Dezember 2012 Blog

Kartellrecht: Keine Akteneinsicht für Geschädigte in Kronzeugenanträge


Nach einer jüngsten Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist den Geschädigten eines Kartells in gerichtlichen Kartellbußgeldverfahren keine Akteneinsicht in die Verfahrensakten, und damit auch keine Einsicht in Kronzeugenanträge beteiligter Kartellanten zu gewähren. Das OLG argumentiert, dass das Interesse eines Kronzeugen an der Geheimhaltung seiner Aussage das Interesse eines potentiell Geschädigten überwiegt – und stärkt damit die Bonusregelung des Bundeskartellamts.

Die Diskussion währt schon lange, mit nur schwerlich zu vereinbarenden Positionen:
Die Mitglieder eines Kartells, die wettbewerbsbeschränkende Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen aufdecken wollen, insbesondere um einem Bußgeld zu entgehen, möchten einen entsprechenden Kronzeugenantrag vertraulich behandelt wissen, um ihren Kunden oder sonstigen Kartellgeschädigten nicht diejenigen Informationen an die Hand zu geben, deren jene bedürfen, um ihre zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche durchsetzen zu können.

Das Bundeskartellamt sucht die Kronzeugen und deren Anträge seit Einführung der Bonusregelung zu schützen: „Zahlreiche schwerwiegende Kartelle kann das Bundeskartellamt nur mit Hilfe von Kronzeugen aufdecken und verfolgen. Die Entscheidung schützt die Attraktivität der Kronzeugenregelung des Bundeskartellamts, welche für eine effektive Kartellverfolgung elementar ist.“ (so der Präsident des Bundeskartellamtes Andreas Mundt in einer Pressemeldung das Amtes). Demgegenüber könne die Möglichkeit der Akteneinsicht in Kronzeugenanträge Kartellanten von einer Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt abschrecken.

Geschädigte wiederum tragen vor, dass die Einsicht in die Anträge erforderlich sei, um ihren Schadensersatzanspruch gemäß den Anforderungen des deutschen Prozessrechts durchsetzen zu können.

Im Ergebnis behandelt das Bundeskartellamt Kronzeugenanträge vertraulich und hatte zuletzt Unterstützung auch durch den Europäischen Gerichtshof erfahren. Dieser hatte auf Vorlage des Amtsgerichts Bonn in der Sache Pfleiderer entschieden, dass zur Frage der Offenlegung bei der gebotenen Abwägung neben den Interessen der Geschädigten auch das Interesse an einer effektiven Kartellrechtsverfolgung, für die eine Kronzeugenregelung anerkanntermaßen von Bedeutung ist, ins Gewicht fallen muss.

Die nun ergangene Entscheidung des OLG Düsseldorf steht im Zusammenhang mit dem so genannten Kaffeeröster-Kartell, in dem das Bundeskartellamt im Jahre 2009 gegen mehrere Kaffeeröster wegen Kartellabsprachen Geldbußen in Höhe von insgesamt 160 Millionen Euro verhängt hatte. Zwei der Adressaten legten Einspruch gegen die Bußgeldentscheidung ein, so dass das Verfahren an das OLG Düsseldorf abgegeben wurde. Vor dem OLG stellten daraufhin mehrere Einzelhandelsunternehmer als Abnehmer und potentiell Geschädigte des Kartells Akteneinsichtsanträge.

Ziel der Akteneinsicht der potentiell Geschädigten war es, Informationen über das Kartellverfahren und die Aussagen der Kartellbeteiligten zu erhalten, um mögliche Schadensersatzforderungen gegen die Kartellanten prüfen zu können. Diesem Ansinnen erteilte das OLG Düsseldorf eine Abfuhr. Es sei im Interesse der Effektivität der Kartellverfolgung geboten, die Akteneinsicht zu verwehren. Kronzeugen müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Aussagen vertraulich behandelt werden und nicht an Geschädigte weitergegeben werden können. Geschädigte könnten unter Umständen die Informationen nutzen, um Schadensersatzansprüche gegen die Kronzeugen anzumelden. Dies könnte die attraktive Kronzeugenregelung entwerten und somit den Anreiz der Aufdeckung nehmen, da die kartellrechtliche Besserstellung als Kronzeuge durch hohe Schadensersatzforderungen auf dem Zivilrechtsweg entfallen könnte. Das Gericht verwies die potentiell Geschädigten auf die Einsicht in die Bußgeldbescheide, da diese in einer möglichen Schadensersatzklage der Geschädigten gegen die Kartellanten bereits bindend einen Kartellrechtsverstoß gemäß § 33(4) 1 GWB nachweisen.

Der Ausgleich der Interessen dürfte damit trotz aller Schwierigkeiten weitgehend gelungen sein: Kronzeugen müssen nicht befürchten, dass ihre Aussagen Geschädigten als Grundlage für Schadensersatzansprüche dienen. Die Bonusregelung des Bundeskartellamtes ist gestärkt und bleibt auch weiterhin attraktiv für die Mitglieder eines Kartells, die aussteigen wollen. Zugleich ist damit aber auch den Geschädigten gedient, die vor allem dann profitieren, wenn Kartelle aufgedeckt werden und ihren Anspruch – jedenfalls in Teilen – auf den Bußgeldbescheid stützen können, der gegen die anderen Kartellbrüder ergeht. Dass die Bezifferung des eingetretenen Schadens gleichwohl Probleme bereiten mag, wird angesichts vermehrter Aufdeckung von Kartellen bei vertraulicher Behandlung von Kronzeugenanträgen hinzunehmen sein.

(OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22. August 2012 – V-4 Kart 5 + 6/11 (OWi); Pressemeldung des Bundeskartellamtes – Entscheidung des OLG Düsseldorf schützt Kronzeugenregelung des Bundeskartellamts v. 27. August 2012; EuGH, Urteil v. 14. Juni 2011 – Rs. C-360/09; AG Bonn, Beschluss v. 18. Januar 2012 – 51 Gs 53/09)
Christian Kusulis
, Rechtsanwalt / Daniel van Geerenstein, Referendar  

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