Juni 2019 Blog

„eVer­gabe“ – Ver­ein­fachung, aber auch zahl­rei­che Pro­bleme

Seit dem 18. Oktober 2018 ist die elektronische Vergabe (kurz: eVergabe) für Auftraggeber im Oberschwellenbereich grundsätzlich verpflichtend. Nach den ersten Praxiserfahrungen zeigen sich neben erhofften Vereinfachungen aber auch bereits zahlreiche Probleme, die sowohl Bieter als auch die öffentlichen Auftraggeber vor erhebliche Herausforderungen stellen und auch die Rechtsprechung zunehmend beschäftigt.

Die eVergabe wurde mit der Vergaberechtsreform 2016 eingeführt und für den Oberschwellenbereich als Grundsatz in § 97 Abs. 5 GWB verankert. Die schrittweise Umsetzung, die zunächst noch Alternativen zur elektronischen Übermittlung der Angebote und Teilnahmeanträge zuließ, endete zum 18. Oktober 2018 (vgl. § 81 VgV; § 23 VOB/A-EU 2016). Seither sind alle öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich zur eVergabe verpflichtet. Und auch im nationalen Bereich wird die eVergabe – zumindest im Liefer- und Dienstleistungsbereich für Vergaben ab 25.000 Euro (ohne USt.) nach der UVgO – ebenfalls ab dem 1. Januar 2020 grundsätzlich verpflichtend sein (vgl. § 38 UVgO).

Ist das öffentliche Auftragswesen im Zeitalter der Digitalisierung angekommen?

Ob der Einzug der verpflichtenden eVergabe nach einem guten halben Jahr Praxiserfahrung als Erfolg zu beurteilen ist, kann wohl nur mit dem bei Juristen beliebten „es kommt drauf an“ beantwortet werden. Funktioniert die Praxis, wie in der Theorie vorgesehen, ist die eVergabe als zeitgemäßer Fortschritt zu sehen, der sowohl auf Auftraggeber- als auch auf Bieterseite erhebliche Vorteile mit sich bringt. Denn neben Kosten- und Zeitersparnissen ist die papierlose, elektronische Übermittlung der Angebote bzw. Teilnahmeanträge auch gegenüber der früheren Praxis deutlich umweltfreundlicher.

Die Probleme zeigen sich aber dort, wo die Technik versagt oder nicht wie vom Verwender gewünscht funktioniert. Es verhält sich insofern nicht anders, als in allen Bereichen der Digitalisierung. Für Auftraggeber zeigen sich die Schwierigkeiten der eVergabe insbesondere jenseits der Standardverfahren. Denn zum Teil bilden die verwendeten Vergabeplattformen nicht alle vom Vergaberecht vorgesehenen Möglichkeiten ab, was nicht selten zu klärungsbedürftigen Fragen und damit zu Zeitverzögerungen führt. Auftraggebern ist daher zu raten, bei Nichtstandardverfahren frühzeitig zu klären, welche Möglichkeiten die verwendeten Vergabeplattformen bieten. Kann das Vorhaben ggf. durch die Standardvorgaben nicht hinreichend abgebildet werden, sollte dies den jeweiligen Plattformbetreibern mitgeteilt und ggf. mögliche „Sonderlösungen“ erfragt werden. Neben der Durchführung von selteneren Verfahrensarten, wie wettbewerblichen Dialogen oder Innovationspartnerschaften, können z.B. auch besonders umfangreiche Vergabeunterlagen zu Problemen führen, wenn die Plattformen den Datenraum zum Hochladen der Dokumente auf bestimmte Datenmengen begrenzen. Im Hinblick auf die Mitteilungspflicht nach § 134 GWB hat zudem auch eine Entscheidung der Vergabekammer Südbayern (vgl. VK Südbayern, Beschl. v. 29.03.2019 – Z3-3-3194-1-07-03/19) für Aufregung gesorgt. Die Vergabekammer hat im Rahmen einer Kostenentscheidung ausgeführt, dass es für die Übermittlung der nach § 134 GWB notwendigen Informationen nicht genüge, wenn der Auftraggeber die Mitteilung lediglich in einem bieterinternen Bereich der Vergabeplattform einstellte und dem Bieter eine Hinweismail übermittle, die auf die verfügbare § 134-Mitteilung verweise. Die Entscheidung ist bisher nicht bestandskräftig. Es bleibt daher abzuwarten, wie das OLG München entscheidet (Az.: Verg 10/19).

Auf Bieterseite sind Probleme insbesondere bei der Übermittlung von Unterlagen und bei der Verwendung der Vergabeplattformen besonders häufig und nachteilig, wenn dadurch letztlich ein vorbereitetes Angebot nicht rechtzeitig eingereicht werden kann. Es verwundert daher nicht, dass die Thematik auch die Nachprüfungsinstanzen immer öfter beschäftigt. Anders als zu Zeiten der postalischen Übermittlung ist jedoch die Frage des Verschuldens zum Teil nicht ohne weiteres zu klären. Damit zeigen sich die Auswirkungen der eVergabe nicht nur auf Bieter- oder Auftraggeberseite, sondern mittelbar auch in den Nachprüfungsverfahren und stellen dort zudem die Vergabekammern und –senate vor neue Herausforderungen. So kann z.B. die Klärung technischer Fragen und die Feststellung, wem bzw. wessen Sphäre die technischen Probleme zuzurechnen sind, ggf. nur nach Einholung eines Gutachtens erfolgen, wodurch erhebliche zeitliche Verzögerungen im Rahmen der Nachprüfungsverfahren nicht selten die Folge sein dürften. Bietern ist daher im Hinblick auf die eVergabe u.a. zu raten, stets auf die Aktualität der verwendeten Bietersoftware zu achten und – trotz der elektronischen Übermittlung – genügend Zeit vor Fristende einzuplanen. Bei auftretenden Problemen bei der Übermittlung sollte schnellstmöglich auf etwaige Serviceangebote zurückgegriffen oder der Auftraggeber frühzeitig informiert werden. Denn vom Bieter selbst zu verantwortende Schwierigkeit gehen zu seinen Lasten (vgl. VK Südbayern, Beschl. v. 19.03.2018 – Z3-3-3194-1-54-11/17). Darüber hinaus ist es Bietern auch zu empfehlen, sich bei den Vergabeplattformen für das gegenständliche Verfahren möglichst frühzeitig (freiwillig) zu registrieren, sodass sie über neue Informationen zum Verfahren umgehend durch den Auftraggeber informiert werden. Denn unterlässt der Bieter eine mögliche Registrierung, ist er grundsätzlich selbst verpflichtet, sich über nachträgliche Informationen zum Verfahren informiert zu halten.

Fazit

Insofern lässt sich die obige Frage wohl mit „Ja“ beantworten. Das öffentliche Auftragswesen ist im Zeitalter der Digitalisierung angekommen. Doch wie in allen Bereichen bringt auch hier die Digitalisierung nicht nur Vorteile mit sich, sondern schafft auch eine beträchtliche Zahl „neuer“ Probleme, deren Bewältigung nun alle Beteiligten vor neue Herausforderungen stellt. Als Fazit lässt sich zur eVergabe zusammenfassen: „Angekommen ja, aber noch lange nicht am Ziel“.

Nina Kristin Scheumann, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht
München

 

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