August 2023 Blog

Klärungsbedürftig: Organhaftung bei Kartellverstößen

Nach Auffassung des OLG Düsseldorfs haften Organe eines Kartellanten für Schäden, die diesem aufgrund kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche entstehen, wobei die Verjährung erst mit Beendigung des Kartells beginne. Eine Haftung für kartellrechtliche Verbandsgeldbußen bestehe dagegen nicht.

Ausgangspunkt

Der Beklagte hatte sich als ehemaliger Geschäftsführer bzw. Vorstand zweier Gesellschaften über 13 Jahre an einer wettbewerbswidrigen Grundabsprache sowie in einer Vielzahl von Fällen an abgestimmten Verhaltensweisen zur Umsetzung dieser Grundabsprache beteiligt und so gegen nationales und europäisches Kartellrecht verstoßen. Von den von ihm vertretenen Unternehmen war er auf Schadenersatz wegen Geschäftsleiterhaftung in Anspruch genommen worden (§ 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG).

Urteil

Das OLG Düsseldorf befasst sich in seinem Urteil vom 27. Juli 2023 zunächst mit der persönlichen Haftung des Beklagten für Schäden, die den von ihm geführten Unternehmen aufgrund von Schadensersatzansprüchen von Kartellgeschädigten entstehen.

Dargelegt wird, dass es eine Verletzung der Legalitätspflicht begründet, wenn Organe gegen Vorschriften des europäischen und deutschen Kartellrechts verstoßen. Dabei sei es unerheblich, ob der Gesetzesverstoß im vermeintlichen Interesse der Gesellschaft begangen wurde: Ein unternehmerisches Ermessen zur Begehung sog. „nützlicher Gesetzesverstöße“ bestehe auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht.

Dem Urteil lässt sich sodann entnehmen, dass auch das notwendige Verschulden gegeben war, insbesondere ein unvermeidbarer Verbotsirrtum regelmäßig ausscheidet. Das OLG Düsseldorf weist darauf hin, dass insoweit ein strenger Maßstab gilt und ein unvermeidbarer Verbotsirrtum nur (ausnahmsweise) angenommen werden kann, wenn der hier darlegungs- und beweisbelastete Schädiger alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um den ihm zur Last gelegten Verstoß gegen das Kartellrecht zu vermeiden. Es komme daher nicht darauf an, dass ein Teil des kartellrechtswidrigen Verhalten öffentlich gewesen sein soll. Der im konkreten Fall eingeholte Rechtsrat, der grundsätzlich zur Exkulpation führen könne, sei ebenfalls unerheblich, da keine hinreichende Information der beauftragten Rechtsanwälte erfolgt sei und der Beklagte nicht dargelegt habe, überhaupt eine uneingeschränkte Prüfung des beanstandeten Verhaltens beauftragt zu haben.

Eine Verjährung wird verneint, da die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche wegen andauernder Pflichtverletzungen gegenüber dem Unternehmen in Form von Kartellverstößen, denen eine einheitliche und auf Dauer angelegte Grundabsprache zugrunde liege, erst mit Beendigung des Kartells beginne. Der vorherrschenden Auffassung in der Kommentarliteratur, die für das Verjährungsrecht grundsätzlich eine solche haftungserweiternde „Dauerhandlung“ verneint, sei unter Berufung auf den BGH nicht zu folgen.

Offenlassen konnte das Gericht, ob sich ein Organ auch bei jahrelangen vorsätzlichen Verstößen gegen die Legalitätspflichten darauf berufen kann, dass dem geschädigten Unternehmen zugleich finanzielle Vorteile entstanden seien. Der Aspekt des „Vorteilsausgleichs“ sei nicht zu vertiefen, da das insoweit darlegungs- und beweispflichtige Geschäftsführungsorgan bereits nicht dargelegt habe, dass und – und wenn überhaupt – in welcher Höhe den Kartellanten durch das kartellrechtswidriges Verhalten Vorteile entstanden seien.

Soweit es allerdings um die umstrittene Frage der Haftung der Organe für Verbandsgeldbußen geht, verneint das OLG Düsseldorf eine solche. Eine persönliche Inanspruchnahme der Organe wegen gegen die Kartellanten verhängter Unternehmenskartellbußen (inkl. Gebühren und Auslagen) bestehe nicht, da der Anwendungsbereich von § 43 Abs. 2 GmbHG aufgrund der Sanktionszwecke von §§ 81a bis 81d GWB teleologisch zu begrenzen sei. Der Sinn und Zweck der Unternehmensgeldbuße bestehe insbesondere darin, das rechtlich verselbständigte Vermögen der juristischen Person nachhaltig zu treffen, nicht das (notwendig) handelnde Organ. Gleiches gelte auch für die den Unternehmen entstandenen Ermittlungs- und Rechtsverteiadigungskosten, da diese ausschließlich zur Abwehr des Erlasses von Bußgeldbescheiden bzw. zur Reduktion etwaiger Bußgelder entstanden seien, folglich ebenfalls von der teleologischen Reduktion erfasst seien.

Klärungsbedarf

Im Hinblick auf diese Streitfrage wird in dem Urteil wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zum BGH zugelassen.

In der Tat ist ein klärendes BGH-Urteil notwendig. Diese Rechtsfrage wird nicht nur in der einschlägigen Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. So hat beispielsweise die 8. Kammer des LG Dortmund in einem kurz zuvor ergangenen Hinweisbeschluss vom 7. Juni 2023 in einer anderen Sache die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten und einen Regressanspruch des Kartellanten gegenüber seinem Geschäftsführer hinsichtlich eines wegen des Kartellverstoßes erlassenen Bußgeldes (inkl. Kosten und Auslagen) bejaht.

Erforderlich wäre ein Urteil des BGH auch zu der ebenfalls strittigen Auffassung des OLG Düsseldorf, die bei der Organhaftung geltende fünfjährige Verjährungsfrist beginne aufgrund einer vorliegenden Dauerhandlung erst mit Beendigung des Kartells. Insoweit erfolgt in dem Urteil zwar eine Bezugnahme auf zwei kartellrechtliche Urteile des BGH (Urt. v. 29.11.2022 – KZR 42/20, GRUR-RS 2022, 37883 Rn. 90; Urt. v. 19.5.2020 – KZR 70/17, BeckRS 2020, 22798 Rn. 32). Allein: Diese ergingen unter bußgeldrechtlichen Aspekten und beziehen sich ausdrücklich auf die nach strafrechtlichen Grundsätzen zu beantwortenden Frage, ob mit Blick auf deliktische Verhaltensweisen der teilnehmenden Kartellanten jeweils eigenständige Verletzungshandlungen oder eine tatbestandliche Handlungseinheit vorliegt. Es erscheint daher fraglich, ob diese Ausführungen des Kartellsenats, wie das OLG Düsseldorf meint, tatsächlich auf die hier diskutierte zivilrechtliche Frage der Verjährung übertragbar sind. Falls nein, stünde gleichwohl nicht notwendig fest, dass im Verhältnis des Beklagten zu den von ihm vertretenen Unternehmen, also im Innenverhältnis, nicht doch eine sog. „Dauerhandlung“ vorliegt, die über Jahre von dem kartellrechtswidrigen Grundverständnis des Beklagten getragen wurde. Möglicherweise könnte diese Sichtweise es im Ergebnis als gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die vielen (der Umsetzung des Grundverständnisses dienenden) konkreten Verhaltensweisen des Beklagten nicht die Qualität eigenständiger Kartellrechtsverstöße erlangten, mit dem vom OLG Düsseldorf gefundenen Ergebnis, dass erst nach Beendigung des Grundverständnisses (dem Ende des Kartells bzw. der Dauerhandlung) die Verjährungsfrist anlaufen konnte. Eine Klärung durch den BGH wäre insbesondere auch deshalb wünschenswert, weil beispielsweise dessen 1. Zivilsenat vielfach die Auffassung vertritt, dass bei einer rechtsverletzenden Dauerhandlung die Fortdauer der schädigenden Handlung fortlaufend neue Schäden und damit neue Ersatzansprüche erzeuge: Daher sei die Dauerhandlung zur Bestimmung des Beginns der Verjährung gedanklich in Einzelhandlungen (also in Tage) aufzuspalten, für die jeweils eine gesonderte Verjährungsfrist laufe (BGH v. 14.01.1999 I ZR 203/96 = GRUR 2015, 780 Rn. 23).
 

(OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.07.2023 – 6 U 1/22 (Kart))

(LG Dortmund, Hinweisbeschluss vom 7.6.2023 − 8 O 5/22 Kart)

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