August 2023 Blog

Entwaldungsfreie Liefer­ketten – Neue Sorgfalts­pflichten (auch) für Betriebe der Agrar- und Ernährungs­wirtschaft

Die Verordnung (EU) 2023/1115 über entwaldungsfreie Lieferketten ist am 30. Juni 2023 in Kraft getreten und begründet unternehmerische Sorgfaltspflichten für den Handel mit Soja, Ölpalme, Rindern, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz sowie daraus hergestellte, in der Verordnung gelisteten Erzeugnisse – und das bereits zum 30. Dezember 2024. Insbesondere Futtermittelunternehmer und Viehzüchter müssen sich auf umfassende Informationspflichten einstellen.

Hintergrund

Die Verordnung wird der Holzhandelsverordnung folgen – geht aber weit über deren Anwendungsbereich hinaus. Durch die jüngst in Kraft getretene „Deforestation Regulation“ soll der Beitrag der Europäischen Union zur weltweiten Entwaldung und Waldschädigung minimiert werden. So verursacht ausweislich der Erwägungsgründe der Verordnung die Ausdehnung der Landwirtschaft fast 90 % der weltweiten Entwaldung, wobei mehr als die Hälfte des Waldverlusts durch die Umwandlung von Wäldern in Ackerflächen verursacht wird, während die Weidehaltung für fast 40 % des Waldverlusts verantwortlich ist. Auch die Erzeugung von Futtermitteln für die Viehhaltung kann zur Entwaldung und Waldschädigung beitragen.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat geschätzt, dass zwischen 1990 und 2020 weltweit 420 Mio. Hektar Wald — eine Fläche, die größer ist als die Europäische Union — verloren gegangen sind. Weiter wurde geschätzt, dass die Entwaldung aufgrund des Unions-Verbrauchs und der Erzeugung von Rindern, Kakao, Kaffee, Ölpalme, Soja und Holz allein bis 2030 jährlich auf eine Fläche von etwa 248 000 Hektar ansteigen wird, wenn keine angemessenen regulatorischen Maßnahmen ergriffen werden.

Die nunmehr in Kraft getretene Verordnung (EU) 2023/1115 enthält Vorschriften für das Inverkehrbringen und die Bereitstellung auf dem Unionsmarkt sowie für die Ausfuhr aus der Union der relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse, die Kakao, Kaffee, Ölpalme, Kautschuk, Soja, Rind und Holz enthalten, mit diesen gefüttert wurden oder unter deren Verwendung hergestellt wurden. Soja als wichtiger Bestandteil von Futtermitteln ist hier besonders relevant. So dürfen die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse nach Art. 3 der Verordnung nur noch dann in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder ausgeführt werden, wenn sie „entwaldungsfrei“ sind, „gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt“ wurden und für sie eine „Sorgfaltserklärung“ vorliegt. Anders als noch in der EU-Holzhandelsverordnung sind die einzuhaltenden Rechtsvorschriften nicht rein forstbezogen, da auch die vorherige Zustimmung betroffener indigener Völker, Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte sowie allgemein Steuer-, Korruptionsbekämpfungs-, Handels- und Zollvorschriften umfasst sind. Die Entwaldungsfreiheit ist durch die Verordnung selbst weit definiert. Die EU-Kommission betont zudem, dass Entwaldung auch dann vorliegt, wenn die Waldfläche durch eine Naturkatastrophe zerstört wurde und danach landwirtschaftlich genutzt wird. Die Verordnung geht damit nicht nur nach ihrem Anwendungsbereich, sondern auch aufgrund der geforderten Informationen weit über die Holzhandelsverordnung hinaus.

Umfangreiche unternehmerische Sorgfaltspflichten

Die Verordnung findet – unabhängig von der Anzahl der Arbeitnehmer – auf alle Unternehmen Anwendung, die die relevanten Rohstoffe oder die in Anhang I der Verordnung genannten Erzeugnisse, die diese enthalten, mit diesen gefüttert wurden oder unter deren Verwendung hergestellt wurden, in Verkehr bringen, ausführen oder bereitstellen.

Bereits ab dem 30. Dezember 2024 werden umfangreiche Compliance-Pflichten begründet, die ab dem 30. Juni 2025 auch für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) gelten. Als KMU gelten alle Unternehmen bis zu einer Bilanzsumme von 20 Millionen, einem Nettoumsatzerlös von bis 40 Millionen Euro sowie bis zu 250 Arbeitnehmern.

Zwar unterscheidet die Verordnung zwischen Marktteilnehmern, d.h. den Unternehmen, die die relevanten Erzeugnisse in Verkehr bringen oder ausführen, einerseits und Händlern, d.h. den Unternehmen, die sie lediglich auf dem Unionsmarkt bereitstellen, andererseits. Diese Unterscheidung macht sich aber nur bei KMU bemerkbar. Für alle anderen Unternehmen gelten für Händler und Marktteilnehmer im Kern die gleichen Pflichten.

Insbesondere dürfen Marktteilnehmer ohne vorherige Vorlage einer sogenannten Sorgfaltserklärung keine relevanten Erzeugnisse mehr in Verkehr bringen oder ausführen. Diese elektronisch abrufbare und übermittelbare Sorgfaltserklärung muss die in Anhang II der Verordnung aufgeführten Informationen enthalten sowie eine Erklärung des Marktteilnehmers darüber, dass er die Sorgfaltspflicht erfüllt hat, und dass kein oder lediglich ein vernachlässigbares Risiko der Nichtkonformität festgestellt wurde. Es besteht eine 5-jährige Aufbewahrungspflicht ab dem Zeitpunkt der Übermittlung.

Bestehen begründete Bedenken dahingehend, dass die Gefahr besteht, dass ein relevantes Erzeugnis, das bereits in Verkehr gebracht wurde, nicht der Verordnung entspricht, sind unverzüglich die zuständigen Behörden sowie die Händler, an die das relevante Erzeugnis geliefert wurde, zu unterrichten.

 

Gemäß Art. 4 Abs. 7 der Verordnung sind den Marktteilnehmern und Händlern der nachgelagerten Lieferkette zudem grundsätzlich „alle Informationen, die als Nachweis dafür, dass die Sorgfaltspflicht erfüllt wurde, und dafür, dass kein oder nur ein vernachlässigbares Risiko besteht, erforderlich sind, einschließlich der Referenznummern der […] zugeordneten Sorgfaltserklärungen“ mitzuteilen.

Inhalt der Sorgfaltserklärung und Risikoanalyse

Anhang II der Verordnung konkretisiert den Inhalt der Sorgfaltserklärung. So müssen unter anderem Angaben zum Erzeugerland sowie zur Geolokalisierung aller Grundstücke, auf denen die relevanten Rohstoffe erzeugt wurden, enthalten sein. Enthält ein relevantes Erzeugnis Rohstoffe, die auf verschiedenen Grundstücken erzeugt wurden, oder wurde es unter Verwendung dieser Rohstoffe hergestellt, so sind die Koordinaten der Geolokalisierung aller Grundstücke anzugeben. Auch Satellitenbilder könnten angefordert werden.

Für lose Rohwaren / Schüttgut wie Soja und Palmöl hat die Europäische Kommission in ihren erst kürzlich veröffentlichten FAQ noch einmal herausgestellt, dass die Nachweispflicht für die gesamte Lieferung gilt und bereits das Fehlen eines Nachweises für kleinste Teilmengen dazu führt, dass die gesamte Ware als nicht entwaldungsfrei eingestuft werden muss. Konkret bedeutet das: jede Sojabohne, die in die EU eingeführt und auf dem Binnenmarkt bereitgestellt wird, muss entwaldungsfreien Ursprungs sein und entsprechend der relevanten Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes hergestellt worden sein. Die Beweislast dafür tragen die Marktteilnehmer selbst.

Kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Sojabohnen, insbesondere bei Vermischung, insgesamt rechtskonform sind, gilt die gesamte Ware als nicht verordnungskonform. Zollrechtliche Mechanismen der Nämlichkeitssicherung für rechtskonforme Rohstoffe, z.B. durch versiegelte Container, sollten früh in Erwägung gezogen werden.

Ferner muss in der Erklärung bestätigt werden, dass alle Sorgfaltspflichten gemäß der Verordnung eingehalten wurden. Dabei sind die in der Verordnung vorgesehenen Sorgfaltspflichten denen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) durchaus ähnlich. Gefordert werden die Sammlung von Informationen, eine Risikobewertung und die Risikominderung sowie ein Risikomanagement.

Ähnlich dem LkSG verlangt auch die Verordnung (EU) 2023/1115, dass eine Risikoanalyse durchgeführt, dokumentiert und jährlich wiederholt wird. Es bedarf nach der Verordnung allerdings keiner Veröffentlichung. Art. 10 Abs. 2 der Verordnung beschreibt die zu berücksichtigenden Kriterien. Umfasst sind Informationen über die Präsenz indigener Völker im Erzeugerland, die Quelle, Zuverlässigkeit und Gültigkeit der in Artikel 9 genannten Informationen, mögliche Bedenken zu z.B. Verstößen gegen Menschenrechte oder bestehende Sanktionen, das Risiko einer Umgehung sowie „jegliche Informationen, die darauf schließen lassen, dass die Gefahr besteht, dass die relevanten Erzeugnisse nicht konform sind“.

Wird kein vernachlässigbares Risiko festgestellt, sind Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen.


Für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) gilt ein schlankeres Pflichtenprogramm. Diese dürfen die relevanten Erzeugnisse nur dann auf dem Markt bereitstellen, wenn sie im Besitz der folgenden Informationen sind: Name, eingetragener Handelsname oder die eingetragene Handelsmarke, die Postanschrift, die E-Mail-Adresse, eine Internetadresse ihrer Lieferanten sowie die Referenznummern der den Erzeugnissen zugeordneten Sorgfaltserklärungen.

Kontrollmechanismen und Sanktionen

Die Verordnung enthält zudem umfassende Verpflichtungen zur Durchführung behördlicher Kontrollen, um festzustellen, ob in der Union niedergelassene Marktteilnehmer und Händler den Anforderungen der Verordnung entsprechen. Nach Art. 16 der Verordnung stellt jeder Mitgliedstaat sicher, dass sich die jährlichen Kontrollen, auf mindestens 3 % der Marktteilnehmer erstrecken, die relevante Erzeugnisse in Verkehr bringen für die ein normales Risiko festgestellt wurde. Darüber hinaus sind mindestens 9 % der Marktteilnehmer, bei denen ein hohes Risiko festgestellt wurde, zu kontrollieren.

Verstöße gegen die Verordnung können Sanktionen nach sich ziehen und sich auch negativ auf die Reputation der Unternehmen auswirken. 
Unternehmen, gegen die Sanktionen verhängt werden, sollen auf der Internetseite der EU-Kommission veröffentlicht werden – Naming ist Shaming. Dabei können auch begründete Bedenken von Dritten nach Art. 31 gemeldet werden und behördliche Verfahren auslösen. Unternehmen sind daher gut beraten, sich frühzeitig und ernsthaft mit der Risikoanalyse zu beschäftigen und sich damit gegen NGO-Recherchen vorzubereiten.  

Des Weiteren sind einstweilige Maßnahmen und Korrekturmaßnahmen vorgesehen. Einstweilige Maßnahmen umfassen insbesondere die Beschlagnahme oder die Aussetzung des Inverkehrbringens, der Bereitstellung oder der Ausfuhr der relevanten Waren. Wurden die Erzeugnisse oder Rohstoffe bereits in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder ausgeführt, sind verhältnismäßige Korrekturmaßnahmen durch die Unternehmen zu ergreifen. Dies betrifft Produktrückrufe, Spenden der Produkte oder eine abfallrechtsgemäße Entsorgung. 

Weitergehende Sanktionen sind durch die Mitgliedstaaten zu regeln. Dies schließt z.B. Bußgelder und die Einziehung der relevanten Erzeugnisse ein. Die Sanktionen sollen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Bußgelder können in einer Höhe von bis zu 4 % des Jahresumsatzes erhoben werden; Erhöhungen nach Umsatz sind aber möglich. Außerdem droht ein Ausschluss von der öffentlichen Finanzierung und von Ausschreibungen von bis zu 12 Monaten. 

Fazit

Die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten soll (auch) sicherstellen, dass Futter- und Lebensmittel sowie Agrarprodukte, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, nicht zur Entwaldung führen. Für den Holzhandel existieren bereits Praktiken, den hohen regulatorischen Hürden mittels FSC-Zertifizierung gut zu begegnen. Auch für Soja etwa wird in zahlreichen Zertifizierungssystemen die Entwaldungsfreiheit bereits zwingend berücksichtigt. Der Warenursprung und die Umstände der Erzeugung stehen im Fokus der Verordnung. Gerade Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft müssen sich auf umfangreiche neue Compliance-Vorgaben einstellen und vorbereiten. Kombiniert mit dem drohenden Verbot des Inverkehrbringens, des Bereitstellens oder der Ausfuhr sind die Konsequenzen für Unternehmen erheblich weitreichender als dies nach dem LkSG der Fall ist. Gerade für viele Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die ab dem 1. Januar 2024 verpflichtete Unternehmen nach dem LkSG sind, lohnt es sich, bereits jetzt den Blick auf Ende 2024 zu richten und eigene Prozesse auch an die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten anzupassen.

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