September 2020 Blog

EuGH soll Mit­be­stimmungs­rechte der Gewerk­schaften in der SE klären

Bei der Europäischen Aktiengesellschaft, der Societas Europaea (SE), kann die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer Vereinbarung geregelt werden. Wird die SE durch Umwandlung gegründet, so muss nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) zumindest das „gleiche Ausmaß“ der Arbeitnehmerbeteiligung gewährleistet sein. Ob dies auch die Sitzgarantien der Gewerkschaften erfasst oder ob deren Rechte in der Vereinbarung beschnitten werden dürfen, soll nun der EuGH beurteilen.

Die Gestaltungsmöglichkeit bei der Arbeitnehmerbeteiligung wird als einer der Vorteile der SE angesehen. Um eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ bei Umwandlung einer Aktiengesellschaft (AG) in eine SE zu verhindern, sehen die europäischen Regelungen einen Erhalt der bisherigen Mitbestimmung vor. Der nationale Gesetzgeber hat dies in § 21 Abs. 6 SEBG umgesetzt. Dabei muss bezüglich aller Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß wie bei der AG gewährleistet werden. Was genau dieses „ gleiche Ausmaß“ im Detail bedeutet, darüber herrscht Streit. Das deutsche Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) sieht u.a. für Gewerkschaftsvertreter eine bestimmte Anzahl von Sitzen im Aufsichtsrat vor. Der Sitzgarantie liegt ein entsprechendes Vorschlagsrecht der Gewerkschaften zugrunde. Kann in der SE nun diese (mittelbare) Sitzgarantie aufgehoben werden? Die bislang vorherrschende Ansicht bejaht dies, solange der proportionale Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gleich bleibe. So sei der Schutz der Arbeitnehmerbeteiligung gewahrt, besondere (Vorschlags-)Rechte der Gewerkschaften seien Ausprägungen des nationalen Rechts und müssten nicht in die Regelungen zur SE übernommen werden. Die Gegenansicht sieht in der Beteiligung der Gewerkschaften ein qualitatives Element, das auch in der SE erhalten bleiben müsse. Die Streitfrage war nun Gegenstand eines Gerichtsverfahrens.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin, ein Softwareunternehmen, war ursprünglich als AG organisiert. Da sie mehr als 10.000 Arbeitnehmer beschäftigte, verfügte sie nach dem MitbestG über einen 16-köpfigen Aufsichtsrat mit jeweils acht Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Zwei der acht Arbeitnehmervertreter waren nach der Vorgabe des MitbestG Vertreter von Gewerkschaften. Im Jahr 2014 wurde die AG in eine SE umgewandelt. Die Beteiligungsvereinbarung sah vor, dass der Aufsichtsrat auf zwölf Mitglieder reduziert werden kann. Das Verhältnis von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer blieb gleich. Die Vereinbarung sah jedoch keine garantierten Sitze der Gewerkschaften mehr im Aufsichtsrat zu. Zwei Gewerkschaften sahen diese Regelung als unwirksam an und wandten sich an das Arbeitsgericht.

Vorlage des BAG an den EuGH

Über die Thematik hat nun das BAG zu entscheiden. Die Vorinstanzen hatten die Anträge der Gewerkschaften abgewiesen und sich der herrschenden Ansicht angeschlossen, wonach § 21 Abs. 6 SEBG zwar den proportionalen Anteil der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat schütze, nicht aber Vorschlagsrechte und Sitzgarantien der Gewerkschaften. Da die Regelungen zur SE auf Richtlinien beruhen, hat der EuGH insoweit das Auslegungsmonopol. Das BAG legt daher nun dem EuGH die Frage vor, ob es mit der maßgeblichen Richtlinie 2001/86/EG vom 08.10.2001 (SE-Richtlinie) vereinbar sei, dass § 21 Abs. 6 SEBG vorsehe, dass die Beteiligungsvereinbarung ein gesondertes Vorschlagsrecht und damit eine Sitzgarantie der Gewerkschaften gewährleisten müsse.

Hinweise für die Praxis

Sollte der EuGH den Schutz der Vorschlagsrechte und damit der Sitzgarantien der Gewerkschaften als mit der SE-Richtlinie vereinbar ansehen, schränkt dies – zumindest bei Gründung der SE durch Umwandlung – die Verhandlungsautonomie bei Beteiligungsvereinbarungen stark ein. Wird mehr Freiheit bei der Gestaltung der Mitbestimmung gewünscht, so muss eine andere Gründungsvariante der SE gewählt werden. Es stellt sich außerdem die Frage, welche Rechtsfolgen für bereits geschlossene Beteiligungsvereinbarungen gelten, die dann möglicherweise unwirksam sind. Das SEBG regelt die Folge einer unwirksamen Beteiligungsvereinbarung nicht. Eine höchstrichterliche Entscheidung existiert ebenfalls nicht. Zwar wird allgemein davon ausgegangen, dass nur eine Teilnichtigkeit vorliegt und ergänzend das Gesetz gilt. Rechtsunsicherheit bleibt aber. Weitere denkbare Folge ist, dass der Aufsichtsrat fehlerhaft besetzt ist und Korrekturen erfolgen müssen, eventuell auch durch Verhandlung einer neuen Beteiligungsvereinbarung. Unternehmen die planen, eine SE durch Umwandlung zu gründen, sollten möglichst die Entscheidung des EuGH abwarten, um die Mitbestimmung rechtssicher gestalten zu können.

(BAG, Beschluss vom 18.08.2020 – 1 ABR 43/18)

Dr. Caroline Fündling, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht
Frankfurt a.M.

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