Juni 2023 Blog

Vergaberechts­widrige Direkt­vergabe = Beihilfe?

Das Landgericht München I hat in einem Beschluss vom 3. März 2023 entschieden, dass über die Rechtmäßigkeit von Direktvergaben nicht ausschließlich Vergabekammern zu befinden haben. Auch wenn einer vergaberechtswidrigen Direktvergabe Indizwirkung für die Frage einer unzulässig gewährten Beihilfe zugeschrieben wird, haben darüber die ordentlichen Gerichte zu entscheiden.

Problemaufriss

Wenn die öffentliche Hand Verträge schließt, ohne diese zuvor auszuschreiben, kann das – von wenigen gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – vergaberechtswidrig sein. Solche Direktvergaben können dann von Wettbewerbern in sog. Vergabenachprüfungsverfahren vor den zuständigen Vergabekammern mit dem Ziel angegriffen werden, den abgeschlossenen Vertrag für unwirksam zu erklären. Das Landgericht München I hat nun klargestellt, dass der im Wege einer Direktvergabe geschlossene Vertrag auch unter dem Gesichtspunkt des Beihilferechts unwirksam sein kann. Darüber haben dann aber nicht die auf das Vergaberecht spezialisierten Vergabekammern, sondern die Zivilgerichte zu entscheiden.

Sachverhalt

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 wurden in Bayern im Wege der Direktvergabe u. a. Blutgas-Analysesysteme und zu deren Betrieb erforderliche Reagenzkassetten bei einem Hersteller von Medizintechnik zur sofortigen Unterstützung der Krankenhäuser gekauft. Gegen diesen Vertragsschluss wendet sich eine Wettbewerberin des Medizintechnikherstellers und meint, dass die Erfüllung dieses Lieferauftrags eine unionsrechtswidrige Beihilfe darstelle, da wegen der ihrer Meinung nach vorliegenden Vergaberechtswidrigkeit die fehlende Marktkonformität indiziert sei. Mit ihrer Klage will die Wettbewerberin u. a. erreichen, dass der Auftraggeber dazu verurteilt wird, die an den beauftragten Medizintechnikhersteller geleisteten Zahlungen für die Direktbeschaffung von Blutgas-Analysesystemen und Reagenzkassetten zurückzufordern, soweit diese unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV geleistet wurden.

Entscheidungsgründe

Mit seiner Entscheidung 3. März 2023 hat das Landgericht München noch nicht zur Sache entschieden, sondern in einer Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 GVG dazu Stellung genommen, dass es sich als Zivilgericht für zuständig hält, über die Sache zu entscheiden. Dieser Vorabentscheidung bedurfte es, weil die klagende Wettbewerberin des beauftragten Medizintechnikherstellers die Zuständigkeit des Landgerichts ausdrücklich unter Verweis darauf gerügt hat, dass der anhängig gemachte Rechtsstreit ausschließlich durch die Vergabekammern zu entscheiden sei.

Das sah das Landgericht München I anders. Dabei stellte es maßgeblich darauf ab, dass die Klägerin keinen Anspruch auf ordnungsgemäße Auswahl in einem Vergabeverfahren geltend machte. Das wäre dann in der Tat Sache der Vergabekammern. 

Gegenstand der Klage seien vielmehr seitens der öffentlichen Hand unionsrechtswidrig gewährte Beihilfen, deren Rückforderung bzw. künftige Unterlassung begehrt werde. Soweit die Klägerin im Zuge ihres Vortrags dem aus ihrer Sicht erfolgten vergaberechtlichen Verstoß Indizwirkung für die Frage einer unzulässig gewährten Beihilfe zuschreibt, ändere dies nichts an dem zivilrechtlich einzuordnenden Streitgegenstand. Gegenstand des Rechtsstreits sei nicht das der Direktvergabe zugrundeliegende Verfahren selbst, sondern allein der Inhalt des nach der Direktvergabe geschlossenen privatrechtlichen Vertrages mit einem Wettbewerber der Klägerin. Kern des Rechtsstreits sei die Frage, ob der Vertrag marktkonform oder eine unzulässige Begünstigung zugunsten des beauftragten Medizintechnikherstellers sei.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie das Landgericht in der Sache entscheiden wird. Würde es der unzulässigen Direktvergabe eine Indizwirkung für die Frage der Beihilfewidrigkeit beimessen, wäre das mit weitreichenden Konsequenzen auch für den vergaberechtlichen Rechtsschutz verbunden. Denn soweit die Direktvergabe unter dem Gesichtspunkt eines Vergabeverstoßes in einem Vergabenachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern angegriffen werden soll, ist dies nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend zu machen (§ 135 Abs. 2 Satz 1 GWB). Die mit dieser sechsmonatigen „Ausschlussfrist“ vermittelte Rechtssicherheit drohte zu erodieren, wenn öffentliche Aufträge aus einer Kombination von Vergabe- und Beihilferecht auch noch nach Ablauf der sechs Monate seit Vertragsschluss von Wettbewerbern gerichtlich erfolgreich angegriffen werden könnten.

(Landgericht München I, Beschluss vom 3. März 2023 , Az. 37 O 6688/22)

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