November 2015 Blog

Keine Haftung, wenn der Auftraggeber sich trotz Hinweis für risikobehaftete Ausführung entscheidet

Eine Funktionseinschränkung führt ausnahmsweise dann nicht zu einer Haftung des Auftragnehmers, wenn der Auftragnehmer den Auftraggeber auf die Funktionseinschränkung hingewiesen, der Auftraggeber sich aber in Kenntnis der Einschränkung trotzdem für die konkrete Art der Ausführung entschieden hat.

Die vorgenannte Rechtsfolge ergibt sich für den VOB-Vertrag ausdrücklich aus §  4 Abs. 3 VOB/B und gilt nach einem aktuellen Urteil des OLG Stuttgart auch für den BGB-Vertrag.

Sachverhalt

Der Auftraggeber beauftragte den Auftragnehmer die Dächer von ehemaligen Stallgebäuden mit Stahltrapezblechen neu einzudecken.  Der BGB-Vertrag enthält keine Angaben zur Nutzung der Gebäude. In einem Ortstermin vereinbarten die Parteien, dass einige Gebäude mit vlieskaschierten Stahltrapezblechen mit einer Antitropfbeschichtung versehen werden sollen. Diese Gebäude wurden in einem Lageplan eingezeichnet. Bezüglich der übrigen Gebäude sollte es bei der Ausführung mit einfachen Stahltrapezblechen bleiben.

Im Rahmen des Ortstermins hatte der Auftragnehmer den Auftraggeber darauf hingewiesen, dass die einfachen Stahltrapezbleche nicht geeignet sind, wenn das Gebäude als Lager, Abstellraum oder Wohnung genutzt werden soll, weil es an der Unterseite mangels Antitropfbeschichtung zu Tauwasserbildung kommen kann. Der Auftraggeber entschied sich in diesem Wissen bezüglich einzelner Gebäude für eine Ausführung mit Antitropfbeschichtung und bezüglich der übrigen Gebäude für einfache Stahltrapezbleche.

Der Auftragnehmer verlangt Zahlung des Werklohns. Der Auftraggeber wendet Mängel ein und verlangt von dem Auftragnehmer im Rahmen der Mangelbeseitigung den Einbau einer Antitropfbeschichtung in allen Gebäuden.  

Entscheidung des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart gibt dem Auftragnehmer Recht und weist das Mangelbeseitigungsverlangen des Auftraggebers zurück. Der vorhandene Mangel - fehlende Antitropfbeschichtung - ist dem Auftragnehmer nicht zuzurechnen.

In dem Leitsatz der Entscheidung heißt es dazu:

Der Mangel eines Werks ist dem Auftragnehmer  - auch ohne einen Bedenkenhinweis - nicht zurechenbar, wenn dem Auftraggeber die Funktionseinschränkung der vereinbarten Ausführung des Werks bekannt ist und er sich in Kenntnis der Funktionseinschränkung dennoch eigenverantwortlich für diese Ausführung entscheidet. 

Entscheidend für die Frage, ob eine Funktionsbeeinträchtigung einen Mangel darstellt und ob der Auftragnehmer für diesen Mangel haftet, sind die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Grundsätzlich gilt, dass ein Werk frei von Sachmängeln ist, wenn es die vereinbarte Soll-Beschaffenheit aufweist. Die Soll-Beschaffenheit bestimmt sich unter anderem danach, welche Funktion das Werk erfüllen soll. Deshalb liegt ein Mangel vor, wenn der mit dem Vertrag verfolgte Zweck nicht erreicht wird, das Werk also nicht die vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion erfüllt. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die Parteien eine bestimmte Ausführungsart vereinbart haben. Ist die Funktionstauglichkeit mit der vereinbarten Ausführungsart oder den anerkannten Regeln der Technik nicht zu erreichen, schuldet der Auftragnehmer grundsätzlich (die ggf. darüber hinausgehende) Funktionstauglichkeit. 

Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Auftragnehmer den Auftraggeber - vor der Ausführung - auf darauf hingewiesen hat, dass die Funktionstauglichkeit mit der vereinbarten Ausführungsart nicht erreicht werden kann und der Auftraggeber sich in diesem Wissen für die (ungeeignete) vertragliche Ausführungsart entscheidet.

Für den VOB-Vertrag ist das in § 4 Abs. 3 VOB/B ausdrücklich geregelt. Der Auftragnehmer haftet demnach nicht, wenn er den Auftraggeber schriftlich auf seine Bedenken hinweist. Die Bedenkenanzeige muss dabei so ausgestaltet sein, dass der Auftraggeber ausreichend über die Risiken der Ausführung informiert und so in die Lage versetzt wird eine Entscheidung für oder gegen die Ausführung zu treffen (Informations- und Schutzfunktion der Bedenkenanzeige). 

Das Gleiche gilt auch für den BGB-Vertrag. Kennt der Auftraggeber die Risiken einer Ausführung und entscheidet er sich dennoch für dieser Ausführungsart, ist er alleine verantwortlich und den Auftragnehmer trifft keine Haftung.

Das OLG Stuttgart stellt darüber hinaus klar, dass der Auftragnehmer nicht die Verpflichtung hat, Nachforschungen bezüglich der Nutzung der einzelnen Gebäude anzustellen oder die Entscheidung des Auftraggebers bezüglich der Ausführung einzelner Gebäude ohne Antitropfbeschichtung zu hinterfragen, wenn er den Auftraggeber auf die Folgen hingewiesen hat.

Fazit und Ausblick

Für den Auftragnehmer gilt in der Praxis: Bedenkenanzeigen sollten immer schriftlich und so ausführlich erteilt werden, dass der Auftraggeber eine ausreichende Entscheidungsgrundlage hat. Die Entscheidung des Auftraggebers über die Ausführung sollte der Auftragnehmer sich dann wiederum schriftlich bestätigen lassen. Nur so kann der Auftragnehmer im Streitfall die Bedenkenanzeige und die Anordnung zur Ausführung nachweisen.

Für dem Auftraggeber gilt grundsätzlich das Gleiche: Er sollte sich die Bedenkenanzeigen des Auftragnehmers immer schriftlich geben lassen und die daraus folgenden Anordnungen zur Ausführung immer schriftlich und mit Bezug auf die Bedenkenanzeige erteilen.  Nur so kann der Auftraggeber im Streitfall zeigen, dass er nicht ausreichend informiert war bzw. welche Anordnungen er konkret getroffen hat.

Für Auftraggeber und Auftragnehmer gilt: Bei Abschluss des Bauvertrages sollte auf eine klare Regelung zu der geplanten Nutzung bzw. Funktion des Werkes geachtet werden.

(OLG Stuttgart Urteil vom 31.03.2015 - 10 U 93/14)

Melanie Eilers, Rechtsanwältin, Hamburg

 

Anmeldung zum GvW Newsletter

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!