Beschluss des BayObLG zur Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs bei vermeintlichem Verstoß gegen ordre public
Einführung
Der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) vom 26. Juni 2024 (Az. 101 Sch 116/23 e) ist eine lesenswerte Entscheidung, die sich mit der Anerkennung und Vollstreckbarkeit eines ausländischen Schiedsspruchs beschäftigt.
Mit Schiedsverfahren haben Unternehmen die Möglichkeit zur Lösung von Streitigkeiten in Form alternativer Streitbeilegung. Anstatt vor einem staatlichen Gericht, können Konflikte vor einem vertraglich eingesetzten Schiedsgericht beigelegt werden. Besonders relevant sind die Schiedsverfahren in internationalen Vertragsbeziehungen. Zum Beispiel sind Entscheidungen deutscher Gerichte in China nicht vollstreckbar und umgekehrt. Dagegen können die Entscheidungen von ausländischen Schiedsgerichten sowohl in Deutschland als auch in China vollstreckt werden, weil beide Länder Vertragstaten des New Yorker Übereinkommen über Anerkennung und Vollstreckung Ausländischer Schiedssprüche von 1958 (UNÜ) sind. Dem UNÜ sind fast alle Staaten beigetreten.
Damit z.B. ein chinesischer Schiedsspruch in Deutschland vollstreckt werden kann, muss er von einem deutschen Gericht für vollstreckbar erklärt werden. Dabei darf ein deutscher Richter die inhaltliche Richtigkeit des Schiedsspruchs nicht überprüfen, (sog. Verbot der révision au fond). Die Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs ist aber ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn die in Art. V UNÜ abschließend aufgeführten Gründe vorliegen. Dazu gehören z.B. das Fehlen einer Schiedsvereinbarung, die Verletzung des rechtlichen Gehörs oder wenn der Schiedsspruch zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
Diese Unvereinbarkeit liegt jedoch nicht bereits bei einem Verstoß gegen zwingendes deutsches Recht vor, sondern erst dann, wenn der Inhalt des ausländischen Urteils so stark im Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Rechts (ordre public) und den darin enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischer Auffassung untragbar erscheint. Dies ergibt sich aus § 1061 Abs.1 S.1 Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit Art. V Abs.2 lit. b) UNÜ. Der ordre public wirkt als Schutzmechanismus, um sicherzustellen, dass ausländische Entscheidungen nicht gegen grundlegende Prinzipien des deutschen Rechts verstoßen.
Deutsche Gerichte zeigen sich im Hinblick auf die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche eher großzügig.
Der in diesem Beitrag zu besprechende Beschluss befasst sich mit der Balance zwischen der Anerkennung internationaler Schiedssprüche und dem Schutz nationaler Rechtsgrundsätze am Beispiel der Verhandlung ausschließlich in Form einer Videokonferenz und der Zuerkennung einer erhöhten Vertragsstrafe.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall beantragten zwei in China ansässige Unternehmen beim BayObOLG die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen, die von der China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC) erlassen wurden. Die Schiedssprüche betrafen Schadensersatzforderungen und weitere Kosten gegen ein in Deutschland ansässiges Unternehmen.
Aufgrund der COVID-19 Pandemie war zum damaligen Zeitpunkt für einen unvorhersehbaren Zeitraum keine Präsenzverhandlung möglich, sodass die Schiedsverhandlung in Form einer Online-Verhandlung stattfand.
Das deutsche Unternehmen hat sich gegen die Anerkennung des Schiedsspruchs mit der Begründung gewehrt, die Anhörungen per Videokonferenz und auch das Zuerkennen einer Vertragsstrafe in Höhe von 10 Prozent stellten Verstoß gegen den ordre public dar. Wegen der Anhörungen per Videokonferenz habe es Verteidigungsmittel wegen pandemiebedingter Reisebeschränkungen nicht geltend machen können. Eine persönliche Teilnahme sei notwendig gewesen, um technische Details und Zeugenbeweise vorzulegen.
Entscheidung des BayObLG
Das BayObLG entschied, dass der Schiedsspruch nicht gegen ordre public verstößt und daher anzuerkennen ist. Es entschied, dass weder der Zwang zur Teilnahme an einer Videokonferenz während der COVID-19-Pandemie noch die Zuerkennung einer Vertragsstrafe von 10 % des Vertragswertes einen ordre public Verstoß begründet.
Im Leitsatz stellte es klar, dass Fehlentscheidungen in der Sache hinzunehmen sind. Damit setzte es in konsequenter Anwendung der UNÜ-Grundsätze die Rechtsprechung des BGH (BeckRS 2023, 41676; Rz. 79) fort. Es führte aus, dass in Verfahren vor staatlichen Gerichten ein Schiedsspruch gerade nicht auf seine materielle Richtigkeit zu überprüfen ist. Eine unrichtige Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht allein sei kein Grund, die Anerkennung und die Vollstreckbarerklärung zu verweigern.
Das BayObLG entschied, dass die Durchführung der Anhörungen per Videokonferenz nicht gegen die grundlegenden Prinzipien des deutschen Rechts verstößt und somit kein Verstoß gegen den ordre public vorliegt. Aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs.1 GG folge kein unmittelbarer ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung in Präsenzform. Vielmehr begründe es das Recht der Partei auf Äußerung in der Verhandlung.
Das Gericht betonte zwar, dass das rechtliche Gehör ein fundamentales Prinzip des deutschen Rechts ist, das auch im internationalen Kontext gewahrt werden muss.
Das deutsche Unternehmen habe aber keine erheblichen technischen oder praktischen Hindernisse nachweisen können, die ihre Teilnahme an der Videoverhandlung unzumutbar gemacht hätten. Ausreichend für den Anspruch auf rechtliches Gehör sei bereits die bloße Möglichkeit, an den Anhörungen teilzunehmen und die Argumente vorzubringen. Die Nutzung von Videokonferenzen sei ausreichend, um Verfahrensrechte während der Pandemie zu wahren. Eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung biete gerade bei einem in Folge einer Pandemie drohenden Stillstand der Rechtspflege eine rechtsstaatliche Möglichkeit, die Ansprüche auf effektive Rechtsdurchsetzung und auf rechtliches Gehör zu vereinen.
Zudem ist nach dem Gericht die erstmalige Geltendmachung der Gehörsrüge im Vollstreckbarkeitsverfahren dann ausgeschlossen, wenn die Partei bereits im Schiedsverfahren die Möglichkeit zur Gehörsrüge hatte und die Möglichkeit bestand, diese Verletzung zu heilen.
Das BayObLG entschied auch, dass der ordre public nicht durch die Zuerkennung einer überhöhten Vertragsstrafe verletzt sei. Das deutsche Unternehmen machte geltend, dass die Vertragsstrafe von insgesamt 10% der Auftragssumme unangemessen hoch sei und ihre wirtschaftliche Existenz gefährde.
Das BayObLG wies den Einwand zurück.
Das Gericht befand, dass eine Vertragsstrafe in Höhe von 10% der Hauptleistung wegen Verzugs nicht gegen den ordre public verstoße. Selbst eine Vertragsstrafe von 40% der Hauptleistung würde nicht allein wegen ihrer Höhe gegen den ordre public verstoßen. Es müssten vielmehr weitere Umstände hinzutreten. Die Höhe von Vertragsstrafen alleine begründe daher regelmäßig keinen so starken Widerspruch zu deutschen Rechtsvorstellungen, dass die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs insgesamt untragbar wäre.
Fazit
Der Beschluss des BayObLG bestätigt einmal mehr die Zurückhaltung der Gerichte einem ausländischen Schiedsspruch die Anerkennung zu versagen. Dies zeigt, dass an die Versagungsgründe strenge Maßstäbe anzulegen sind. Insbesondere ist der in Art. V Abs.2 lit. b) UNÜ geregelte ordre public eng auszulegen.
Der Beschluss stärkt daher das Vertrauen in die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und fördert die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Deutschland.