Januar 2024 Blog

Auf dem Weg zum »Deutschland-Tempo« im Energiesektor?

Mit dem am 29. Dezember 2023 in Kraft getretenen Gesetz zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften will der Gesetzgeber die Weichen für eine klimafreundliche und zugleich krisensichere Umgestaltung der Stromversorgung stellen. Dafür soll unter anderem der Ausbau von Hochspannungsleitungen beschleunigt werden. Die Neuregelungen im einschlägigen Planfeststellungsrecht erscheinen insoweit jedoch nur teilweise gelungen.

Hintergrund

Die Forderung nach einer Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren beschäftigt Bund und Länder regelmäßig, ist aber durch die Ausrufung des »Deutschland-Tempos« und den »Deutschland-Pakt« noch stärker in den Fokus gerückt. Gerade im Energiesektor ist die Beschleunigung dabei keineswegs Selbstzweck, sondern steht im Kontext mit der Bewältigung aktueller weltpolitischer Herausforderungen. Die Folgen der Klimakrise, aber auch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges erfordern aus Sicht der Bundesregierung eine massive Beschleunigung der Energiewende und damit einhergehend einen schnelleren Netzausbau.

Inhalt der Neuregelungen

Dieses Ziel soll im Wesentlichen auf zweierlei Weise erreicht werden: durch eine Verschlankung der Planfeststellungsverfahren für Hochspannungsleitungen sowie eine Modifizierung der materiell-rechtlichen Entscheidungsmaßstäbe für die Zulassung dieser Vorhaben.

Zur effizienten und zügigen Gestaltung des Verfahrensablaufs greift der Gesetzgeber dabei auf Maßnahmen zur Digitalisierung einzelner Verfahrensschritte zurück, die sich bereits während der Corona-Pandemie bewährt haben. So hat die Auslegung der Planunterlagen nun nicht mehr in physischer Form zu erfolgen, sondern wird durch die Veröffentlichung der Unterlagen auf der Internetseite der zuständigen Behörde ersetzt (§ 43a Satz 2 EnWG). Auch die Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses soll vereinfacht werden: Dessen Zustellung ist nunmehr nur noch an den Vorhabenträger vorzunehmen. Weitere Individualzustellungen, etwa an Einwender oder Vereinigungen, werden dagegen durch eine öffentliche Bekanntgabe des Beschlusses auf der Internetseite der Zulassungsbehörde und seiner partiellen Veröffentlichung in örtlichen Tageszeitungen ersetzt (§ 43b Abs. 1 Nr. 3 EnWG).

Zudem werden die materiell-rechtlichen Entscheidungsvorgaben modifiziert, um eine beschleunigte Zulassung von Stromleitungsvorhaben zu ermöglichen. So wird einerseits gesetzlich festgestellt, dass die Errichtung und der Betrieb sowie die Änderung von Hochspannungsleitungen im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen (§ 43 Abs. 3a Satz 1 EnWG). Darüber hinaus ist der beschleunigte Ausbau von Hochspannungsleitungen nunmehr als vorrangiger Belang in die planerische Abwägungsentscheidung einzustellen (§ 43 Abs. 3a Satz 2 EnWG). Damit wird nicht nur die materiell-rechtliche Bedeutung des Beschleunigungsgebotes als zu berücksichtigender Belang bei der Entscheidungsfindung betont. Es wird zugleich zu einem Optimierungsgebot mit besonderem Gewicht aufgewertet, gegen das sich andere öffentliche oder private Belange nur noch in Ausnahmefällen durchsetzen können.

Daneben ergeben sich aus Sicht des Gesetzgebers auch bei der im Planfeststellungsverfahren vorzunehmenden Prüfung von Vorhabenalternativen Potentiale zur Verkürzung der Verfahren. Die bisherige Planungspraxis habe gezeigt, dass die Variantenprüfung mit einem zeitlichen Aufwand verbunden sei, dem häufig kein eindeutiger Mehrwert für die Entscheidungsfindung gegenüberstehe. Weil dies dem zügigen Ausbau des Stromnetzes zuwiderlaufe, wird die Pflicht zur Variantenprüfung nun begrenzt. Eine detaillierte Alternativenprüfung soll etwa nur noch dann erfolgen, wenn die in Betracht kommenden Varianten sich nach überschlägiger Prüfung als eindeutig vorzugswürdig erweisen könnten (§ 43 Abs. 3b EnWG). Bei bestimmten Vorhaben zum Ausbau länderübergreifender und grenzüberschreitender Höchstspannungsleitungen wird der Umfang der Alternativenprüfung darüber hinaus in räumlicher Hinsicht auf den Bereich in und unmittelbar neben der Bestandstrasse beschränkt (§ 43 Abs. 3 Satz 2 bis 6 EnWG).

Konsequenzen für die Praxis

Die Schritte hin zu einer zunehmenden Digitalisierung von Planfeststellungsverfahren sind grundsätzlich zu begrüßen. Sie tragen zu einer Verschlankung und damit zur Beschleunigung der Planungsverfahren bei. Weniger gelungen erscheint jedoch die wenig übersichtliche Umsetzung mit Blick auf das Zusammenspiel der verschiedenen Verfahrensregelungen im EnWG und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen. Die hierdurch entstehenden Rechtsunsicherheiten könnten der bezweckten Beschleunigung sogar zuwiderlaufen. Die materiell-rechtlichen Entscheidungsvorgaben und die Begrenzung der Alternativenprüfung könnten tatsächlich zu einer Entlastung der Zulassungsverfahren und damit zur Beschleunigung beitragen.

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