Februar 2025 Blog

Gesellschaftsrechtliche „Hinauskündigungsklauseln“ können ausnahmsweise bei Start-up-Unternehmen wirksam sein

Hinauskündigungsklauseln, die einem Gesellschafter das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne wichtigen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, können bei einem Start-up-Unternehmen im Zusammenhang mit einer zeitlich befristeten Vesting-Regelung ausnahmsweise wirksam sein.

Die Beteiligung von Finanz-Investoren bei (Start-up-)Unternehmen führt regelmäßig zu Gesellschaftervereinbarungen, in denen sich die Gründer-Gesellschafter verpflichten, nach dem Einstieg der Investoren weiterhin für einen bestimmten Zeitraum für das Unternehmen tätig zu sein und im Falle einer verfrühten Beendigung dieser Tätigkeit ihre Gesellschaftsanteile an die Mit-Gesellschafter zu übertragen. Mit dem Hinweisbeschluss des KG Berlin liegt nun eine obergerichtliche Entscheidung zur Frage der Wirksamkeit von solchen Vesting-Regelungen vor. Der Argumentation des Klägers, dass eine sittenwidrige und daher nichtige Hinauskündigungsklausel vorliege, weshalb er nach wie vor Gesellschafters sei, folgt das KG für den konkreten Fall nicht. Das Gericht bejaht stattdessen das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation und damit die Wirksamkeit der Regelung. Folgerichtig kündigte das KG in seinem Hinweisbeschluss die Zurückweisung der Berufung an.

Sachverhalt

Der Kläger war gleichberechtigter Mitgründer einer GmbH. Die von ihm in den Anfangsjahren maßgeblich (mit) entwickelte unternehmensgegenständliche Software war die Grundlage für die weitere positive wirtschaftliche Entwicklung der GmbH. Der Kläger war auch maßgeblich daran (mit) beteiligt, dass ca. 5 Jahre nach der Gründung Investoren insgesamt 1,373 Mio. € in die GmbH gegen Übernahme von Gesellschaftsanteilen investierten. Im Zusammenhang mit diesem Investment verpflichteten sich die Gründer in einer schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarung, für einen Zeitraum von 3 Jahren weiterhin in der Gesellschaft aktiv tätig zu bleiben. Zugleich vereinbarten sie für den Fall einer ordentlichen Eigenkündigung ihrer Beschäftigungsverhältnisse innerhalb des ersten Jahres wechselseitige Erwerbsoptionen für ihre Gesellschaftsanteile zum Nominalwert. Nachdem der Kläger innerhalb des ersten Jahres sein Beschäftigungsverhältnis ordentlich kündigte, erklärten die Mit-Gesellschafter die Annahme der Erwerbsoption, was zum Ausscheiden des Klägers aus der GmbH führte.

Begründung

Das KG legt zunächst dar, dass Hinauskündigungsklauseln, die einem Gesellschafter das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, sowohl bei Personen- als auch bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind. Dies auch dann, wenn die Hinauskündigungsklausel nicht im Gesellschaftsvertrag selbst, sondern in einer (neben dem Gesellschaftsvertrag getroffenen) schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarung geregelt wurde. 

Erläutert wird sodann, dass eine Hinauskündigungsklausel allerdings ausnahmsweise wirksam ist, wenn sie im konkreten Einzelfall wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang verweist das KG auf mehrere Fallkonstellationen, bei denen der BGH eine Hinauskündigungsklausel für wirksam erachtet hat. Hingewiesen wird u.a. auf den Fall einer Praxisgemeinschaft von Ärzten, die einen neuen Gesellschafter aufgenommen und sich dabei eine zeitlich begrenzte Prüfungsmöglichkeit, in der ein Ausschluss erfolgen kann, vorbehalten hat („Probezeitfall“) sowie auf den Fall, dass ein ausschließungsberechtigter Gesellschafter mit Rücksicht auf die enge persönliche Beziehung zu seiner Mitgesellschafterin die volle Finanzierung der Gesellschaft übernommen und der Partnerin eine Mehrheitsbeteiligung und die Geschäftsführung eingeräumt hat („Lebensgefährtenfall“). Erwähnt wird auch das „Mitarbeitermodell“, wonach einem verdienten Mitarbeiter eine Minderheitenbeteiligung unentgeltlich oder gegen Zahlung eines Betrags in Höhe des Nennwertes zu einem Arbeitsvertrag übertragen wird, die er bei seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen zurück zu übertragen hat. Genannt wird ferner das „Managermodell“, in dem einem Geschäftsführer im Hinblick auf seine Geschäftsführerstellung eine Minderheitsbeteiligung eingeräumt wird, für die er nur ein Entgelt in Höhe des Nennwertes zu zahlen und die er bei Beendigung seines Geschäftsführeramtes gegen eine der Höhe nach begrenzte Abfindung zurück zu übertragen hat.

Unter Berücksichtigung der sich aus den vom BGH entschiedenen Fallkonstellationen ergebenden Wertungen bejaht das KG Berlin - trotz der Verdienste des Klägers - auch die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Vesting-Regelung. Es können nach Ansicht des KG insbesondere Parallelen sowohl zum „Lebensgefährtenfall“ als auch zum „Probezeitfall“ gezogen werden.

Zur Begründung verweist das KG letztlich vor allem auf ein „praktisches Bedürfnis“, wenn Risikokapitalgeber in ein Start-up-Unternehmen investieren: „Gründer, die keine klassischen Sicherheiten bieten können, sind häufig auf Risikokapitalgeber angewiesen, die ihrerseits darauf angewiesen sind, dass sich die Gründer mit ihrem Knowhow weiterhin voll in das Unternehmen einbringen und es zum allseits erhofften Erfolg führen.“ Es könne daher „zeitlich befristet sachlich gerechtfertigt sein, den Fortbestand der Gesellschafterstellung des Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen und solche Gründer, die – aus welchen Gründen auch immer – in dieser Phase aus dem Unternehmen ausscheiden, nicht mehr am weiteren Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.“  

Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Investitionszahlung zu einer Wertsteigerung der Beteiligung der Gründer-Gesellschafter führe, die sich die Gründer durch ihre zukünftige Tätigkeit „erdienen“ müssten. Auch hätten die Investoren ein Interesse, die Gründer einer zeitlich begrenzten Bewährungsprobe zu unterziehen. Zudem sieht der Senat das Risiko, dass ohne eine solche Vesting-Regelung die Risikokapitalgeber entweder bereits im Rahmen der Investmententscheidung deutlich restriktiver abwägen, ob sie einem Gründerteam ihr Vertrauen schenken, oder mit einem erhöhten Ausfallrisiko kalkulieren. 

Die Vereinbarung einer Vesting-Regelung entspreche daher letztlich sowohl dem Interesse der Investoren als auch „aus der ex-ante-Perspektive“ dem Interesse sämtlicher Gründungsgesellschafter. Diese würden nicht nur die (ggf. dringend benötigte) Investitionen für die weitere Entwicklung des Unternehmens erhalten. Vorteil sei auch, dass etwaig künftig auftretende Unstimmigkeiten im Gesellschafterkreis verhältnismäßig einfach durch den ganz oder teilweisen Ausschluss eines Gründungsgesellschafters gelöst werden könnten, ohne die Fortführung des Unternehmens zu gefährden. 

Keine Relevanz für die Frage der Wirksamkeit der Hinauskündigungsmöglichkeit hat nach Ansicht des KG die Angemessenheit des vereinbarten Erwerbspreises bzw. einer Abfindung. Das KG sieht zwar, dass ein Gründer, der in der Vestingperiode ganz oder teilweise aus der Gesellschafterstellung gedrängt wird, damit ggf. um die Früchte seines bisherigen Beitrags zum (künftigen) Erfolg des Unternehmens gebracht wird. Es verweist aber darauf, dass die Frage der Angemessenheit einer vereinbarten Abfindung für die Wirksamkeit der Hinauskündigungsmöglichkeit grundsätzlich keine Bedeutung habe. Insoweit sei entscheidend, dass auch dann, wenn die vereinbarte Abfindung unangemessen niedrig sei, an die Stelle der vereinbarten Abfindung lediglich die angemessene Abfindung träte, ohne dass diese Rechtsfolge etwas an dem Verlust der Gesellschafterstellung ändere. Die Frage, ob die vereinbarte „Abfindung des Klägers zum Nominalwert“ wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, bedürfe daher keiner Entscheidung. Diese Frage wurde vom KG folgerichtig offengelassen.

Praxishinweis

Der Beschluss des KG dürfte die Praxis darin bestärken, weiterhin Hinauskündigungsklauseln im Rahmen von Vesting-Regelungen vorzusehen. Unsicherheiten verbleiben. In der einschlägigen Literatur wird die Frage der Zulässigkeit von Vesting-Regelungen (nach wie vor) kontrovers diskutiert, auch und gerade im Hinblick auf den Aspekt der Angemessenheit der Abfindung (bzw. des vereinbarten Erwerbspreises). Eine klärende BGH-Entscheidung zu dieser Thematik fehlt. Zudem bedarf es, wie auch dem Beschluss des KG zu entnehmen ist, stets einer einzelfallbezogenen Prüfung. 

Aus prozessrechtlicher Perspektive ist daher festzuhalten, dass es trotz des Beschlusses des KG Berlin keineswegs ausgeschlossen ist, solche Vesting-Regelungen erfolgversprechend angreifen zu können. Was insbesondere dann gilt, wenn die Beteiligung des später ausgeschlossenen Gesellschafters zum Zeitpunkt des Investoreneinstiegs einen nennenswerten Verkehrswert hatte und ein vollständiger Anteilsverlust ohne angemessene Gegenleistung („Abfindung“) erfolgt. Ebenso bleiben die anwaltlichen Berater in der Pflicht, im Zusammenhang mit dem Einstig des Investors eine möglichst differenzierte Vesting-Regelung, in der Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigen werden können, zu vereinbaren. Hier sind verschiedene Gestaltungen denkbar: So wird in der Praxis meist zwischen Good Leaver und Bad Leaver unterschieden und werden je nach Fallkonstellation unterschiedliche prozentuale Abschläge vom Verkehrswert vorgenommen.

(KG Berlin, Hinweisbeschluss v. 12.8.2024 – 2 U 94/21)

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