Mai 2017 Blog

Die 9. GWB-Novelle: Kartellrecht im Zeitalter der Digitalisierung

Mit dem 9. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll das Wettbewerbsrecht an die Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft angepasst werden. Konkret bedeutet dies die Ergänzung der Kriterien zur Annahme einer marktbeherrschenden Stellung sowie die Einführung eines weiteren Aufgreiftatbestandes in der Fusionskontrolle.

Am 31. März 2017 (BR-Drs. 207/17) hat der Bundesrat den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 07. November 2016 (BT-Drs. 18/10207) gebilligt und damit den Weg für eine Änderung des Gesetzes freigegeben, mit der das Kartellrecht an das digitale Zeitalter angepasst werden soll.

So verweist der Gesetzesentwurf gleich zu Beginn auf die seit der letzten Novelle 2013 vorangeschrittene Digitalisierung der Wirtschaft. Mit dieser einhergeht nach Einschätzung der Bundesregierung die Entwicklung neuer internet- und datenbasierter Geschäftsmodelle mit erkennbaren Konzentrationstendenzen. Vor dem Hintergrund wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse folge hieraus „ein gewisser Anpassungsbedarf“ des GWB. Konkretisiert wird dahingehend, dass mit der 9. GWB-Novelle der Schutz vor Missbrauch der Marktmacht und eine wirksame Fusionskontrolle sichergestellt würden. Bei der Gesetzesänderung geht es mit Blick auf Fragen der Digitalisierung also um die Ergänzung und Klarstellung der Kriterien, nach denen eine marktbeherrschende Stellung anzunehmen ist. Ferner geht es um die Erweiterung der Fusionskontrolle. Zugleich sieht die Novelle eine Privilegierung für verlagswirtschaftliche Kooperationen durch Ausnahme vom Kartellverbot vor.

Zur Frage der Marktbeherrschung stellt die Novelle mit § 18 Abs. 2a GWB n.F. klar, dass auch im Fall einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung ein Markt vorliegen kann. Darüber hinaus enthält die Novelle mit § 18 Abs. 3a GWB n.F. einen Katalog an Kriterien, der bei der Beurteilung der Marktstellung von Unternehmen künftig zu berücksichtigen ist: Netzwerkeffekte, die parallele Nutzung mehrerer Dienste und der Wechselaufwand („Lock-in“), die Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten, der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und der innovationsgetriebene Wettbewerbsdruck. Diese Kriterien gelten nach dem Wortlaut des Gesetzes „insbesondere“ bei mehrseitigen Märkten, also Märkten mit mindestens zwei unterscheidbaren Nutzergruppen (insbesondere Netzwerke und Plattformen). Mit dieser Formulierung – und wie die Gesetzesbegründung klarstellend ausführt – können diese Kriterien jedoch auch in anderen Bereichen berücksichtigt werden. Zugleich anerkennt die Novelle die rasanten Entwicklungen in der digitalen Ökonomie und verpflichtet das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gemäß § 18 Abs. 8 GWB n.F., nach Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten den gesetzgebenden Körperschaften über die Erfahrungen mit den neuen Vorschriften zu berichten.

Die Erweiterung der Fusionskontrolle wird mit Beispielen aus der digitalen Ökonomie begründet, bei denen Startups durch etablierte Unternehmen übernommen werden konnten, ohne dass eine Kontrolle durch die Kartellbehörden erfolgte. Grund dafür war, dass die Zusammenschlusskontrolle bislang nur Zusammenschlüsse von Unternehmen erfasst, deren Umsätze im vorangegangenen Geschäftsjahr einen bestimmten Schwellenwert erreicht haben. Insbesondere sind nach deutschem Recht von mindestens zwei Beteiligten Mindestumsätze im Inland erforderlich (EUR 25 Millionen bzw. 5 Millionen). Das ist gerade bei Startups häufig noch nicht der Fall. Dennoch können Geschäftsideen ein hohes Marktpotenzial und eine ganz erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Erwerber haben. Auch können solche Übernahmen zu einer gesamtwirtschaftlich unerwünschten Marktbeherrschung oder erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führen. Konkret ist an die Übernahme von WhatsApp durch Facebook zu denken: Zwar zahlte Facebook einen Kaufpreis von USD 19 Milliarden; mangels hinreichender Umsätze von WhatsApp unterlag die Übernahme aber weder der europäischen noch der deutschen Fusionskontrolle (die Prüfung durch die Europäische Kommission erfolgte auf Antrag Facebooks, nachdem eine Prüfung in drei Mitgliedstaaten erforderlich geworden war). Aus diesen Gründen wird die Fusionskontrolle nun mit § 35 Abs. 1a GWB n.F. auf Fälle ausgeweitet, bei denen das Target zwar noch keine (erheblichen) Umsätze erzielt hat, der Wert der Gegenleistung (in der Regel der Kaufpreis) mit über EUR 400 Millionen aber besonders hoch ist. Zugleich wird bei der Definition des Zusammenschlusses für den Vermögens- und Kontrollerwerb klargestellt, dass ein solcher auch dann vorliegt, wenn das Unternehmen, dessen Vermögen bzw. über das die Kontrolle erworben werden soll, im Inland noch keine Umsatzerlöse erzielt hat (§ 37 Abs. 1 Nummern 1 und 2 GWB n.F.).

Zugleich anerkennt die Novelle, dass Digitalisierung, internetbasierte und datengestützte Geschäftsmodelle und gewandeltes Nutzerverhalten den Wettbewerb der Medien verändern. Die Novelle enthält daher gemäß § 30 Abs. 2b GWB n.F. eine Ausnahme vom Kartellverbot für verlagswirtschaftliche Kooperationen. Presseverlagen wird es dadurch ermöglicht, ihre wirtschaftliche Basis zu stärken, um im Wettbewerb mit anderen Medien zu bestehen. Dem Vorschlag des Bundesrates (BT-Drs. 18/10650), die Privilegierung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erstrecken, ist die Bundesregierung allerdings nicht gefolgt.

Zuletzt anerkennt die Gesetzesänderung, dass insbesondere in der digitalen Wirtschaft Daten und der Zugang zu Datenquellen eine erhebliche Bedeutung für die Marktstellung von Unternehmen haben können und die Kartellbehörden und die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern für ihre Aufgabenerfüllung daher auf die Möglichkeit eines umfassenden Austauschs angewiesen sind. Dieser Austausch wird durch eine Klarstellung im Gesetz weiter befördert (§ 50 c GWB n.F.).

Über die weiteren Neuerungen, ob zum Kartellschadensersatz oder zur Schließung der so genannten Wurstlücke, berichten wir in einer kommenden Ausgabe des GvW-Newsletters.

Christian Kusulis, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main

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