Auswirkungen aktueller Rechtsprechung zu Equal Pay auf die Vertragsgestaltung in der Zeitarbeitsbranche – Was Personaldienstleister jetzt beachten müssen
Durch das viel beachtete Urteil des BAG vom 16.10.2019 (4 AZR 66/18) wurde die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Equal Pay - Grundsatz der Zeitarbeit erneut angestoßen. Das Urteil setzt sich mit der Frage auseinander, welche Voraussetzungen bei der Gestaltung von Leiharbeitsverträgen gewahrt werden müssen, um wirksam von der gesetzlichen Equal Pay-Verpflichtung abweichen zu können.
Um es gleich vorauszuschicken: Den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten der Personaldienstleister wurden durch diese höchstrichterliche Entscheidung enge Grenzen gesetzt. Dies jedenfalls für den Fall, dass der Verleiher nicht Gefahr laufen möchte, bereits ab den ersten Tag der Überlassung, an den Leiharbeitnehmer die Vergütung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers des Kundenbetriebs bezahlen zu müssen (Equal Pay).
Aus Sicht der Personaldienstleister war die ca. ein Jahr danach erlassene Entscheidung des BAG vom 16.12.2020 (5 AZR 22/19) dann positiv zu werten: Darin wurde geklärt, dass der gesetzliche Anspruch auf Gleichstellung wegen des Entgelts durch die Vereinbarung von Verfallsfristen im Leiharbeitsvertrag wirksam ausgeschlossen werden kann.
Doch ein derzeit am EuGH anhängiges Vorlagefahren schwebt wie ein Damoklesschwert über der Zeitarbeitsbranche. In diesem Verfahren geht es um nichts Geringeres als die Klärung der Frage, ob die Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche nach deutschem Recht mit europäischen Recht vereinbar sind. Also insbesondere um die Frage, ob überhaupt vom Equal Pay - Grundsatz durch die derzeitigen Branchentarifverträge wirksam abgewichen werden kann.
Grundsatz der Gleichstellung des Leiharbeitnehmers
Während Zeiten der Überlassung an den Entleiher haben Leiharbeitnehmer nach § 8 Abs. 1 AÜG einen Anspruch hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen mit den vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers gleichgestellt zu werden. Von diesem Grundsatz der Gleichstellung kann durch Tarifvertrag auch zulasten des Leiharbeitnehmers abgewichen werden.
In der Zeitarbeitsbranche wird der Gleichstellungsgrundsatz durch Tarifverträge der Zeitarbeit regelmäßig dauerhaft ausgeschlossen. Für das Equal Pay gilt dies aufgrund gesetzlicher Bestimmung nur für die ersten neun Monate des Kundeneinsatzes; im Anschluss hat der Leiharbeitnehmer Anspruch auf eine Vergütung in Höhe eines vergleichbaren Mitarbeiters im Kundenbetrieb.
Praxishinweis:Der nach Gesetz vorgegebene Normalfall der Gleichstellung des Leiharbeitnehmers ab dem ersten Tag seines Einsatzes im Kundenbetrieb stellt in der Praxis durch die Anwendung von Tarifverträgen der Zeitarbeit die Ausnahme dar. Die Reduzierung von Personalkosten aufgrund eines Abweichens von Equal Pay kann von den Personaldienstleistern auch bei fehlender Tarifbindung durch die Verwendung einer entsprechenden Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Bestimmungen in den Leiharbeitsverträgen erreicht werden.
Abweichen von Equal Pay durch Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 16.10.2019 festgestellt, dass von dem Gleichstellungsgrundsatz nur dann zulasten des Leiharbeitnehmers wirksam abgewichen werden kann, wenn für den Überlassungszeitraum das einschlägige Tarifwerk der Zeitarbeit aufgrund einer Bezugnahme im Leiharbeitsvertrag vollständig und nicht nur teilweise anwendbar ist. Bei einer nur teilweisen Anwendung des Tarifvertrags ist eine Abweichung unzulässig und der Verleiher ist verpflichtet, den Leiharbeitnehmer bereits ab dem ersten Tag der Überlassung nach Equal Pay zu vergüten.
In der dem BAG vorliegenden Angelegenheit hatte der Verleiher in seinen Muster-Leiharbeitsverträgen neben einer pauschalen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, Regelungen zur Fälligkeit der Vergütung im Folgemonat, einen Freiwilligkeitsvorbehalt bezüglich Abschlagszahlungen sowie eine anteilige Kürzung der Sondervergütung für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit verwendet. Diese Regelungen wichen inhaltlich zulasten des Leiharbeitnehmers von den tarifvertraglichen Bestimmungen ab. Daraus zog das BAG die rechtliche Konsequenz, dass durch die Bezugnahme auf den Tarifvertrag der Zeitarbeitsbranche nicht mehr wirksam vom Equal Pay-Grundsatz abgewichen werden konnte. Die abweichenden Bestimmungen im Arbeitsvertrag stehen laut BAG einer vollständigen Anwendbarkeit des Tarifvertrags entgegen. Der Leiharbeitnehmer war ab den ersten Tag des Einsatzes beim Kunden auf Lohnniveau im Kundenbetrieb zu vergüten.
Praxishinweis: Wird in Leiharbeitsverträgen auch nur minimal von dem Inhalt eines in Bezug genommenen Tarifvertrags der Zeitarbeitsbranche abgewichen, ohne dabei für den Zeitarbeitnehmer ausschließlich günstiger zu sein, folgt daraus, dass eine Abweichung vom Equal Pay - Grundsatz nicht mehr möglich ist. Eine Gestaltung von Vertragsklauseln sollte demnach durch einem genauen Abgleich mit den tarifvertraglichen Bestimmungen vorgenommen werden. Eine gewisse Zurückhaltung bei der Vertragsgestaltung kann deswegen durchaus von Vorteil sein. Umso weniger Bestimmungen in den Leiharbeitsvertragsmustern enthalten sind, umso geringer ist auch die Gefahr, dass eine Vertragsklausel zulasten des Leiharbeitnehmers von einer Tarifnorm abweicht.
Ausschlussfristen in Leiharbeitsverträgen
Einmal unterstellt, der Leiharbeitnehmer kann nun in Anwendung der vorbenannten Grundsätze des BAG-Urteils vom 16.10.2019 aufgrund einer Ungenauigkeit in der Gestaltung des Leiharbeitsvertrags bereits ab dem ersten Tag des Kundeneinsatzes Vergütung nach Equal Pay verlangen, dann ist dieser Anspruch durch die Verwendung einer Ausschlussfrist auf die letzten drei Monate vor dessen Geltendmachung beschränkbar.
In der BAG-Entscheidung vom 16.12.2020 wurde klargestellt, dass der gesetzliche Anspruch auf Gleichstellung wegen des Entgelts in dem zwischen dem Personaldienstleister und dem Leiharbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrag wirksam durch die Vereinbarung von Verfallsfristen ausgeschlossen werden kann. Dem steht der gesetzliche Grundsatz der Unabdingbarkeit des Equal Pay - Anspruchs laut BAG nicht entgegen, da Ausschlussfristen ausschließlich die Art und Weise der Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs betreffen und nicht zu dessen Inhalt gehören.
Praxishinweis: Das Urteil unterstreicht die hohe Bedeutung von Ausschlussklauseln in Arbeitsverträgen als Instrument zur Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Ansprüchen aus dem (Leih-)Arbeitsverhältnis. Bei der Klauselerstellung sind unbedingt die Vorgaben der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzgebung zu beachten. (Einzelheiten hierzu finden Sie in unserem Blogbeitrag Debatte um Arbeitszeiterfassung geht weiter – und warum Ausschlussfristen umso wichtiger sind).
EuGH-Vorlage zu Equal Pay
In einem derzeit am 5. Senat des BAG anhängigen Verfahren (5 AZR 143/19 (A) vertritt die klagende Zeitarbeitnehmerin die Auffassung, dass der auf ihr Leiharbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag der Zeitarbeitsbranche mit Unionsrecht nicht vereinbar sei. Mit ihrer Klage hat sie die Zahlung einer Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des Equal Pay verlangt. Die Zeitarbeitnehmerin war im Instanzenzug nicht erfolgreich.
Anlässlich dieses Verfahrens hat das BAG nun aufgrund folgender Überlegungen den EuGH um eine verbindliche Auslegung der Zeitarbeitsrichtlinie 2008/104/EG im Wege eines Vorlageverfahrens ersucht: Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie müssen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an einen Entleiher mindestens denjenigen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie vom Entleiher unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären. Allerdings gestattet Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern von Equal Pay abweichen. Was hier unter "Gesamtschutz" zu verstehen ist, ist im juristischen Schrifttum umstritten. Der EuGH soll nun klären, ob in der nach deutschen Recht eröffneten Möglichkeit, bis zu neun Monate vom Equal Pay - Grundsatz durch Tarifvertrag, insbesondere durch Inbezugnahme im Leiharbeitsvertrag, abzuweichen, der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer im Sinne der Richtlinie noch als geachtet anzusehen ist.
Käme der EuGH zu dem Ergebnis, dass die deutsche Regelung nicht europarechtskonform ausgelegt werden kann, dann wäre der Equal Pay - Grundsatz durch die Anwendung der Tarifverträge der Zeitarbeit nicht wirksam ausschließbar. Ergebnis wäre, dass die in der Zeitarbeitsbranche vorherrschende Praxis der Abbedingung des Gleichstellungsgrundsatzes unzulässig ist. Dies würde wohl dazu führen, dass Leiharbeitnehmer die jeweiligen Personaldienstleister ab dem ersten Tag des Kundeneinsatzes (und nicht erst nach neun Monaten) auf Zahlung von Equal Pay in Anspruch nehmen könnten; und das auch für Zeiträume, die vor der Entscheidung des EuGH liegen. Es würde zudem eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die Deutsche Rentenversicherung drohen.
Fazit
Oberstes Gebot für Personaldienstleister ist nun ein sorgsames Vorgehen bei der Gestaltung ihrer Leiharbeitsverträge. Von den Tarifverträgen der Zeitarbeit zulasten des Leiharbeitnehmers abweichende Bestimmungen sind zu vermeiden. Andernfalls wird eine Verpflichtung bestehen, bereits ab den ersten Tag des Kundeneinsatzes nach Equal Pay zu vergüten.
Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass das europarechtliche Gesamtschutzniveau aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage in Deutschland nicht gewahrt ist, dann wird aber auch eine tarifkonforme Vertragsgestaltung nichts nutzen. Eine Vergütungsverpflichtung uneingeschränkt nach Equal Pay wäre dann wohl die rechtliche Konsequenz. Jedenfalls bis der deutsche Gesetzgeber eine alternative Regelung schafft. Die Vereinbarung von wirksamen Ausschlussfristen im Leiharbeitsvertrag könnte dann Nachzahlungsansprüche der Leiharbeitnehmer auf Differenzvergütung zumindest noch zeitlich begrenzen.