September 2024 Blog

Führen von Vergleichsverhandlungen durch Aufsichtsrat ohne Vorstandsmandat ist pflichtwidrig

Wer kennt ihn nicht, den „starken“ Aufsichtsratsvorsitzenden, der gern einmal am Vorstand vorbei die Dinge selbst in die Hand nimmt? Das hierin liegende Risiko skizziert das LG München I.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft, deren alleiniger Vorstand X Ende Mai 2018 schwer erkrankt sein Amt zum Ablauf des 6. Juni 2018 niederlegte. Ein neuer Vorstand wurde unstreitig frühestens am 8. Juni 2018 bestellt. Der Beklagte war bis Anfang Juli 2018 Aufsichtsratsvorsitzender der Klägerin. 
Am 4.  Juni 2018 erreichte eine Aufsichtsratssitzung der Klägerin ein anwaltliches Forderungsschreiben ihrer 100%igen mittelbaren Tochter Y-GmbH über 13,5 Mio. EUR. Hintergrund der Forderung waren fehlerhafte Beratungsleistungen der Klägerin gegenüber der Y-GmbH, welche die Klägerin im Wesentlichen durch die Z-AG erbringen ließ. Am 5. Juni 2018 kam es deshalb zu einem Gespräch zwischen dem für die Klägerin auftretenden Beklagten und dem Vorstand der Z-AG, in dessen Verlauf der Beklagte die wirtschaftlich schlechte Situation der Klägerin sowie der Y-GmbH skizzierte und im Zusammenhang mit der Schilderung der Forderung der Y-GmbH fragte, ob die Z-AG zu kurzfristigen Zahlungen in Höhe von rund 3 Mio. EUR bereit sei. Am 7. Juni 2018 stellte die Z-AG einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin unter Hinweis auf eine sofort fällige Honorarforderung gegen diese über rund 750.000,- EUR. 
Mit ihrer Klage machte die Klägerin insbesondere Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten in Höhe von 1,2 Mio. EUR geltend. Der Beklagte habe das Gespräch am 5. Juni 2018 auf eigene Faust geführt und wirtschaftliche Geheimnisse der Gesellschaft verraten.  Infolge dessen sei es wegen der Einleitung des Insolvenzverfahrens der Klägerin nicht mehr zu einer abschlussreifen Transaktion mit einem Unternehmen der Biodiesel-Branche gekommen, was zu einem Schaden in der eingeklagten Höhe geführt habe.

Entscheidung

Bei seiner Prüfung des Vorliegens der Haftungsvoraussetzungen der §§ 116, 93 AktG hat das OLG offengelassen, ob sich der Beklagte des Geheimnisverrats schuldig gemacht hat. Eine Pflichtverletzung des Beklagten liege nämlich bereits darin, dass er bei der Z-AG im Zusammenhang mit der Forderung der Y-GmbH wegen einer kurzfristigen Zahlung in Höhe von 3 Mio. EUR angefragt hatte. Hierdurch sei der Beklagte pflichtwidrig in Vergleichsgespräche eingetreten. Denn als Aufsichtsrat hatte der Beklagte die sich aus dem Aktiengesetz ergebende Kompetenzordnung zu beachten. Danach aber gehören Vergleichsverhandlungen zum operativen Aufgabenbereich des Vorstandes. Ohne Mandat des allein zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Vorstands können Vergleichsgespräche daher vom Aufsichtsrat oder seinen Mitgliedern nicht wahrgenommen werden. Vorliegend hat der Beklagte aber nicht vorgetragen, von dem alleinigen Vorstandsmitglied X mit dem Gespräch beauftragt worden zu sein. An der Überschreitung seiner Kompetenz änderte auch die schwere Erkrankung des alleinigen Vorstandsmitglieds X nichts. Denn X war am 5. Juni 2018 noch immer Alleinvorstand und in dieser Funktion auch zur Wahrnehmung von Geschäftsführungsaufgaben durchaus noch in der Lage. Dies ergebe sich u.a. aus dem vom Beklagten selbst vorgelegten Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 8. Juni 2018, in der auf eine E-Mail des X vom 7. Juni 2018 Bezug genommen wird, in der dieser der Gesellschaft in anderem Zusammenhang Bericht erstattet hatte. Vor diesem Hintergrund konnte es daher auch keine Rolle spielen, dass der Beklagte möglicherweise von der Führungslosigkeit der Gesellschaft ausgegangen war.
Dass der Beklagte trotz bejahter Pflichtverletzung gleichwohl keinen Schadenersatz leisten muss, lag allein an der von der Klägerin nicht bewiesenen Behauptung, dass es ohne die Pflichtwidrigkeit zu dem Abschluss der Transaktion im Bereich Biodiesel gekommen wäre. Anhand der von der Klägerin dargelegten Tatsachen konnte der Senat sich hiervon nicht überzeugen.

Anmerkung

Wer kennt ihn nicht, den „starken Aufsichtsratsvorsitzenden“, der in schwierigen wirtschaftlichen Konstellationen gern einmal am Vorstand vorbei die Dinge selbst in die Hand nimmt. So mancher Vorstand kann hiervon ein Lied singen. Vor diesem Hintergrund erinnert das LG München I zu Recht daran, dass die aktienrechtliche Kompetenzordnung eine andere ist. § 76 Abs. 1 AktG weist allein dem Vorstand die Leitung der Gesellschaft zu und grenzt dessen Kompetenzen damit zugleich vom Aufsichtsrat (und der Hauptversammlung) ab. Entsprechend vertritt der Vorstand die Gesellschaft gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG gerichtlich und außergerichtlich. Eine originäre Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats für die Gesellschaft besteht dagegen allein gegenüber Vorstandsmitgliedern (§ 112 Satz 1 AktG). Vorliegend hat der Beklagte aber Dritten gegenüber gehandelt, nämlich gegenüber der Z-AG. Damit benötigte der Beklagte für seine Vergleichsverhandlungen zwingend ein Mandat des alleinigen Noch-Vorstands X, das er jedoch nicht vorweisen konnte. 
Die Handlungsanweisung für die Praxis ist damit klar: Der Aufsichtsrat muss sich in derlei Fällen zwingend jedenfalls um eine Mitwirkung bzw. Mandatierung durch den Vorstand als Gesamtorgan bemühen. Unterbleibt dies, droht dem handelnden Aufsichtsratsmitglied eine Eigenhaftung, soweit der Gesellschaft hierdurch ein kausaler Schaden entsteht (an dem es im vorliegenden Fall jedoch gemangelt hat). Zumal wäre ein vom Aufsichtsratsmitglied geschlossener Vertrag mangels Vertretungsmacht jedenfalls schwebend unwirksam, nach anderer Auffassung sogar nichtig. 

(LG München I Endurteil v. 23.5.2024 – 5 HK O 7237/23)

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