Überprüfung von Antidumpingzöllen: EuGH erklärt „Fliesen-Verordnung“ für gültig
Ob Schrauben, Fahrräder oder Keramikerzeugnisse: Antidumpingzölle gelten mittlerweile für eine Vielzahl an Waren, vorwiegend fernöstlicher Herkunft. Die drakonischen Zuschläge auf die normalen Einfuhrzölle machen den Import in aller Regel wirtschaftlich unrentabel. Vor diesem Hintergrund sind zwei jüngste Entscheidungen des EuGH vom 10. September 2015 für Importeure (potenziell) betroffener Waren von Interesse.
Der Gerichtshof setzt sich in den Urteilen detailliert mit den Anforderungen an die von der Kommission vor der Einführung von Antidumping-Zöllen zu treffenden Tatsachenermittlungen auseinander. Dass die Kommission die Entscheidung über Antidumping-Zölle auf entsprechend objektive und belastbare Feststellungen stützt und dies erforderlichenfalls auch durch den EuGH genau geprüft wird, ist für Importeure besonders wichtig – denn anders als der EuGH haben sie aufgrund der Vertraulichkeit nur begrenzte Einsicht in die zugrundeliegenden Unterlagen und daher nur begrenzte Möglichkeiten, Fehler nachzuweisen.
Die nun ergangenen Urteile lassen indes eine eher großzügige Handhabung der gerichtlichen Kontrolle erkennen. Zugrunde lagen Vorlagebeschlüsse gleich zweier nationaler Gerichte, des FG München und des schwedischen Förvaltningsrätt i Malmö. Beiden Gerichten waren unabhängig voneinander bei der Prüfung entsprechender Abgabenbescheide erhebliche Zweifel gekommen, ob die Verordnung (EU) Nr. 917/2011, mit der ein endgültiger Antidumpingzoll auf chinesische Keramikfliesen eingeführt wurde („Fliesen-Verordnung“), gültig war. Diese Bedenken betrafen einerseits die Feststellungen der Kommission zur Frage, ob die chinesischen Fliesen-Produzenten ihre Fliesen zu Dumping-Preisen anboten. Zweifelhaft erschien den Gerichten außerdem, ob eine Schädigung der EU-Wirtschaft hinreichend nachgewiesen war.
Die Feststellung eines Dumpings setzt die Ermittlung eines angemessenen Marktpreises für Importware aus nicht-gedumpten Einfuhren als Vergleichswert voraus. Insbesondere das FG München hatte erhebliche Bedenken, ob die Ermittlungen dieses „Normalwertes“ korrekt erfolgt waren. Zum einen hatte die Kommission zur Ermittlung des „Normalwertes“ nur die USA als Vergleichsland herangezogen. Aus Sicht des FG München bestanden indes Anhaltspunkte, dass sich der US- und der chinesische Fliesenmarkt gravierend unterschieden. Zum anderen waren in den USA nur Angaben von einem einzelnen Hersteller einbezogen worden, der zudem noch mit einem EU-Hersteller verbunden war. Auch die Datengrundlage für die Prüfung einer Schädigung der EU-Hersteller schien dem FG München angreifbar. So waren in den Preisvergleich auf chinesischer Seite überwiegend Großunternehmen einbezogen worden, während die Stichprobe zur Feststellung einer Schädigung auf EU-Seite auch kleine und mittlere Unternehmen einbezog. Da diese europäischen Unternehmen darüber hinaus fast ausschließlich aus Westeuropa stammten, stellte sich aus Sicht des FG München die Frage, ob das EU-Preisniveau unangemessen hoch und das chinesische Preisniveau zu niedrig ermittelt worden.
Der EuGH teilte diese Bedenken nicht: So habe überhaupt nur einer der angeschriebenen Hersteller den Fragebogen der Kommission hinreichend beantwortet. Obwohl dieses Unternehmens mit einem EU-Hersteller verbunden sei, hielt der Gerichtshof es für „unwahrscheinlich“, dass dies die Antworten des US-Herstellers auf dem Fragebogen beeinflusst habe. Auch die Stichproben-Auswahl im Rahmen der Schädigungsfeststellung sei nicht zu beanstanden, weil die beiden Stichproben in der EU und in China unterschiedliche Zwecke verfolgten. Bei der Bewertung der Preise in China gehe es um eine möglichst genaue Ermittlung der durchschnittlichen Einfuhrpreise, bei der Erhebung der EU-Preise hingegen darum, die Auswirkungen der mutmaßlich gedumpten Preise auf die verschiedenen Kategorien von Unionsherstellern zu ermitteln. Für letzteres sei eine repräsentative geografische Verteilung der Stichproben in der EU nicht nötig, es genüge, dass ein „ausreichend hoher Anteil“ der Unionsproduktion insgesamt abgebildet sei.
Auch die Bedenken des Förvaltningsrätt i Malmö griffen nach Auffassung des EuGH nicht durch. Obwohl es dem schwedischen Gericht gelungen war, einen Fehler bei der Berechnung der Einfuhrmengen aus China nachzuweisen, sei dieser Fehler ohne Auswirkungen auf die Feststellung einer Schädigung der EU-Fliesenhersteller geblieben. Die Schädigung ergebe sich aus anderen makroökonomischen Indikatoren, wie Produktion, Produktionskapazität, Umsatz und Beschäftigungsdaten. Ferner könne der Kommission zwar ein Sorgfaltspflichtverstoß vorgeworfen werden, weil sie Hinweise der Importeure auf Fehler nicht ausreichend geprüft habe. Dieser Verstoß habe sich aber nicht kausal auf die Festsetzung der Antidumping-Zölle ausgewirkt.
Folgen für die Praxis
Die Urteile des EuGH führen vor Augen, wie hoch die Hürden für eine erfolgreiche Anfechtung einer Antidumpingzoll-Verordnung und der ihr zugrundliegenden Tatsachenbasis sind. Obwohl der Gerichtshof betont, dass das Verfahren, die Sachverhaltsermittlung und die Ermessensausübung gerichtlich voll überprüfbar seien, wird auf die durchaus ernstzunehmenden Bedenken der Vorlagegerichte teilweise nur recht allgemein eingegangen. Insgesamt lässt das Urteil eine großzügige Tendenz gegenüber der Kommission erkennen. Aus Sicht der Importeure ist dies besonders bedauerlich: Da sie nur bedingt Zugang zu den Informationen der Hersteller haben und ihnen auch in aller Regel eigene Erkenntnisse zu den Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft fehlen werden, sind sie stark auf eine wirksame Kontrolle durch den Gerichtshof angewiesen. Das Thema Antidumpingzölle, das auch bei anderen Themen schwierige Herausforderungen für Einführer birgt (genannt seien nur die Probleme mit Handelsrechnungen bei Ermäßigungen und Befreiungen für bestimmte Hersteller), bleibt somit weiter brisant und für die Praxis herausfordernd.
(EuGH, Urteile vom 10. September 2015, Rs. C-687/13 („Fliesen-Zentrum“) und Rs. C-569/13 („Bricmate“ ))
Adrian Loets, LL.M., Rechtsanwalt, Hamburg