Augen auf beim Frühstück: Kein Schadensersatz wegen Biss in Pflaumenkern im Früchtemüsli
Ein Pflaumenkern im Früchtemüsli stellt keinen Produktfehler dar, da der Durchschnittsverbraucher mit natürlichen Rückständen wie Kernen rechnet. Dabei prägt auch ein Hinweis auf der Müsliverpackung, der auf etwaige noch enthaltene Kern-, Stein- und Schalenteile hinweist, den Verbraucherhorizont.
Sachverhalt und Ausgangslage
Der Kläger genoss ein von der Beklagten hergestelltes Früchtemüsli Vollkorn mit Fruchtanteil von 32 %. Auf der Müsliverpackung befand sich ein Hinweis, wonach in dem Produkt Kern-, Stein- und Schalenteile enthalten sein können. Der Kläger behauptet, er habe beim Essen des Müslis auf einen im Müsli befindlichen Pflaumenkern mit einem Durchmesser von 2 cm gebissen. Dabei sei ihm ein Zahn abgebrochen. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz.
Da es zwischen dem Kläger und der Beklagten als Herstellerin des Müslis an einer kaufrechtlichen Verbindung fehlt, kommt ein Schadensersatzanspruch primär aus dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in Frage. Nach § 1 Abs.1 ProdHaftG ist der Hersteller eines Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den Schaden zu ersetzen, wenn durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG hat ein Produkt dann einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann.
Maßgeblich für den Erfolg des Schadensersatzbegehrens ist damit die Frage, ob ein Fehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG vorliegt.
Entscheidung des Landgerichts Lübeck: Kein Schadensersatz aus Produkthaftung
Das Landgericht Lübeck hat als Berufungsinstanz, wie auch schon das Ausgangsgericht (vgl. Amtsgerichts Lübeck, Urteil v. 13.11.2024 – 24 C 883/24), einen solchen Produktfehler verneint. Der im Müsli enthaltene Pflaumenkern mit einer Größe von 2 cm stelle keine Fehlerhaftigkeit des von der Beklagten produzierten Müslis dar.
Für die Bestimmung des Fehlerbegriffs nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG und damit für die maßgeblichen Sicherheitserwartungen sind nicht die subjektiven Sicherheitserwartungen des konkret Geschädigten entscheidend. Entscheidend sind die Sicherheitserwartungen des Personenkreises, an den sich der Hersteller mit seinem Produkt wendet. Darüber hinaus ist auch das Schutzniveau zu berücksichtigen, welches Dritte berechtigterweise erwarten können, sofern sie mit der Sache in Berührung kommen. Maßgeblich ist der Sicherheitsstandard, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Eine völlige Gefahrlosigkeit kann der Verbraucher nicht erwarten. Das Maß der Verkehrssicherheit, das von einem Produkt berechtigterweise erwartet werden kann, hängt unter anderem von der Art und Weise ab, in der es in der Öffentlichkeit präsentiert wird (vgl. auch: BGH, Urteil v. 17.03.2009 - VI ZR 176/08).
Ist die Ware für einen Endverbraucher bestimmt, muss sie grundsätzlich erhöhten Sicherheitsanforderungen genügen, die auf das Wissen und das Gefahrsteuerungspotenzial des durchschnittlichen Konsumenten Rücksicht nehmen. Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach den Gegebenheiten des konkreten Falls zur Vermeidung bzw. Beseitigung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Art und Umfang einer Sicherungsmaßnahme hängen vor allem von der Größe der Gefahr ab.
Gemessen an diesen Grundsätzen stellt der Pflaumenkern im Müsli nach Auffassung des Landgerichts Lübeck keinen Fehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG dar, weil der Durchschnittsverbraucher mit Kernen und Kernteilen in einem Früchtemüsli rechnet. Bei einem Lebensmittel, in dem Steinobst verarbeitet ist, müsse der Durchschnittsverbraucher grundsätzlich davon ausgehen, dass in dem Lebensmittel im Einzelfall ein Kern oder Kern- bzw. Schalenteile enthalten sind. Für Endverbraucher bestimmte (Lebensmittel-)Produkte müssten zwar grundsätzlich erhöhten Sicherheitsanforderungen genügen. Aus Sicht eines Verbrauchers könne jedoch niemals ganz ausgeschlossen werden, dass bei aus Steinobst hergestellten Produkten ein kleiner Stein oder Teile davon enthalten seien.
Da eine völlige Gefahrlosigkeit nicht erwartet werden könne, ist es der beklagten Herstellerin nach Auffassung des Gerichts auch nicht zuzumuten, jede einzelne Frucht auf eventuell noch vorhandene Steine zu untersuchen. Ein solcher Aufwand sei auch objektiv nicht erforderlich, da dem Verbraucher, der auf einen Kern beißt, keine schwerwiegende Gesundheitsgefahr drohe, die um jeden Preis und mit jedem erdenklichen Aufwand vermieden oder beseitigt werden müsse. Mit Blick auf die Darbietung des Produkts könne ein Verbraucher das vollständige Fehlen von Kernen nur dann erwarten, wenn der Eindruck erweckt werde, dass das Produkt ausschließlich vollkommen entsteinte Früchte enthalte. Das sei hier nicht der Fall. Bei dem Früchtemüsli Vollkorn handele es sich um ein hergestelltes Müsli mit natürlichen Bestandteilen, bei dem mit natürlichen Rückständen zu rechnen sei. Es handele sich in Teilen um ein Naturprodukt mit Fruchtanteil von 32 %. Bereits aus diesem Grund müsse der Durchschnittsverbraucher mit Kernen sowie Kern- und Schalenteilen rechnen. Zusätzlich weise die beklagte Herstellerin auf der Produktverpackung darauf hin, dass Kern- und Schalenteile im Müsli enthalten sein könnten. Aus dieser Darbietung des Müslis folge für den Durchschnittsverbraucher, dass mit nicht verzehrbaren Teilen im Müsli zu rechnen sei. Der Hinweis lege gerade nicht nahe, dass mit Sicherheit nur vollkommen entsteinte Früchte verarbeitet werden.
Abschließend betonte das Landgericht Lübeck, dass etwas Abweichendes dann gelte, wenn sich in dem Produkt ein Fremdkörper befinde, der nicht bereits natürlicherweise Bestandteil eines verarbeiteten Ausgangsprodukts sei (z.B. Metallteil in Pizza). In derartigen Fällen liege grundsätzlich ein Fehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG vor.
Da nach den obigen Ausführungen kein Fehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG vorlag, war auch ein Fehler im Sinne der Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB zu verneinen. Denn der Fehlerbegriff des § 3 Abs. 1 ProdHaftG entspricht dem Fehlerbegriff im Rahmen der deliktischen Produzentenhaftung.
Fazit
Durch die Entscheidung des Landgerichts Lübeck werden die Sicherheitsanforderungen an Speisen, in denen Naturprodukte verarbeitet worden sind, weiterhin nicht überspannt. Die Entscheidung liegt auf der Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil v. 17.03.2009 - VI ZR 176/08). Bei der Beurteilung der Sicherheitserwartungen ist nach wie vor auf das zu unterstellende Wissen eines Durchschnittsverbrauchers in Hinblick auf der in einem Naturprodukt enthaltenen Stoffe abzustellen. Einem Hersteller ist in diesem Kontext kein erheblicher Aufwand zuzumuten, um solche Stoffe während des Herstellungsprozesses ausnahmslos aufzuspüren und auszusondern. Mit Hinweisen auf dem Produkt kann sich der Hersteller absichern.
(vgl. LG Lübeck, Beschluss v. 30.06.2025 – 14 S 97/24)

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!





