August 2025 Blog

Anlageberater haftet wegen Nichtaufklärung über überholte Prospektprognosen

Nach dem OLG Stuttgart hat ein Anlageberater die Pflicht, Anleger auf im Zeitpunkt der Zeichnung von der Wirklichkeit „überholte“ und daher zu positive Prospektprognosen hinzuweisen. Dies kann die Pflicht beinhalten, von sich aus veröffentlichte Jahresabschlüsse mit Prospektprognosen abzugleichen.

Sachverhalt

Der Kläger hatte bei der beklagten Anlageberaterin eine Beteiligung als Treugeberkommanditist erworben. Der ihm anlässlich der Zeichnung im Mai 2018 übergebene Verkaufsprospekt in der Fassung des Nachtrags Nr. 1 und Nr. 2 datierte vom 25.1.2016. Er enthielt u.a. eine Prognose des Jahresabschlusses der Fondsgesellschaft für 2016. Der Jahresabschluss 2016 wurde erst am 20.2.2018 veröffentlicht. Als die Beteiligung notleidend wurde, machte der Kläger Schadenersatz geltend, da die Beklagte die Anlageform als sicher und gewinnbringend angepriesen habe. Das Landgericht gab der Klage statt, wogegen die Beklagte Berufung einlegte. 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht (OLG) wies die Berufung zurück. Der Beklagten hätte auffallen müssen, dass der im Mai 2018 überreichte Prospekt hinsichtlich der Jahresabschlüsse für 2015 und 2016 unvollständig war: Zum Zeitpunkt der Anlageberatung waren beide Jahresabschlüsse bereits veröffentlicht worden, der Prospekt enthielt jedoch lediglich den vorläufigen Jahresabschluss für 2015 und eine Prognose für 2016. Dies stelle einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Vermögensanlagegesetz (VermAnlG) in der Fassung vom 3.7.2015 dar, wonach über neu offengelegte Jahresabschlüsse des Emittenten ein Nachtrag zum Prospekt erstellt werden müsse – was vorliegend unterblieben war. 

Unabhängig hiervon sei die Beklagte aufgrund des Anlageberatungsvertrags verpflichtet gewesen, den Prospekt auf erkennbare Fehler oder Unvollständigkeiten hin zu überprüfen und insbesondere negative Abweichungen offenzulegen. Eine solche ergebe sich aus der Diskrepanz der im Prospekt enthaltenen Prognose für 2016 und zahlreichen maßgeblichen (deutlich negativeren) Kennzahlen des am 20.2.2018 tatsächlich veröffentlichten Jahresabschlusses. Hierüber habe die Beklagte den Kläger informieren müssen; zumal ihr bewusst war, dass ihr die tatsächlich veröffentlichten Jahresabschlüsse 2015 und 2016 nicht vorlagen. 

Anmerkung

Im Ergebnis dürfte dem OLG beizupflichten sein. Die Begründung jedoch kommt etwas „verwaschen“ daher. So arbeitet das OLG zum einen im Zusammenhang mit der gemäß § 11 VermAnlG a.F. gegebenen Fehlerhaftigkeit des Prospekts hervor, dass dies der Beklagten „habe auffallen müssen“, was auf eine eigenständige Pflichtverletzung der Beklagten hinzudeuten scheint. Sodann postuliert das OLG in einem weiteren Begründungsansatz die Pflicht der Beklagten zur „Überprüfung des Prospekts auf erkennbare Fehler oder Unvollständigkeiten“, welche vorliegend verletzt worden sei. Ob das OLG hier von zwei unterschiedlichen Pflichtverletzungen ausgeht, bleibt unklar. Der Sache nach enthält der letztgenannte Begründungsansatz zudem die (so nicht ausdrücklich benannte) Pflicht der Beklagten, von sich aus diejenigen im Zeichnungszeitpunkt bereits veröffentlichten Jahresabschlüsse zu sichten, hinsichtlich derer im Prospekt lediglich vorläufige Angaben bzw. Prognosen enthalten waren. Denn nur so hätte die Beklagte die negativen Abweichungen der Wirklichkeit von der prospektierten Prognose für 2016 erkennen und adressieren können.

Auf Basis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hätte es das OLG allerdings bei der Benennung der zweitgenannten Pflichtverletzung bewenden lassen können. Denn da der übergebene Prospekt im Hinblick auf § 11 VermAnlG a.F. fehlerhaft war, kam es vorliegend allein darauf an, ob die Beklagte den Kläger auf die negativen Abweichungen der Prognose für 2016 und den Anfang 2018 (aber vor Zeichnung) veröffentlichten tatsächlichen Kennzahlen dieses Jahres hingewiesen hat (vgl. hierzu BGH Beschl. v. 17.9.2009 – XI ZR 264/08). Dies aber war vorliegend nicht der Fall.

(OLG Stuttgart, Urteil vom 01.07.2025 – 6 U 119/24)

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