August 2024 Blog

Ein bisschen Schwund ist immer: Haftungsfalle Warenlager

Hinsichtlich des gesellschaftseigenen Warenbestands treffen den Geschäftsführer einer GmbH Organisations- und Überwachungspflichten, die in begründeten Verdachtsfällen zu Nachforschungs- und Ahnungspflichten erstarken – Haftungsrisiko inklusive.

Sachverhalt

Die klagende GmbH betreibt einen Schießstand. Die Klägerin behauptet, in der Verantwortung des beklagten Geschäftsführers sei es zu Fehlbeständen bei Munition und Wurftauben gekommen. Dies habe ein Vergleich der von dem Beklagten zum jeweiligen Jahresende festgestellten Bestände an Wurftauben und Munition mit den getätigten Zukäufen und den sich aus den Monatsabrechnungen ergebenden Abgängen ergeben. Hieraus sei der Klägerin bzgl. Tontauben ein Schaden von EUR 37.000,- und bezüglich Munition ein Schaden von EUR 45.000,- entstanden. Der Beklagte erklärte die Tontaubenfehlbestände mit defekten Exemplaren und Schädigungen intakter Tontauben durch eine fehleranfällige Wurfmaschine. Zu den Munitionsfehlbeständen sei es vor allem dadurch gekommen, dass Helfer an den Schießständen bei hohem Teilnehmerandrang versehentlich nicht sämtliche verkaufte Munition in entsprechenden Listen verzeichnet hätten.

Nachdem das Landgericht die Klage aus prozessualen Gründen abgewiesen hatte, gab das OLG Köln der Klägerin hinsichtlich der Munitionsfehlbestände Recht.

Entscheidung

Die Haftung des Beklagten ergebe sich aus § 43 Abs. 2 GmbHG. Nach dieser Norm treffe eine GmbH im Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche gegen ihren Geschäftsführer gem. § 43 Abs. 2 GmbHG die Darlegungs- und Beweislast allein dafür, dass und inwieweit ihr durch ein „möglicherweise“ pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist. Hingegen habe der Geschäftsführer darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten gem. § 43 Abs. 1 GmbHG nachgekommen ist oder ihn kein Verschulden trifft. Gehe es – wie hier – um Fehlbestände im Warenbestand, so folge hieraus, dass der Gesellschaft nur die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass und in welchem Maße der buchmäßige (Soll-) Bestand vom tatsächlichen (Ist-) Bestand der Waren abweicht. Sache des Geschäftsführers sei es dann, die Beweisvermutung der Geschäftsunterlagen zu entkräften, indem er die Verwendung und den Verbleib der fehlenden Waren im Einzelnen darlegt und erforderlichenfalls beweist. Werde der Fehlbestand dagegen nicht aufgeklärt, so gehe das zulasten des für die Buch- und Kassenführung verantwortlichen Geschäftsführers.

So habe es hinsichtlich des Fehlbestands an Munition gelegen. Während die Klägerin ihrer Darlegungs- und Beweislast insoweit durch ihren Vortrag zu den Abweichungen des „Sollbestands“ an Munition vom „Istbestand“ nachgekommen sei, habe der Beklagte zu seiner Entlastung nicht hinreichend vorgetragen. So lasse sein Vortrag, wonach verkaufte Munition bei hohem Nutzerandrang versehentlich nicht verbucht worden und die Abweichungen ansonsten auf Munitionsversager sowie Munitionsverbrauch zum Einschießen von Lehrgangswaffen zurückzuführen seien, nicht einmal eine Schätzung zu, in welchem Ausmaß derlei Vorfälle den Munitionsbestand herabgesetzt haben könnten. Zudem liege es auch nach den eingeholten Zeugenaussagen fern, dass sich hierdurch überhaupt relevante Fehlmengen erklären ließen. Im Übrigen könnten auch fehlerhafte Verbuchungen durch Standpersonal den Beklagten nicht entlasten. Denn er hatte über das von ihm eingesetzte Standpersonal die Aufsicht zu führen und war gehalten, jegliche Nachlässigkeiten abzustellen. Dies wäre ihm auch mühelos möglich gewesen, weil ihm Diskrepanzen zwischen der von ihm ausgegebenen und der von den jeweiligen Standaufsichten abgerechneten bzw. zurückgegebenen Munition hätten auffallen müssen.

Anders hätten die Dinge dagegen bei den Tontauben gelegen. Hier war unstreitig geblieben, dass es einen gewissen Ausschuss deshalb gibt, weil Tontauben bereits beim Werfen zu Bruch gehen. Diese Fälle aber wurden nicht dokumentiert und hatten daher auch keinen Eingang in die Aufstellung der Klägerin gefunden, die daher lediglich den dokumentierten „Verkauf“ in Abzug gebracht hatte. Hinsichtlich des Umfangs der zu Bruch gegangenen Tontauben hatten beide Parteien Quantifizierungen abgegeben, die jeweils durch Zeugenaussagen mehr oder weniger bestätigt worden waren. Das OLG hat daher im Wege der Schätzung eine in der Mitte der Parteiangaben liegende Bruchquote angenommen, die sogar zu einem höheren als den tatsächlich vorgefundenen Fehlbestand geführt hätte. Im Ergebnis sah das OLG den Beklagten daher insoweit als entlastet an.

Anmerkung

Die vorliegende Entscheidung ist ein Paradebeispiel für die besonders gelagerte Darlegungs- und Beweislast im Fall der Geschäftsführer- oder Vorstandshaftung. Zugleich ist sie – über die Besonderheiten des konkreten Falls hinaus – allgemein auf die Haftung für Warenlagerbestände anwendbar.

Gemäß § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch im Rahmen des vorliegend anwendbaren § 43 Abs. 2 GmbHG besteht ein besonderes Haftungsrisiko von Geschäftsleitungsorganen darin, dass in Abweichung von den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nicht der Geschädigte (hier: die Gesellschaft), sondern der Geschäftsführer bzw. Vorstand konkret darlegen und ggf. beweisen muss, dass er bei der Wahrnehmung seiner organschaftlichen Pflichten rechtmäßig gehandelt, sich also keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht hat. Dabei ist mit Blick auf die Bestände gesellschaftseigener Warenlager zu beachten, dass die Geschäftsleitung eine Organisations- und Überwachungspflicht trifft, die sich bei glaubhaften Verdachtsmomenten für Ungereimtheiten oder Rechtsverstößen in eine konkrete Nachforschungs- und Ahndungspflicht umwandelt. Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte es hinsichtlich der zum jeweiligen Jahresende feststellbaren Fehlbestände dauerhaft und pflichtwidrig unterlassen, den Grund für das Verschwinden von Munition zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass weitere Fehlbestände nach aller Möglichkeit unterbleiben würden. Dies insbesondere deshalb, weil das Ausmaß der Fehlbestände objektiv nicht durch Fehlzündungen und das Einschießen von Lehrgangswaffen erklärbar war. Eine Entlastung des Beklagten kam daher insoweit nicht in Betracht.

Anders bei den Tontauben. Hier konnte der Beklagte zur Überzeugung des OLG darlegen und beweisen, dass jene Fehlbestände auch quantitativ auf bereits beim Wurf defekte Tontauben zurückzuführen waren. Diese Defekte aber hatte der Beklagte nach Auffassung des Senats offenbar nicht zu vertreten, was wenigstens für die Mitverursachung der Tontaubenbrüche durch die möglicherweise ebenfalls defekte Wurfanlage zweifelhaft erscheint. Denn sollte die Wurfanlage tatsächlich wegen eines Defekts übermäßig viele Tontauben bereits beim Wurf zu Bruch gebracht haben, dürfte es zu den Pflichten des Beklagten gehört haben, die Wurfmaschine zur Vermeidung der Schäden in Stand zu setzen lassen.

(OLG Köln Urteil vom 2.5.2024 – 18 U 190/22)

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