Übergangszeitraum für Vertriebsverträge abgelaufen
Die neue Vertikal-GVO 2022/720, die seit dem 1. Juni 2022 gilt, enthielt einen Übergangszeitraum für bereits zuvor geschlossene Verträge. Dieser ist am 31. Mai 2023 abgelaufen. Eine Überprüfung bestehender Verträge ist ratsam.
Zusammenfassung
Bereits in unserem vorigen Newsletterbeitrag zur Vertikal-GVO 2022/720 haben wir die wesentlichen Änderungen skizziert. Erfreulich ist, dass viele Regelungen flexibler geworden sind. Etwa erfasst die Vertikal-GVO nun auch Importeure und Großhändler, die im dualen Vertrieb in Konkurrenz zu ihren Händlern auf Vertriebsebene stehen.
Exklusivgebiete dürfen nun an bis zu fünf Händler gemeinsam vergeben werden, die gegen den Wettbewerb durch alle übrigen Abnehmer des Lieferanten geschützt sind.
Die Weitergabe von Gebietsbeschränkungen an die Kunden des Abnehmers ist nun einfacher möglich. Hier gilt es vor allem, verwendete Musterverträge anzupassen oder bei neuen Vertragsabschlüssen den Gestaltungsspielraum auszuschöpfen.
Die anfängliche Euphorie über die stillschweigende Verlängerung von Wettbewerbsverboten ist verflogen - bislang scheint dies nicht praktikabel und mit erheblichen Risiken verbunden.
Im Bereich des Online-Handels gab es einige Änderungen und Klarstellungen. Hier zeigt sich in der Praxis, dass oftmals die Vorgaben und Verbote betreffend den Online-Handel, etwa Plattform-Verbote, nicht zulässig gestaltet sind. Verträge, die Vorgaben für den Händler hinsichtlich dessen Online-Vertrieb enthalten, sollten daher in jedem Fall überprüft werden.
Der Übergangszeitraum wird jedoch vor allem dort relevant, wo die Regelungen strenger geworden sind. Dies betrifft in erster Linie den Informationsaustausch.
Informationsaustausch in Händlerverträgen
Tritt ein Hersteller oder Großhändler mit den Händlern auf der nachgelagerten Marktstufe in Wettbewerb, so wird dies als dualer oder zweigleisiger Vertrieb von der Vertikal-GVO gesondert behandelt.
In Vertragshändlerverträgen sind regelmäßig Berichtspflichten verankert. Teilweise lässt sich der Lieferant sogar Audit- und Einsichtsrechte einräumen. Die Lieferanten sind - gerade dann, wenn sie selbst auf demselben Markt im dualen Vertrieb tätig sind - an Informationen interessiert und versuchen, an immer weitere, möglichst konkrete Daten zu gelangen. Dem soll die neue Regelung in der Vertikal-GVO einen Riegel vorschieben.
Sind an dieser Stelle Verträge nicht korrekt nach dem aktuellen Vertriebskartellrecht gestaltet, kann dies dazu führen, dass der Gesamtvertrag unwirksam ist - und Bußgelder drohen. Beides unwillkommene Auswirkungen.
Sind die Parteien Wettbewerber auf der nachgelagerten Vertriebsstufe, muss der Informationsaustausch auf solche Informationen beschränkt sein, die die Umsetzung des Vertriebsvertrages direkt betreffen und gleichzeitig zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs erforderlich sind, Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO. Es ist also stets zu empfehlen, Daten aggregiert zu übermitteln und insbesondere Informationen zu Verkaufspreisen nur zeitlich verzögert für die Vergangenheit zu teilen. Informationen über Verkaufspreise sind deshalb kritisch, da sie nicht für Preisbindung zweiter Hand oder Mindestpreisvorgaben genutzt werden dürfen.
Die von der Kommission erlassenen Leitlinien geben einige Beispiele für zulässigen und unzulässigen Informationsaustausch. Informationen über identifizierte Endabnehmer sind etwa nur in Sonderfällen zulässig, etwa wenn dies für die Anpassung der Vertragsware an die Anforderungen des Abnehmers erforderlich ist.
Die Kehrseite dieser neuen Regelungen ist, dass sich viele Händler auf kartellrechtliche Bedenken berufen und ihre Pflichten nicht erfüllen wollen, sondern ihre Daten geheim halten. Bei genauerer Prüfung erweisen sich diese Bedenken hingegen vielfach als vorgeschoben.
Online-Handel
Viele Hersteller haben ein Interesse, in ihren Vertragshändlerverträgen die Nutzung von Online-Plattformen wie Amazon etc. auszuschließen. Die Gründe hierfür sind divers.
Zu unterscheiden ist, ob der Vertrieb an die Plattform als Weiterverkäufer geregelt werden soll oder ein Vertrieb über die Plattform durch den Händler an den Endkunden. Will sich der Hersteller den Vertrieb an die Plattform als Weiterverkäufer exklusiv vorbehalten, kann dies über eine Regelung einer exklusiven Kundengruppe erfolgen, die sodann von den Händlern nicht beliefert werden darf. Voraussetzung ist hier nur, dass die Belieferung allen Händlern, die in Europa tätig sind, gleichermaßen untersagt wird.
Schwieriger gestaltet sich der Ausschluss des Handels über die Plattformen als Vertriebsweg. In der Praxis kann dieser Ausschluss unzulässig sein - mit der Auswirkung, dass der gesamte Vertrag unwirksam wird, wenn der Hersteller diesen Ausschluss in den Vertrag aufgenommen hat. Besonders kritisch ist der Fall, dass der Hersteller dem Großhändler diesbezügliche Vorgaben auferlegt, die dieser an seine Händler weiterreichen soll.
ErwGr. 15 der Vertikal-GVO stellt klar, dass die Nutzung des Internets durch den Abnehmer nicht verhindert werden darf und ein Ausschluss eines „ganzen Online-Werbekanals wie Preisvergleichsdienste oder Suchmaschinenwerbung“ nicht freigestellt ist. Wird also faktisch der Internetvertrieb maßgeblich verhindert, entfällt die Freistellung aller übrigen Beschränkungen der Vereinbarung (schwarze Klausel). Dies hat somit weitreichende Folgen.
Die sogenannte „Logo-Klausel“, wonach die Nutzung von Online-Portalen, deren Logo für den Endkunden erkennbar ist, beschränkt werden kann, ist entfallen. Die Leitlinien übernehmen die Rechtsprechung des EuGH (Verweis in Rn. 208), wonach die Beschränkung der Nutzung von Online-Portalen und Online-Vermittlungsdiensten im Einzelnen geprüft werden muss und die tatsächliche Nutzung des Internets durch den Abnehmer nicht de facto verhindern darf. Dies hat zum Ergebnis, dass eine kleinteilige Prüfung erfolgen muss und Musterklauseln das Risiko der Vertragsunwirksamkeit bergen.
Wettbewerbsverbot
Begrüßt wurde von vielen Kommentaren zur neuen Vertikal-GVO die Bezugnahme auf eine stillschweigende Verlängerung von Wettbewerbsverboten. Hingegen ist bislang Zurückhaltung ratsam, soweit die Leitlinien in Rn. 248 eine automatische Verlängerung von auf fünf Jahren befristeten Wettbewerbsverboten unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklären. Auch wenn die Befristung und damit einhergehende Notwendigkeit, vor Ablauf der fünf Jahre erneut mit dem Vertragspartner eine Einigung über ein Wettbewerbsverbot zu erzielen, in der Praxis mühsam ist, kann bisher hierzu nicht geraten werden. Die Leitlinien sind für Gerichte nicht verbindlich und noch ist ungeklärt, welche Sachverhaltskonstellationen unter die Voraussetzungen fallen könnten. Die Leitlinien geben als Wirksamkeitsvoraussetzung vor, dass dem Abnehmer ausreichende Möglichkeit zur Beendigung gewährt wird, um die automatische Verlängerung des Wettbewerbsverbotes kartellrechtlich zulässig zu machen. Hier ist erhebliches Streitpotential vorhanden, sollte ein Händler sich künftig nicht mehr an ein Wettbewerbsverbot halten wollen. Wurde eine stillschweigende Verlängerung vereinbart, so gibt es einige Ansatzpunkte für den Händler, um das Wettbewerbsverbot für von Anfang an unwirksam erklären zu lassen.