Bundesverfassungsgericht bestätigt Pflichtmitgliedschaft in IHK
Die verpflichtende Mitgliedschaft von Gewerbetreibenden in den Industrie- und Handelskammern und die damit zusammenhängende Beitragspflicht ist seit jeher von Teilen des Mitgliederbestandes abgelehnt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat das System der Pflichtmitgliedschaft in einer aktuellen Entscheidung nun abermals bestätigt. Die Karlsruher Richter betonen dabei die Gesamtinteressenvertretung, die hinter dem Kammersystem steht.
Sachverhalt
Durch das IHK-Gesetz werden Gewerbetreibende zu Pflichtmitgliedern in der Industrie- und Handelskammer, in deren Bezirk sie eine Niederlassung unterhalten. Das historisch gewachsene Kammerwesen mit seinen zurzeit 79 Industrie- und Handelskammern und zwischen vier und fünf Millionen Mitgliedern wird maßgeblich durch Pflichtbeiträge finanziert. Im Durchschnitt zahlt ein registriertes IHK-Mitglied 190 EUR jährlich, wobei die gestaffelten Beiträge je nach IHK variieren. In den letzten Jahren ist eine fallende Tendenz bei den Kammerbeiträgen zu beobachten. Aufgrund von Ausnahmebestimmungen besonders zugunsten kleiner Unternehmen müssen gut 40 % der Mitgliedsbetriebe keinen IHK-Beitrag bezahlen.
Die gesetzliche Aufgabe der Industrie- und Handelskammern liegt vornehmlich darin, das Gesamtinteresse der ihnen angehörigen Gewerbebetriebe wahrzunehmen, zugunsten der gewerblichen Wirtschaft zu wirken (etwa durch Stellung-nahmen gegenüber der Politik) und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige und Betriebe ausgleichend zu berücksichtigen. Kritiker – wie die Verfassungsbeschwerdeführer im vorliegenden Fall – halten das Pflichtsystem für nicht mehr zeitgemäß und weisen auf das neben den Kammern bestehende Verbandswesen hin, das auf freiwilliger Mitgliedschaft beruht.
Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht bestätigt in seiner Entscheidung – wie bereits zu-vor in den Jahren 1962 und 2001 – die Verfassungsmäßigkeit von Pflichtmitglied-schaft und Pflichtbeiträgen. Dabei halten die Richter an ihrer schon früher vertretenen, wenn auch von vielen kritisierten Auffassung fest, dass eine „Zwangsverkammerung“ das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nicht berühre. Vielmehr misst das Gericht die Pflichtmitgliedschaft und die Beitragspflicht an der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Freiheit also, von Zwangsabgaben und als „unnötig“ empfundenen Körperschaften verschont zu bleiben.
Den Eingriff in diese Freiheit halten die Karlsruher Richter für gerechtfertigt. Nach ihrer Einschätzung lassen sich die Interessen der Wirtschaft vor Ort gegenüber Politik und Verwaltung besser zu Gehör bringen, wenn dies nicht durch eine staatliche Behörde, sondern mittels einer Kammer durch die Unternehmen selbst, d. h. in deren autonomer Verantwortung geschieht. Und nur die Pflichtmitglied-schaft in den Industrie- und Handelskammern sichert, dass alle regional Betroffenen ihre Interesse einbringen und dass sie alle fachkundig vertreten werden. Fachkunde und Erfahrung aller in der Region tätigen Gewerbetreibenden sind auch bei weiteren Aufgaben der Kammern gefragt, nämlich bei der Abnahme von Prüfungen und der Erteilung von Bescheinigungen. Die Richter stellen zum gesetzlichen Auftrag zur Gesamtinteressenvertretung außerdem klar, dass dies nicht die Artikulation einer einzigen Auffassung einer homogenen Gruppe bedeutet – sondern die Ermittlung und Weitergabe eines Gesamtinteresses durch Abwägung und Ausgleich zwischen mitunter gegensätzlichen Mitgliederinteressen.
Die gesetzgeberische Annahme, dass Kammern die Interessen aller Gewerbetreibenden besser ermitteln und vertreten können als private Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft, billigen die Karlsruher Richter somit. Und auch ein theoretisch denkbares alternatives System einer freiwilligen Mitgliedschaft in den Kammern erscheint ihnen nicht eindeutig vorzugswürdig, zumal es ungewollte Anreize setzte, als „Trittbrettfahrer“ von den Vorteilen des Kammerwesens ohne eigenen Beitrag zu profitieren.
Das System der Pflichtmitgliedschaft ist den IHK-Mitgliedern in den Augen der Karlsruher Richter schließlich auch zumutbar, gerade weil für die Kammern ein Abwägungsgebot bei der Ermittlung des Gesamtinteresses gilt. Dies bedeutet, dass kammerinterne Minderheitenauffassungen ebenfalls berücksichtigt und ggf. auch in der Außenkommunikation abgebildet werden müssen. Dabei bezieht sich das Bundesverfassungsgericht zustimmend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Objektivität und Differenziertheit von Äußerungen der Industrie- und Handelskammern (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010, Az.: 8 C 20.09).
Weitere Einwände, wonach das Kammersystem und die dazugehörigen Wahlregelungen gegen das Demokratieprinzip verstoßen sollen, haben die Richter ebenfalls zurückgewiesen.
Praxishinweis
Schon bislang haben die Verwaltungsgerichte die teilweise geübte Grundsatzkritik an der Verfassungsmäßigkeit des Kammersystems und der Pflichtbeiträge nicht gelten lassen. Darin sind sie nun erneut vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, das die Zeitgemäßheit des gesetzgeberischen Modells der Pflichtmitgliedschaft bekräftigt.
(BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2017, Az.: 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13)
Dr. Jan Felix Sturm, Rechtsanwalt
Hamburg