März 2024 Blog

Anforderungen an die Chargenvermutung

Nachdem die Anforderungen an eine „eingehende Prüfung“ zur Widerlegbarkeit der sogenannten Chargenvermutung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bisher nur in sehr wenigen gerichtlichen Entscheidungen konkretisiert wurden, hat sich nun erstmalig auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht in einem Beschluss vom 05.10.2023 vertieft mit den rechtlichen Kriterien der widerlegbaren Vermutung auseinandergesetzt.

Zum Sachverhalt

Bei einem Hersteller von Schnittkäse aus Rohmilch wurden in einer Probe des produzierten Käses Shiga- bzw. Verotoxin-bildende Escherichia coli (VTEC/STEC) und das Toxin-Gen stx1 nachgewiesen. Zudem wurden seitens der Überwachungsbehörde unter anderem in Salzlakebecken und Schmierwasser VTEC/STEC aufgefunden. Weder in der untersuchten Gegenprobe noch nach den weiteren Analyseergebnissen zum untersuchten Schmierbad und Salzwasser waren hingegen Listerien oder pathogene STEC-Keime nachweisbar.

Der Lebensmittelunternehmer wurde verpflichtet, alle ab dem Positivbefund produzierten Käsechargen nicht in den Verkehr zu bringen; Käse und Laken der Salzbäder unter amtlicher Aufsicht unschädlich zu beseitigen oder einer thermischen Behandlung zu unterziehen und die die gesamte Betriebsstätte gründlich zu reinigen und desinfizieren.

Im gegen den Bescheid eingelegten vorläufigen Rechtsschutzverfahren unterlag der Hersteller vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz und erhob Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht in Bautzen.

Grundlegende Entscheidung

Mit Beschluss vom 5. Oktober 2023 stellte der zuständige Senat fest, dass sich der angegriffene Bescheid als voraussichtlich rechtmäßig erweise. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass auch in Bezug auf den ab dem Positivbefund produzierten Käse die Voraussetzungen des Artikels 14 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 voraussichtlich gegeben seien und auch insoweit ein nicht sicheres Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vorliege.

Nach der in Rede stehenden Norm ist bei Einstufung eines Lebensmittels als unsicher regelmäßig davon auszugehen, dass sämtliche Lebensmittel einer Charge unsicher sind, es sei denn, bei einer eingehenden Prüfung wird kein Nachweis dafür gefunden, dass der Rest der Charge, des Postens oder der Lieferung nicht sicher ist.

Zunächst führen die Richter in den Entscheidungsgründen aus, dass unter einer Charge im Sinne von Art. 14 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 in Anlehnung an die Begriffsbestimmung für das Los in § 1 Abs. 2 Los-Kennzeichnungsverordnung die Gesamtheit von Lebensmitteln zu verstehen sei, die unter praktisch gleichen Bedingungen erzeugt, hergestellt oder verpackt wird.

Dem Vorbringen des betroffenen Unternehmens sei nicht zu entnehmen gewesen, dass der weitere produzierte Käse in dieser Hinsicht einem wesentlich anderen Herstellungsprozess unterlag als die positiv auf STEC getesteten Käse.  Insbesondere sei nicht vorgetragen oder nachgewiesen worden, dass (einzelne) hergestellte Käse nur in bestimmten Salzlaken und ohne Schmierwasser behandelt worden seien.

Ausdrücklich unterstreicht das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss sodann, dass die Chargenvermutung widerlegbar sei. Die zwingende Schlussfolgerung der Norm entfalle aber nur, wenn sich bei einer eingehenden Prüfung kein Nachweis dafür findet, dass der Rest der Charge nicht sicher ist. Was eine eingehende Prüfung im vorgenannten Sinn sei, werde dabei durch die Verordnung nicht ausdrücklich geregelt. Auch wenn eine (abschließende) Begriffsklärung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten sei, dürfte es sich nach Einschätzung des Senats „aufgrund der vorstellbaren Vielgestaltigkeit der erfassten Lebenssachverhalte“ um eine Frage des Einzelfalls handeln, die regelmäßig auch durch wissenschaftliche Fragestellungen überformt sein werde. Stünde – wie im entschiedenen Fall – eine gesundheitsschädliche Belastung des Lebensmittels im Raum, sei es zuvörderst Aufgabe der Wissenschaft, diejenigen Prüfungsmethoden zu benennen, deren Anwendung die sichere Schlussfolgerung zulässt, dass der Nachweis nicht gelingt, dass der Rest der Charge nicht sicher ist. Die Bandbreite der zu stellenden Anforderungen sei insoweit nicht auf eine stichprobenhafte Überprüfung der weiteren Bestandteile der Charge beschränkt, sondern hinsichtlich des anzuwendenden Prüfprogramms so offen formuliert, dass etwa auch eine Überprüfung des Herstellungsvorgangs in Betracht käme. Es sei nicht ausreichend, die Vermutung zu erschüttern, vielmehr müsse „positiv – nach wissenschaftlichen Grundsätzen also mit mindestens 95-prozentiger Aussagesicherheit […] – feststehen“, dass keine Gesundheitsgefahr bestehe.

Eine solche Prüfung habe jedoch nicht stattgefunden. Die Beweislast dafür, dass der Rest einer beanstandeten Charge sicher ist, treffe jedoch regelmäßig den Lebensmittelunternehmer als denjenigen, der sich darauf berufen will.

Die Formulierung der Verordnung gebe vor, dass aktive Maßnahmen („eingehende Prüfung“) ergriffen werden können, um die Vermutung zu widerlegen. Dies sei jedoch der Entscheidung desjenigen überlassen, der die Widerlegung der Vermutung erstrebt. Daher habe die Lebensmittelüberwachungsbehörde ihre Maßnahmen auch nicht von vornherein unter der Bedingung, dass die Widerlegung der Vermutung nicht gelingt, zu erlassen.

Praktische Auswirkungen

Die Entscheidung stellt nochmals klar, dass es möglich ist, die europarechtliche Chargenvermutung zu widerlegen. Die Beweislast liegt jedoch in der Regel bei dem jeweiligen Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmer. Erforderlich sind eigeninitiativ durchzuführende umfangreiche Untersuchungen am bisher nicht beprobten Rest der betroffenen Ware, die durchgängig zu negativen Ergebnissen führen müssen. Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer sollten im Verdachtsfall die Möglichkeit einer eingehenden Prüfung ihrer Waren in Betracht ziehen und Nachweise zur Entlastung der restlichen Partie schnellstmöglich vorlegen.

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