Dezember 2023 Blog

Haushaltssperre 2023 und Vergabeverfahren – was nun?

Das zum Nachtragshaushalt 2021 gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 (BVerfG, Urt. v. 15.11.2023 – 2 BvF 1/22), welches – wenn auch nur knapp mit fünf zu drei Stimmen – die Überführung von Pandemiebekämpfungsmitteln in den Klima- und Transformationsfond (KTF) des Bundes für nichtig erklärte, hat brisante Konsequenzen für den Bundeshaushalt herbeigeführt. Ganze 60 Millionen Euro des KTF wurden bereits gekürzt und auch andere schuldenfinanzierte Sondervermögen des Bundes, wie der Wirtschaftsstabilisierungsfond (WSF), sind mit der Unsicherheit einer eventuellen Mittelreduzierung behaftet. Die damit einhergehende gemäß § 41 BHO verfügte Bundeshaushaltsperre des Bundesministeriums für Finanzen für Zahlungen ab dem Jahr 2024 ist eine Hiobsbotschaft für die staatlichen Auftraggeber. 

Die für eine noch unbestimmte Zeit eingestellten Finanzzusagen werfen für die von der Sperre betroffenen öffentlichen Auftraggeber vielfältige Fragen im weiteren Umgang mit Vergabeverfahren und -verträgen auf. Obwohl zum jetzigen Zeitpunkt nur die Sondervermögen des Bundes betroffen sind, ist auch den Auftraggebern der Länder zur Vorsicht zu raten, denn das BVerfG-Urteils könnte durchaus auch die Länderhaushalte tangieren.

Obgleich die haushaltswirtschaftliche Sperre zunächst nur eine einfache Kontrollregelung der Exekutive darstellt, bedeutet sie für viele noch laufende Vergabefahren den momentanen Stillstand sowie eine Beeinträchtigung des Ablaufes bereits abgeschlossener Vergabeverträge. 

Auswirkungen  

Auf laufende Vergabeverfahren 
Durch die Bundeshaushaltssperre wurde den öffentlichen Auftraggebern der Boden unter den Füßen weggezogen, denn die damit vorläufig entzogenen Verpflichtungsermächtigungen führen de facto zu einem Zuschlagsverbot. Infolgedessen sind die Handlungsmöglichkeiten bei bereits eingeleiteten Verfahren begrenzt. Die beiden einzigen bleibenden Alternativen für die Vergabeverfahren sind deren Erhalt mithilfe von Fristenverlängerungen oder deren Aufhebung.

Die Fortführung durch Fristenverlängerung bietet zwei Gestaltungsmöglichkeiten, sowohl oberhalb als auch unterhalb der Schwellenwerte. Sollte eine Einreichung von Angeboten noch nicht erfolgt sein, besteht für die Vergabestelle die Möglichkeit zu einer einseitigen Verlängerung der Teilnahme- oder Angebotsabgabefrist (gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2 VgV; § 13 Abs. 4 Nr. 1 UVgO; § 16 Abs. 3 Nr. 1 SektVO).  Kam es hingegen bereits zur Abgabe von Angeboten, kommt nur noch eine Verlängerung der - je nach Art und Höhe des Auftrages anders ausfallenden - Binde- und/oder Zuschlagsfrist in Betracht. Diese Alternative erweist sich jedoch als aufwendiger, denn sie kann nicht allein vom Auftraggeber bestimmt werden: dafür bedarf es der einvernehmlichen Zustimmung der Bieter (OLG Düsseldorf, 29.12.2001 – Verg 22/01). Letztendlich ist in dieser Konstellation im Einzelfall zu hinterfragen, ob ein Aufschieben sinnvoll ist, da hierdurch nicht unerhebliche Kostenerhöhungen verursacht werden könnten. Nicht kostendeckende Preiskalkulationen sowie unverhältnismäßige Erhöhungen des Beschaffungspreises sind mit dem Risiko eines Verstoßes gegen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, bzw. sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mittel verbunden. Daher sollte über die Weiterführung des Vergabeverfahrens nicht allein anhand der Einschätzung der Bieter über den Erhalt ihres Angebotes entscheiden werden.

Sollte das Weiterführen des Vergabeverfahrens als mit zu vielen Unsicherheiten verbunden oder sogar als unangemessen bewertet werden, ist die bessere Alternative eine Aufhebung des Vergabeverfahrens. Zu einer Aufhebung ist der öffentliche Auftraggeber in Anbetracht seiner Vertragsfreiheit einseitig in der Lage, solange diese auch aufgrund eines rechtmäßigen Aufhebungsgrundes veranlasst wird (§ 63 VgV; § 48 UVgO; § 32 KonzVgV; § 57 SektVO). Jede wirksame jedoch rechtswidrig ergangene Aufhebung beinhaltet die Gefahr des Entstehens von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen auf Bieterseite.  

Auf laufende Verträge 
Bei bereits abgeschlossenen Verträgen hingegen weist die Situation, infolge des im allgemeinen Vertragsrechts geltenden Grundsatz pacta sunt servanda, deutlich weniger Handlungsmöglichkeiten auf. Wurden während der Vertragsgestaltung bereits passende Klauseln vorgesehen, wird die notwendige Vertragsanpassung relativ unkompliziert zu gestalten sein. 

In den Fällen, in denen keine vorsorglichen Klauseln vereinbart wurden, kommen die zur Vertragsänderung vorgesehenen Vergaberegelungen zum Tragen. Da Vertragsänderungen prinzipiell während der Vertragslaufzeit nur aufgrund einer erneuten Ausschreibung erfolgen können - und dafür die Freigabe von Haushaltsmitteln veranlasst werden muss, was gerade unter der Haushaltsperre nicht zulässig ist – bleiben nur wenige Optionen. Zwar besteht die Möglichkeit der Änderung über den in § 132 Abs. 3 GWB vorgesehenen Ausnahmetatbestand der de-minimis Vergabe, jedoch wird dieser Tatbestand nur in wenigen Fällen gegeben sein. Auch die zivilrechtlich vorgesehene Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, ermöglicht nicht das Umgehen der in § 132 GWB oder dementsprechend im Unterschwellenbereich in § 47 UVgO vorgesehenen Grenzen (EuGH, Urt. v. 07.09.2016, C-549/14 – Finn Frogne). 

Ausblick und Praxishinweise  

Was ist bei künftigen Beschaffungen möglicherweise zu beachten? 
In der aktuellen Situation ist der Abschluss von Rahmenvereinbarungen die naheliegende Vorgehensweise (§ 21 VGV; § 15 UVgO; § 19 SektVO), unter der Bedingung, dass auf Abrufverpflichtungen verzichtet wird. Auch bei bereits laufenden Verträgen erweisen Rahmenverträge sich als unproblematischer, soweit auch diese keine Abrufverpflichtungen enthalten. Sollten in solchen Vereinbarungen Einzelabrufe vorgesehen sein, ist deren Abruf unter der Voraussetzung zulässig, dass die dafür vorgesehenen Mittel vor Sperrbeginn bereits im Etat aufgenommen wurden.  

Praxistipps 
Angesichts der durch Haushaltssperre verursachten Unsicherheiten, sollte die Durchführung von Vergabeverfahren mit Besonnenheit angegangen werden, denn eine Zuschlagserteilung ohne vorige Etatisierung der Haushaltsmittel würde für den öffentlichen Auftraggeber einen Verstoß gegen das Dienstrecht darstellen. Daher wird die Bedarfsdeckung der von der Sperre betroffenen öffentlichen Auftraggeber in manchen Bereichen vorerst verzögert werden. 

An laufenden Vergabeverfahren mit fehlender Preisstabilität und der damit einhergehenden unsicheren Angebotsqualität sollte nicht festgehalten werden. Ein sauberer Schnitt, in Form einer Aufhebung des Vergabeverfahrens, wäre hier zu präferieren. Eine Aufhebung des Vergabeverfahrens könnte daher nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV aufgrund wesentlicher Änderungen der Grundlage des Verfahrens, bzw. der darunterfallenden wirtschaftlichen Gründe (OLG Düsseldorf, v. 26.06.2013 – VII-Verg 2/13), oder gemäß Nr. 4 aus anderen schwerwiegenden Gründen durchgeführt werden. Ansonsten ist vorerst das Erstellen individueller Lösungen in Kooperation mit den Bietern zu empfehlen.

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