November 2025 Blog

EU-Entgelttransparenzrichtlinie: Kommissionsvorschläge zur „bürokratiearmen“ Umsetzung und ihre Folgen

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie muss bis 7. Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden. Ab dann ist gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit nicht mehr nur Ziel, sondern Pflicht (wir haben berichtet)

Das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte zum Zweck der Erarbeitung von Vorschlägen für eine effektive Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie eine Kommission eingesetzt. Diese hat zwischenzeitlich ihren Abschlussbericht an Bundesministerin Prien übergeben. Die folgenden Punkte fassen die wichtigsten Ergebnisse der Kommission zusammen. 

Entgeltbegriff und Vergleichsgruppenbildung

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie sieht u.a. Berichtspflichten der Unternehmen und Auskunftsrechte der Mitarbeitenden vor. Die Kommission hat sich ausgiebig mit der Frage auseinandergesetzt, wie das berichtspflichtige Entgelt und Vergleichsgruppen zu definieren sind.

Entgelt:

  • Die Kommission empfiehlt mehrheitlich, für Berichte und Auskünfte auf das tatsächlich gezahlte Entgelt im Vorjahreszeitraum abzustellen und dieses transparent in Bruttojahresentgelt und daraus abgeleitetes Bruttostundenentgelt zu überführen.
  • Nicht leistungsbezogene Einmalbeträge ohne Bezug zum Berichtszeitraum (z.B. Abfindungen) sollen ausgenommen werden.
  • Variable und ergänzende Bestandteile sollen entweder als Summe oder in sinnvollen Gruppen berichtet werden dürfen, um Komplexität zu reduzieren, zugleich aber Vergleichbarkeit zu erhalten.
  • Als Bezugspunkt für Berechnungen kann nach Auffassung der Kommission die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (ohne Überstunden) herangezogen werden. 

Vergleichsgruppen

  • Für die Bildung von Vergleichsgruppen gelten die Kriterien der Richtlinie, d.h. Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. Der Gesetzgeber soll dies nicht national umdefinieren, aber die Anwendung durch klarstellende Vorgaben und freiwillige Tools unterstützen, insbesondere für KMU.
  • Erfreulich für Arbeitgeber: Regionale Unterschiede, unterschiedliche Standorte und historisch gewachsene Altverträge sollen in der Dokumentation differenziert betrachtet werden dürfen. 

Auskunftsrechte der Beschäftigten

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie gewährt Mitarbeitenden ein Auskunftsrecht über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche Arbeit wie sie oder gleichwertige Arbeit verrichten. 

  • Beim Auskunftsanspruch empfiehlt die Kommission eine schlanke, digital zu erteilende Auskunft in Textform, beschränkt auf das im Vorjahr gezahlte Gesamtentgelt, ausgewiesen als Bruttojahres- und entsprechendes Bruttostundenentgelt.
  • Eine Aufschlüsselung in jede einzelne Lohnart soll nicht erforderlich sein.
  • Die Auskunft soll einmal jährlich für das vorangegangene Jahr beansprucht werden können; ein jederzeitiges Wiederholungsrecht lehnt die Kommission mit breiter Mehrheit ab.
  • Standardisierte Auskunftsformulare sollen zur freiwilligen Nutzung bereitgestellt werden.
  • Tarifgebundene Arbeitgeber sollen bei der Auskunft privilegiert werden: Die Vergleichsgruppe soll vorrangig die tarifliche Entgeltgruppe sein; bei den Kriterien kann auf die Tarifregelung verwiesen werden, sofern diese richtlinienkonform angewandt wird. 

Berichtspflichten

Arbeitgeber ab 100 Mitarbeitenden müssen die Entgeltindikatoren nach der EU-Entgelttransparenzrichtlinie der Aufsichtsbehörde berichten und öffentlich machen, Arbeitgeber mit mindestens 150 Mitarbeitenden erstmals bis zum 7. Juni 2027 für das vorausgegangene Jahr. Die Kommission spricht sich dafür aus, die Begriffe Median und Durchschnitt gesetzlich zu definieren und die Datenkalkulation rechtssicher zu standardisieren. Ergänzende Empfehlungen sind:

  • Nutzung von Vollzeitäquivalenten, wenn nur mit Bruttojahresentgelt berichtet wird.  
  • Trennung der Indikatoren nach Beschäftigungsstaaten, um Verzerrungen zu vermeiden.
  • Möglichkeit, ergänzende/variable Bestandteile zusammengefasst oder in Gruppen darzustellen.
  • Keine Ausweitung der Berichtspflicht auf Arbeitgeber unter 100 Beschäftigten.
  • Harmonisierung mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) zur Vermeidung von Doppelarbeit.
  • Keine Pflichtzertifizierung von Tools; vielmehr staatliche, kostenfreie, niederschwellige Hilfsmittel, Templates und ein Portal mit Plausibilitätsprüfungen und Schnittstellen (z.B. zu DATEV/AGENDA).

Die Arbeitnehmervertretung soll nicht gleichberechtigt in die Berichtserstellung eingebunden werden, sondern lediglich ein Anhörungsrecht zur Richtigkeit der Angaben haben. Zugleich wird betont, dass bei der Bestimmung der Vergleichsgruppen eine Beteiligung der Arbeitnehmervertretung erfolgen soll; in tarifgebundenen Betrieben entfällt ein betriebliches Mitbestimmungsrecht insoweit, wie der Tarifvertrag richtlinienkonform ist. 

Abhilfe bei relevanter Entgeltlücke 

Ergibt sich aus den Berichten auf Gruppenebene ein geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle von mindestens 5 Prozent, das nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt ist, ist nach der EU-Entgelttransparenzrichtlinie Abhilfe zu schaffen. 

Der Gesetzgeber sollte nach Auffassung der Kommission in Anlehnung an das AGG einen nicht abschließenden Katalog objektiver Rechtfertigungsgründe kodifizieren und zwischen stellenbezogenen Bewertungskriterien und personenbezogenen bzw. personenbeziehbaren Rechtfertigungsfaktoren unterscheiden. 

Steht ein geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle von mindestens 5 Prozent fest, befürwortet die Kommission hierfür ein zweistufiges, praxistaugliches Verfahren: 

  • zeitnahe Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertretung (z.B. innerhalb von sechs Wochen) sowie
  • Vereinbarung eines Fahrplans mit sachangemessenen Fristen. Wo tarifliche Regelungen betroffen sind, sollen längere Fristen möglich sein, um die Einbindung der Tarifparteien zu gewährleisten. 

Eine Abhilfemaßnahme kann laut Kommission zukunftsgerichtet auch durch Einfrieren begünstigter Entgelte bis zur Herstellung der Entgeltgleichheit oder – unter Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorgaben – durch Absenkung erfolgen. 

Tarifverträge und Angemessenheitsvermutung

Die Kommission betont in ihrem Bericht die hohe Bedeutung der Tarifautonomie und empfiehlt eine Privilegierung tarifgebundener Arbeitgeber. Kernelemente sind eine Angemessenheitsvermutung in dem Sinne, dass Auskunfts- und Bewertungsprozesse vorrangig an tariflichen Entgeltgruppen anknüpfen, längere Fristen gewährt werden und bei Nachfragen im Bericht ein erweiterter zeitlicher Rahmen gilt. Strittig bleibt die Reichweite dieser Vermutung im Unionsrecht; mehrheitlich wird sie befürwortet, zugleich aber festgehalten, dass eine Privilegierung richtlinienkonform sein muss und tarifliche Regelungen nicht die Korrektur objektiv nicht gerechtfertigter Entgeltunterschiede blockieren dürfen.

Ob diese Privilegien auch auf tarifanwendende Arbeitgeber erstreckt werden sollen, bejaht die Kommissionsmehrheit; einzelne Mitglieder lehnen dies mit Blick auf den Schutzbereich der Tarifautonomie ab. Eine nachträgliche pauschale Unantastbarkeit diskriminierender Tarifnormen lehnt die Kommission mehrheitlich ab; erforderlich sind rechtskonforme Anpassungswege unter Wahrung der Systematik des Tarifrechts.

Fazit

Die Kommission setzt auf rechtssichere Definitionsklarheit, jährliche, digitale und fokussierte Auskünfte, konsistente Berichte mit praktikablen Optionen für variable Bestandteile, ein schlankes Abhilfeverfahren ab relevanten Lücken, flankiert von objektiven Rechtfertigungsmaßstäben, sowie auf eine unionsrechtskonforme Privilegierung tarifgebundener Arbeitgeber. 

Die Empfehlungen der Kommission geben trotz fehlender rechtlicher Verbindlichkeit eine maßgebliche Orientierung für die nationale Umsetzung. Die Vielzahl an Sondervoten zeigt jedoch, dass die Empfehlungen der Kommission nicht einstimmig erfolgten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich der Gesetzgeber an den Kommissionsempfehlungen orientiert. Ein Gesetzentwurf soll nun bis Januar 2026 vorgelegt werden.

Für die Praxis sind die Empfehlungen bereits jetzt eindeutig: Vergütungssysteme systematisch dokumentieren, Vergleichsgruppen belastbar bilden und bei einer Lücke jenseits der Relevanzschwelle strukturiert Abhilfe schaffen.

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