Allein die Kenntnis einer zweitinstanzlichen Klageabweisung begründet keinen Verjährungsbeginn
Der BGH hat in einem aktuellen Urteil zur Anwaltshaftung seine Rechtsprechung zum späten Verjährungsbeginn bei der Anwalts- sowie Steuerberaterhaftung bestätigt. Danach beginnt die Verjährung des Schadensersatzanspruches erst, wenn der Mandant aufgrund der ihm bekannten Umstände eine Pflichtwidrigkeit des Beraters und den Schaden gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Allein die Kenntnis, dass ein Prozess in der zweiten Instanz verloren wurde, begründet dementsprechend für sich genommen noch keinen Verjährungsbeginn.
Sachverhalt
In dem Urteil des BGH geht es um eine Schadensersatzklage gegen einen Rechtsanwalt wegen der Verletzung anwaltlicher Pflichten im Zusammenhang mit einer Deckungsanfrage bei einem Rechtsschutzversicherer.
Der Beklagte hatte den Kläger in zwei Prozessen vertreten. Eine Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung hatte der Beklagte allerdings nur für den ersten Prozess eingeholt. Daher wurde die Übernahme der Kosten für den zweiten Prozess abgelehnt.
Die Klage auf Übernahme der Kosten auch für den zweiten Prozess blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos. Das OLG Frankfurt am Main wies die Klage mit Urteil vom 2. August 2016 ab, da eine erneute Deckungsanfrage für den zweiten Rechtsstreit nicht entbehrlich gewesen sei. Die vom Kläger gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der BGH mit Beschluss vom 18. April 2018 zurück.
Am 29. September 2021 reichte der Kläger gegen den Beklagten eine Schadenersatzklage ein, da dieser es versäumt habe, auch für den zweiten Prozess die notwendige Deckungsanfrage zu stellen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg. Zur Begründung hat das Berufungsreicht darauf verwiesen, dass die Verjährung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches mit Ablauf des 31. Dezember 2016 begonnen habe. Dies deshalb, weil der Kläger mit der Kenntnisnahme des zweitinstanzlichen Urteils des OLG Frankfurt am Main vom 2. August 2016 im Hinblick auf die Pflichtwidrigkeit des Beklagten einen hinreichenden Kenntnisstand hatte. Verjährung sei daher mit Ablauf des 31. Dezember 2019 eingetreten, so dass die im September 2021 eingereichte Klage die Verjährung nicht mehr hemmen konnte.
Urteil
In seinem Urteil verwirft der BGH diese Begründung.
Der BGH verweist darauf, dass die Verjährung erst beginne, wenn der Mandant Kenntnis von solchen Tatsachen erlangt hat, aus denen sich für ihn – gerade wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren. Es stelle daher keinen hinreichenden Anhaltspunkt für eine den Verjährungsbeginn auslösende grob fahrlässige Unkenntnis bezüglich des Anwaltsfehlers dar, wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt wird und der Anwalt gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor. Der Mandant dürfe sich vielmehr darauf verlassen, dass der von ihm beauftragte Anwalt die anstehenden Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilte Rechtsrat zutreffend ist. Dementsprechend, so der BGH, könnte allein aus dem Umstand, dass die Klage auch in zweiter Instanz abgewiesen wurde, nicht geschlossen werden, dass der Kläger bereits dadurch Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den seinen Schadensersatzanspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt habe. Auch wenn ein Mandant einen Prozess bereits in zwei Instanzen verloren hat, sei es für den Mandanten regelmäßig schwierig zu beurteilen, ob sein Anwalt fehlerhaft gearbeitet hat und ob ihm daraus ein Schaden entstanden ist. Von dem Mandanten könne, auch wenn er Kenntnis von einem zu seinem Nachteil ergangenen zweitinstanzlichen Urteil erlangt hat, nicht erwartet werden, dass er die Rechtslage selbständig und besser einzuschätzen vermag als sein Anwalt.
In diesem Zusammenhang verweist der BGH zudem darauf, dass maßgeblich für die Kenntnis von einer Pflichtwidrigkeit des Rechtsanwalts das Fortbestehen des Vertrauens in die Fachkunde des Rechtsanwalts sei. Ein Mandant, der auf die Fachkunde seines Rechtsanwalts vertrauen darf, hat daher nicht allein deshalb, weil er einen Prozess in zweiter Instanz verloren hat, eine ausreichende Veranlassung, die anwaltliche Leistung in Frage zu stellen. Nicht jeder Prozessverlust indiziere eine Pflichtwidrigkeit des Rechtsanwalts. Anders sei dies erst dann, wenn der Mandant aufgrund der ihm bekannten Umstände – etwa der auch aus Sicht eines juristischen Laien erkennbaren Eindeutigkeit der Urteilsgründe des Berufungsurteils oder dem Verhalten seines rechtlichen Beraters zu den Urteilsgründen des Berufungsurteils – eine Pflichtwidrigkeit des Beraters und den Schaden gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat.
Es sei daher rechtsfehlerhaft gewesen, dass das Berufungsgericht einen Verjährungsbeginn lediglich deshalb bejaht habe, weil der Kläger Kenntnis von dem Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 2. August 2016 erlangt hat. Zu beachten sei vielmehr, dass der Kläger gegen das Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 2. August 2016 eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt habe. Es müsse daher geklärt werden, aus welchen Gründen der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde einlegt habe. Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers könne erst dann angenommen werden, wenn sich dem Kläger spätestens mit dem Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 2. August 2016 trotz seiner Entscheidung, den Rechtsstreit weiterzuführen, aufdrängen musste, dass eine erneute Deckungsanfrage beim Vorversicherer unerlässlich gewesen ist, und daher die Ausführungen im Urteil des OLG Frankfurt am Main dazu führten, dass der Kläger das Vertrauen in die Richtigkeit der Beratung des Beklagten verloren hatte.
Da das Berufungsgericht insoweit keine Tatsachen festgestellt habe, wurde das Urteil aufgehoben die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgewiesen. Das Berufungsgericht müsse erneut prüfen, wann der Kläger Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der behaupteten Pflichtverletzung des Beklagten erlangt habe.
(BGH, Urt. v. 9.10.2025 – IX ZR 18/24)

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