulärm eingehalten werden. Geklagt hatte ein Rechtsanwalt, der sein Büro gegenüber der Baustelle betreibt und dort auch wohnt. Besonders laute Maschinen dürfen an Sonn- und Feiertagen sowie an Werktagen in der Zeit von 20.00 Uhr bis 7.00 Uhr morgens nicht mehr betrieben werden. Weiterhin ist die Stadt Frankfurt verpflichtet worden, eigene Lärmmessungen an der Baustelle durchzuführen und diese auch zu dokumentieren, um nachzuweisen, dass die Grenzwerte gegenüber den Anwohnern eingehalten werden.

Die Stadt Frankfurt hatte bislang darauf verwiesen, dass sie keine weitere Handhabe gegen den Baustellenlärm habe und auf die zuvor seit mehreren Monaten geäußerten Beschwerden der Anwohner und der Schüler eines ebenfalls benachbarten Gymnasiums nur ausweichend reagiert.

Die Gerichte haben nun klargestellt, dass die Stadt sowohl nach dem geltenden Immissionsschutzrecht als auch nach dem Bauordnungsrecht gehalten ist, gegen unzulässig laute Bauarbeiten ordnungsbehördlich vorzugehen. Sie könne nicht entscheiden, ob sie überhaupt tätig werden wolle, sondern ein Ermessen stehe ihr nur hinsichtlich der Frage zu, welche Maßnahmen zu ergreifen seien. Die Stadt Frankfurt hat bereits verlautbart, dass ihr die gerichtlich geforderte Überwachung Probleme bereiten wird, da sie gar nicht genug personelle Mittel habe, um der Kontrollaufgabe für alle Baustellen im Stadtgebiet nachzukommen.

Die anzuwendenden Grenzwerte haben die Gerichte der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm vom 19.08.1970 (AVV Baulärm) entnommen. Sie gilt schon lange, ihre Einhaltung während der Bauarbeiten wurde durch die Behörden aber häufig nicht kontrolliert und auch nicht vollzogen. Dieser Praxis haben die Gerichte nun ein Ende gesetzt. Während das Verwaltungsgericht Frankfurt in erster Instanz die noch niedrigeren Grenzwerte von 55 Dezibel tagsüber und 40 Dezibel nachts anwenden wollte, hat der VGH Kassel auf die höheren Grenzwerte 65 Dezibel tagsüber und 50 Dezibel nachts abgestellt. Die AVV Baulärm nennt verschiedene Grenzwerte. Welcher davon gilt, hängt davon ab, in welchem Gebiet die Baustelle liegt. Es ist dem Bauherrn zu raten, dies mit rechtlicher Unterstützung in jedem Einzelfall zu prüfen. Der VGH hat hier z. B. entgegen des geltenden Bebauungsplans kein reines Wohngebiet angenommen, sondern darauf abgestellt, dass die tatsächliche bauliche Nutzung durch Wohnen und Büronutzung gekennzeichnet sei. Es kommt also auf die tatsächliche Nutzung vor Ort an. Als Schwellenwert für den Übergang zur Gesundheitsgefährdung nimmt auch die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung jedenfalls einen sog. „energieäquivalenten Dauerschallpegel“ von etwa 70 Dezibel tagsüber an.

Weiterhin hat der VGH Kassel die strenge Sichtweise der unteren Instanz aufgehoben, wonach bei der Bemessung der Einhaltung der Grenzwerte auch die Hintergrundbelastung durch bereits vorhandenen Lärm zu berücksichtigen sei (summative Betrachtung der Gesamtbelastung). Hätte sich diese Sichtweise durchgesetzt, wären innerstädtische Bauvorhaben in Gebieten mit hoher Straßenlärmbelastung oder anderer Vorbelastung durch bereits vorhandene Lärmquellen nahezu undurchführbar geworden. Der VGH Kassel hat diesen Ansatz nicht geteilt und stellt stattdessen auf den allein von der Baustelle ausgehenden Lärm ab. Maßnahmen sollen dann angeordnet werden, wenn der Beurteilungspegel des von den Baumaschinen ausgehenden Lärms den festgesetzten Grenzwert um mehr als 5 Dezibel überschreitet.

Betroffene Anwohner müssen den Lärm auch nur dann hinnehmen, wenn er nach dem Stand der Technik unvermeidbar ist. Ist jedoch der Einsatz modernerer und damit geräuschärmerer Baumaschinen möglich und zumutbar, oder gibt es andere Maßnahmen wie z.B. mobile Schallschutzwände, hat der Bauherr diese zu verwenden, um den Lärm zu mindern. Er ist verpflichtet, besonders laute Maschinen gar nicht oder zumindest nicht gleichzeitig zu nutzen. Kommt er dem nicht freiwillig nach, ist die zuständige Behörde verpflichtet, die zur Reduzierung der Lärmbelastung erforderlichen Anordnungen zu treffen und mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Die Einhaltung ist durch ständige Überwachung sicherzustellen. Die Behörde kann eigene Lärmmessungen vornehmen oder, was aufgrund des personellen und finanziellen Mangels wahrscheinlicher ist, dem Bauherrn im Wege der Eigenüberwachung aufgeben, kontinuierliche Lärmmessungen durch einen Sachverständigen vorzunehmen und vorzulegen.

Der Beschluss des VGH Kassel ist rechtskräftig.

Im Ergebnis bedeuten diese Urteile also erhebliche Verschärfungen im Vollzug der an sich schon lange geltenden immissionsrechtlichen Anforderungen an Baustellen. Betroffene Anwohner müssen Lärm durch Baustellen und eine Untätigkeit der Behörden nicht hinnehmen, sondern können das Eingreifen der zuständigen Behörden bis hin zu einem Baustopp durch Gerichtsbeschluss erzwingen. Das auch schon bisher vorhandene Risiko des Bauherrn, dass der Nachbar damit durchdringt, hat sich durch die neuen Entscheidungen nochmals erhöht. Es ist daher anzuraten, sowohl den Bauzeitenplan als auch die Auswahl der Baumaschinen, ihren Einsatz und die jeweils geltenden Grenzwerte schon vorab bei der Projektplanung und der Auftragsvergabe mit Unterstützung durch fachkundige Berater genau zu bestimmen, um derartige unliebsame und kostentreibende Überraschungen zu vermeiden.

Rechtsanwältin Dr. Bettina Schmitt-Rady

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