Bundesarbeitsgericht bekräftigt Rechtsprechung zur Erschütterung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. September 2024 seine Rechtsprechung bestätigt, dass ein Arbeitgeber den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern kann. Gelingt dies dem Arbeitgeber, kann der Anspruch des Arbeitnehmenden auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entfallen.
Sachverhalt
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt kündigte der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis selbst an einem Freitagnachmittag zum Ablauf des folgenden Kalendermonats. Ab dem darauffolgenden Montag erschien der Arbeitnehmer nicht mehr zur Arbeit und legte zunächst eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Dauer von 12 Tagen vor. Im Anschluss legte er eine Folgebescheinigung vor, die taggenau die restlichen 18 Tage des Arbeitsverhältnisses abdeckte.
Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung für die Dauer der angezeigten Arbeitsunfähigkeit. Er äußerte Zweifel, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig war. Diese Zweifel resultierten auch daraus, dass der Arbeitnehmer während der angezeigten Arbeitsunfähigkeit versucht habe, Kunden des Arbeitgebers abzuwerben.
Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Entgeltfortzahlung und bekam sowohl beim Arbeitsgericht als auch beim Landesarbeitsgericht Recht. Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung jedoch auf und verwies den Rechtsstreit zurück zum Landesarbeitsgericht.
Entscheidung
Zur Begründung fasst das Bundesarbeitsgericht zunächst seine bisherige Rechtsprechung zusammen: Im Regelfall wird eine Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung bewiesen. Gelingt es jedoch dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern, so muss der Arbeitnehmende seine Arbeitsunfähigkeit in anderer Form beweisen.
Ob es dem Arbeitgeber gelingt, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist im Rahmen einer Gesamtschau zu beurteilen. Im vorliegenden Sachverhalt sprachen mehrere Faktoren gegen den Beweiswert:
Zuvorderst begründete die zeitliche Koinzidenz zwischen den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der Kündigungsfrist Zweifel. Die Bescheinigungen deckten „passgenau“ den gesamten Zeitraum zwischen der Eigenkündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses ab. Dabei spielte es aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts auch keine Rolle, dass der Arbeitnehmer die Kündigung am Freitag aussprach, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jedoch erst ab dem kommenden Montag vorlegte. Da der Arbeitnehmer zwischen diesen beiden Zeitpunkten tatsächlich nicht gearbeitet hatte, nahm das Bundesarbeitsgericht den erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang noch an.
Ferner ergaben sich Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit daraus, dass die Folgebescheinigung nicht den Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie entsprach. Nach dieser Richtlinie soll eine Arbeitsunfähigkeit nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden. Die Folgebescheinigung war jedoch für 18 Tage ausgestellt worden.
Weiter berücksichtigte das Bundesarbeitsgericht, dass der klagende Arbeitnehmer unmittelbar am Tag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufgenommen hatte und – so jedenfalls der Vortrag des Arbeitgebers – noch während der behaupteten Arbeitsunfähigkeit versucht hatte, Kunden abzuwerben.
All diese Umstände zusammen erschüttern nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes die ärztlichen Bescheinigungen in so erheblichem Maße, dass sie die behauptete Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen. Das Gericht verwies den Rechtsstreit daher zurück an das Landesarbeitsgericht zur Klärung, ob der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit in anderer Form beweisen kann.
Liegen ausreichende Indizien vor, ist es Arbeitgebern somit durchaus möglich, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Zweifel zu ziehen und damit die Entgeltfortzahlung zu verweigern. Dies gilt insbesondere bei behaupteten Arbeitsunfähigkeiten, die in sehr engem zeitlichen Zusammenhang mit auslaufenden Kündigungsfristen stehen.
(BAG Urt. v. 18.9.2024 – 5 AZR 29/24)

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