Auslegung einer Fortführungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer GbR
Bezieht sich eine in einem Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) enthaltene Fortführungsklausel auf eine Anwachsung des Gesellschaftsvermögens im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter, ist einzelfallbezogen im Wege der Auslegung zu bestimmen, ob dies auch im Falle des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters gilt.
Sachverhalt
Der Kläger und der Streithelfer waren alleinige Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer GbR. § 18 des Gesellschaftsvertrags sah für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters die folgende Regelung vor:
„§ 18 Fortführung der Sozietät, Abfindung
Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Sozietät durch die anderen Gesellschafter fortgeführt, soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter können die übrigen Gesellschafter beschließen, die Sozietät fortzuführen. Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zu.
[...]“
In § 15 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags fand sich zur Bankvollmacht der Gesellschafter die folgende Regelung:
„Für das die Sozietät zu errichtende Bankkonto [sic] ist jeder Gesellschafter alleine zeichnungsberechtigt.“
Der Kläger richtete sich mit seiner Klage gegen die beklagte Bank, bei welcher der Kläger und der Streithelfer Gemeinschaftskonten mit Einzelverfügungsberechtigung („Oder-Konten“) unterhielten. In Ziff. 2 des Kontoeröffnungsvertrags war zur Vertretungsberechtigung die folgende Regelung enthalten:
„2. Vertretungsberechtigung
Die im Unterschriftsprobenblatt aufgeführten Personen (Vertretungsberechtigten) sind bevollmächtigt, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber der Bank zu vertreten.“
[...]
b) Bestellung von vertretungsberechtigten Personen
[...] Jeder Gesellschafter ist berechtigt, die Vertretungsberechtigung der Bank gegenüber jederzeit zu widerrufen, der Vertretungsberechtigte kann dann von seiner Vertretungsberechtigung nur noch gemeinsam mit dem Widerrufenden Gebrauch machen.
[...]
Sofern der Gesellschaftsvertrag eine weitergehende Vertretungsberechtigung vorsieht, wird diese durch die vorstehenden Regelungen nicht eingeschränkt.“
Kurz vor Ausscheiden des Streithelfers aus der Sozietät infolge eigener Kündigung widerrief der Streithelfer gegenüber der Beklagten die Alleinverfügungsberechtigung des Klägers hinsichtlich der bei der Beklagten geführten Sozietätskonten. Die Beklagte Bank stellte die Konten daraufhin von Einzel- auf Gemeinschaftsverfügungsberechtigung um. Eine vom Kläger begehrte Umschreibung der Konten als Einzelkonto auf ihn als Gesamtrechtsnachfolger sowie die Umstellung auf eine Einzelverfügungsberechtigung des Klägers lehnte die Beklagte ab.
Der Kläger beantragte daraufhin festzustellen, dass die Beklagte zur Umschreibung der Konten auf ihn als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet und er insoweit einzelverfügungsberechtigt sei. Zudem beantragte der Kläger festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Erfüllung dieser Verpflichtung in Verzug befinde und sie die Erstattung eines Verzugsschadens schulde. Hilfsweise beantragte der Kläger Einzelverfügungen des Klägers über das Konto zuzulassen und es der Beklagten zu untersagen, Einzelverfügungen des Streithelfers zu gestatten.
Das eingangs mit der Klage befasste Gericht wies die Klage vollumfänglich ab. Auf die Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht dem Antrag des Klägers auf Umschreibung der Konten statt, im Übrigen wies es die Berufung allerdings zurück.
Das Berufungsgericht begründete die teilweise Stattgabe der Berufung damit, dass das Gesellschaftsvermögen auf Grundlage der in § 18 des Gesellschaftsvertrages enthaltenen Fortführungsklausel auf den Kläger als letzten verbleibenden Gesellschafter übergegangen sei. § 18 Abs. 1 S. 3 des Gesellschaftsvertrages sehe den Übergang der Anteile des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter ausdrücklich vor und enthalte keine dahingehende Einschränkung, dass dies nicht gelten solle, wenn nur ein einziger Gesellschafter verbleibe. Wenn allgemein von „Gesellschaftern“ die Rede sei, könne dies nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und der Rechtsprechung des BGH im Zweifel auch nur ein Gesellschafter sein, gerade wenn die Gesellschaft wie im vorliegenden Fall von Anfang an nur aus zwei Gesellschaftern bestehe.
Einen Verzug der Beklagten lehnte das Berufungsgericht jedoch ab, da sich die Beklagte infolge des Widerrufs der Einzelverfügungsberechtigung in einer unklaren Situation befunden habe. Im Übrigen treffe sie auch kein Verschulden.
Entscheidung des BGH
Aus Sicht des BGH hat das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Umschreibung der bei ihr geführten Gesellschaftskonten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger mit fehlerhafter Begründung stattgegeben. Die Auslegung des Berufungsgerichts von § 18 Abs. 1 S. 3 des Gesellschaftsvertrags, dass dieser keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass der Übergang des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters dann nicht gelte, wenn nur ein Gesellschafter übrigbleibe, verstoße gegen anerkannte Auslegungsregeln.
Die Auslegung eines Vertrages sei zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa, weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist. Leide die tatrichterliche Auslegung insoweit an revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, binde sie das Revisionsgericht nicht.
Aus Sicht des BGH ist das Berufungsgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass wenn die Gesellschafter einer GbR vereinbart haben, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern bei Ausscheiden eines Gesellschafters fortgeführt wird, das Gesellschaftsvermögen bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters grundsätzlich automatisch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den letzten verbleibenden Gesellschafter übergeht, sofern nichts Abweichendes geregelt ist.
§ 18 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags sähe im hiesigen Fall allerdings etwas Abweichendes vor: Aus § 18 Abs. 1 S. 1 des Gesellschaftsvertrags folge zunächst, dass die Sozietät im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters fortgeführt werde, „soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben“. Nach § 18 Abs. 1 S. 2 des Gesellschaftsvertrags sollen die übrigen Gesellschafter „auch“ im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter beschließen können, die Sozietät fortzuführen. Durch die Verwendung des Wortes „auch“ werde nach Auffassung des BGH ein systematischer Bezug von § 18 Abs. 1 S. 2 zu § 18 Abs. 1 S. 1 des Gesellschaftsvertrages hergestellt. Dieser werde auch dadurch bekräftigt, dass § 18 Abs. 1 S. 2 des Gesellschaftsvertrags die Möglichkeit der Fortsetzung der Gesellschaft dem Wortlaut nach den „übrigen“ und damit mehreren Gesellschaftern gewährt.
§ 18 Abs. 1 S. 3 des Gesellschaftsvertrags könne entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht isoliert von § 18 Abs. 1 S. 1 und 2 des Gesellschaftsvertrages betrachtet werden, sodass dieser eine Fortsetzung der Gesellschaft in Form von § 18 Abs. 1 S. 1 und 2 des Gesellschaftsvertrags, mithin eine Fortsetzung durch mehrere Gesellschafter voraussetze. Dieses Verständnis werde dadurch bestärkt, dass § 18 Abs. 1 S. 3 des Gesellschaftsvertrags mit Blick auf die verbleibenden Gesellschafter ebenfalls die Mehrzahl („den übrigen Gesellschaftern“) verwende.
Nach ständiger Rechtsprechung bildet allerdings selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände, wozu insbesondere auch die Absprachen der Vertragsparteien im Rahmen der vertragsanbahnenden Verhandlungen gehören. Da bislang noch nicht festgestellt sei, ob womöglich Umstände vorliegen, die eine abweichende Auslegung dahin rechtfertigen, dass das Vermögen entgegen dem aus Sicht des BGH klaren und eindeutigen Wortlaut von § 18 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags dennoch auf den Kläger übergegangen ist, konnte der BGH als Revisionsgericht die Auslegung von § 18 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags letztlich nicht selbst vornehmen.
Der BGH hat das Berufungsurteil daher aufgehoben und den Rechtsstreit gem. § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Hierbei wies er vorsorglich darauf hin, dass sich der bisherigen Rechtsprechung des BGH - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - keine allgemeine Auslegungsregel dahingehend entnehmen lasse, dass wenn allgemein von „Gesellschaftern“ die Rede sei, hiermit im Zweifel auch nur ein einzelner Gesellschafter gemeint sein könne. Ob dies angenommen werden kann, sei stets eine Frage des Einzelfalls.
(BGH, Urteil vom 29.10.2024 – II ZR 222/21)

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