Arbeitnehmer müssen unbillige Arbeitsanweisungen nicht mehr befolgen – Kehrtwende in der Rechtsprechung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat eine für die Durchführung von Arbeitsverhältnissen wegweisende Rechtssprechungsänderung vollzogen. Arbeitnehmer sind nicht mehr wie bisher dazu verpflichtet, einer unbilligen Arbeitsanweisung des Arbeitgebers vorübergehend Folge zu leisten, bis die Rechtswidrigkeit der Weisung durch ein Gericht rechtskräftig festgellt worden ist.
Sachverhalt
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall wurde ein Arbeitnehmer von Dortmund nach Berlin versetzt, nachdem er zuvor eine Kündigungsstreitigkeit gegen seinen Arbeitgeber gewonnen hatte und es nach seiner Rückkehr in den Betrieb zu Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen gekommen war. Da er dieser Versetzungsanordnung nicht nachkam, wurde er zweimal abgemahnt, und der Arbeitgeber stellte seine Lohnzahlungen wegen Arbeitsverweigerung ein. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Feststellung, dass die Versetzung nach Berlin rechtswidrig gewesen sei, begehrte die Entfernung der beiden Abmahnungen aus seiner Personalakte und verlangte die Auszahlung des ihm vorenthaltenen Lohns. Mit Erfolg.
Entscheidung des BAG
Mit überzeugender Begründung geht das BAG davon aus, dass ein Arbeitnehmer einer unbilligen Arbeitsanweisung, die in diesem Fall aufgrund der Versetzung von Dortmund nach Berlin gegeben war, nicht – auch nicht zeitweise - nachkommen muss. Zu Recht argumentiert das BAG, dass seine bisherige Rechtsprechung zur vorübergehenden Pflicht der Befolgung unbilliger Weisungen sich auf keine gesetzliche Regelung stützen lasse. Sinn und Zweck des Weisungsrechts in der Form, wie es im Arbeitsverhältnis durch § 106 GewO ausgestaltet ist, verlange keine vorläufige Verbindlichkeit einer unbilligen Weisung, sondern stehe einer solchen vielmehr entgegen. Es bestünden auch keine praktischen Gründe, von einer vorläufigen Verbindlichkeit auszugehen. Denn akzeptiert der Arbeitnehmer eine aus seiner Sicht unbillige Weisung nicht und erbringt keine Arbeitsleistung, trägt er das Risiko, ob ein Gericht bei einer Billigkeitsprüfung seine Einschätzung teilt. Ist dies nicht der Fall, kann der Arbeitgeber Sanktionen aussprechen, und der Arbeitnehmer verliert seinen Vergütungsanspruch.
Praxishinweise
Zwar wird durch diese Entscheidung das Weisungsrecht des Arbeitgebers beschränkt, doch die sich daraus vordergründig ergebenden Vorteile des Arbeitnehmers sind mit gewissen Risiken verbunden. Befolgt der Arbeitnehmer nämlich eine Weisung nicht, weil er diese für unbillig hält, dann wird er wahrscheinlich abgemahnt. Bei Arbeitsverweigerung zahlt der Arbeitgeber keinen Lohn, und es droht nach Abmahnung die Kündigung. Dagegen kann der Arbeitnehmer jeweils klagen. Das Gericht prüft dann im Rahmen dieser Verfahren, ob die Weisung in Ordnung war. Ist dies der Fall, gewinnt der Arbeitnehmer den Prozess. Verliert er aber, dann sind die Abmahnung bzw. Kündigung wirksam, und sein Arbeitslohn wurde zu Recht vorenthalten. Es ist also äußerst fraglich, ob Arbeitnehmer in Zukunft häufig das Risiko von arbeitsrechtlichen Sanktionen in Kauf nehmen werden, indem sie vermeintlich unbilligen Weisungen des Arbeitgebers nicht nachkommen.
In jedem Fall sollte der Arbeitgeber aufgrund der Rechtssprechungsänderung eine genaue rechtliche Prüfung anstellen, bevor er künftig Arbeitnehmer an andere Standorte versetzt oder ihnen eine andere als die vertraglich vereinbarte Tätigkeit zuweist.
(BAG, Urteil vom 18.102017 – 10 AZR 330/16)
Anton Kastenmüller, Rechtsanwalt
München