März 2020 Blog

Leit­linien aus Sicht des pri­vaten Bau­rechts für den haftungs­recht­lichen Um­gang mit den Folgen der Corona­virus-Pandemie in Deutsch­land

I. Corona am Bau – was ist jetzt zu tun?

Es ist sicher damit zu rechnen, dass es zu epidemiebedingten Verzögerungen, Stillständen und sonstigen Störungen in Bezug auf die Planung, Genehmigung und Ausführung von Bauvorhaben in Deutschland kommen wird. Haftungsrechtlich gesehen, betreten wir dabei Neuland. Von Epidemien oder gar Pandemien auf deutschen Baustellen sind wir glücklicherweise bislang verschont geblieben. Auf eine gefestigte Rechtsprechung kann zur Lösung der aufkommenden Rechtsfragen daher nicht zurückgegriffen werden. Gleichwohl gelten die allgemeinen und vielfach von den Gerichten herangezogenen Rechtsprinzipien auch in diesen Zeiten. Vor diesem Hintergrund und Dank unserer langjährigen Erfahrung und unserem Fachwissen geben wir, die über zwanzigköpfige Praxisgruppe Bau von GvW, Ihnen die nachfolgende Einschätzung für die baurechtliche Bewältigung der Corona-Krise:

II. Verzögerungen des Bauvorhabens

Häufiger als mit dauerhaften Stilllegungen rechnet man auf vielen inländischen Baustellen mit erheblichen Verzögerungen. Zum einen wird es zu massiven Lieferproblemen für Materialien kommen. Zum anderen ist – leider – eine Ansteckung des Personals vorhersehbar (mit hoffentlich baldiger Genesung), welche die Produktivität der Baustelle oder der Planung ebenfalls deutlich beeinträchtigen werden. Dies trifft regelmäßig den Auftragnehmer. Denn es fällt nach den meisten Verträgen bei größeren Bauprojekten in den Pflichten- und Risikobereich des Auftragnehmers, hinreichend Personal und Material vorzuhalten. Die branchenübliche VOB Teil B hebt dies sogar besonders hervor.

1. Werden Ausführungsfristen bei höherer Gewalt verlängert?

Zwar kann man daher von einer Art Beschaffungsrisiko des Auftragnehmers sprechen. Doch findet auch dieses seine Grenze. In der Regelungswelt der v.g. VOB Teil B gilt nämlich, dass dem Auftragnehmer bei höherer Gewalt oder anderer für den Auftragnehmer unabwendbarer Ereignisse jedenfalls ein Anspruch auf Verlängerung seiner Ausführungsfristen zusteht. 

Exkurs: höhere Gewalt
Unter höherer Gewalt verstehen Juristen ein von außen einwirkendes und objektiv unabwendbares Ereignis. Eine Pandemie gehört sicherlich dazu. 
In der Vergangenheit abgeschlossene Bauverträge sehen nur in den seltensten Fällen besondere Regelungen zu Fällen „Höherer Gewalt“ (Force majeure, oder auch vis major) vor. Dies war auch bisher nicht erforderlich, da die Regelungen der VOB Teil B hier in der Regel für unvorhergesehene Ereignisse ausreichende Leitlinien darstellen.

Im Fall der aktuellen Corona-Krise könnte dies bei Neuabschlüssen, die nach Bekanntwerden der umfangriechen Maßnahmen der in- und ausländischen Regierungen abgeschlossen wurden, aber durchaus anders sein.
Denn bei Verträgen die jetzt in Kenntnis der Corona-Krise abgeschlossen werden, können sich die Parteien schwerlich auf den Standpunkt stellen, die Folgen des Coronavirus seien nicht (zwar nicht im Detail, aber im Allgemeinen) vorhersehbar gewesen.
Das Vorliegen Höherer Gewalt setzt nämlich subjektiv bei jeder Partei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, die sich auf das Vorliegen Höherer Gewalt berufen will, dass das Ereignis „[…] mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann […]“

Folglich dürfte es ab sofort ratsam sein, bei Neuabschlüssen zumindest den Versuch zu unternehmen, die absehbaren Folgen der Corona-Krise in eine Klausel zu fassen, die aktuell bereits vorhersehbaren Folgen für die Vertragsabwicklung (wie zB Lieferengpässe, Personalausfall, behördliche Anordnungen zur Schließung bestimmter Einrichtungen, Grenzschließungen, Behinderung von Verkehrsströmen etc.) versucht abzubilden. 
Inhaltlich wird es dabei stets nur um die Fragen der Verlängerung von Vertragsfristen und als ultima ratio der Beendigung des Vertrages durch Kündigung gehen können. 

Jetzt muss die Rechtsberatung das ganze Bild in den Blick nehmen und Detailfragen klären, etwa: Können wichtige Baustoffe und andere Materialien wirklich nicht mehr beschafft werden – oder haben sich diese nur erheblich verteuert? Eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise wird rechtlich kaum haltbar sein. Dass Deckungskäufe verlustreich sind, hat die Rechtsprechung noch nie als höhere Gewalt gelten lassen. 

Während die Klärung dieser Fragen also eine Befassung mit jedem Einzelfall voraussetzt, duldet die Einhaltung der auch sonst üblichen formalen Anforderungen keinen Aufschub: Behinderungsanzeigen sind also weiter zu schreiben!

2. Wer kommt für den Schaden auf?

Weitaus problematischer gestaltet sich die Rechtslage bei der Frage nach Ersatz der durch die virusbedingten Vermögenseinbußen. Und das gilt sowohl aus Sicht des Auftraggebers als auch des Auftragnehmers. Die wechselseitigen Ansprüche auf Schadensersatz setzen jeweils ein Verschulden der anderen Vertragsseite voraus. Für eine Pandemie kann niemand etwas. Doch trügt die Einfachheit dieser Feststellung, so dass wir empfehlen, sich damit keinesfalls zufrieden zu geben. Die zentrale Haftungsregelung des BGB besagt ausdrücklich, dass es hier nicht nur um das Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit geht, sondern vielmehr ist sorgfältig zu prüfen, ob eine strengere oder mildere Haftung „aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist“. Kurz gesagt, heißt dies nicht anderes, als dass das Bauvorhaben und die geschlossenen Verträge tiefgehend zu analysieren sind. Erst dann weiß man, ob nicht doch eine Vertragsseite die Haftung auch für die Auswirkungen der Corona-Krise trägt – und mithin die andere Seite finanziell zu entschädigen hat. Am Ende kommt es also – wie so oft – auf den Bauvertrag an.

III. Was gilt bei einer Stilllegung der Baustelle?

Der massivste Eingriff in ein Bauvorhaben liegt zweifellos in der völligen Stilllegung der Baustelle durch die Behörden. Dies betrifft auf den ersten Blick eher die Risikosphäre des Auftraggebers als die des Auftragnehmers. Grundsätzlich gehört es zu den auftraggeberseitigen Mitwirkungspflichten, die Baustelle zur Verfügung zu stellen und somit die Bauausführung zu ermöglichen. Sollte dies dem Auftraggeber nicht mehr möglich sein, weil die die Behörden die Baustelle selbst schließen oder etwa diese in einem nicht mehr frei zugänglichen Sperrgebiet liegt, kommen Schadensersatz-, Entschädigungs- und Kündigungsansprüche des Auftragnehmers in Betracht. Dass den Auftraggeber an der Epidemie kein Verschulden trifft, schützt diesen nicht vor jeder Haftung. Denn die Ermöglichung der Bauausführung liegt, wie gesagt, in dessen Risikosphäre. Umstritten ist, ob im Fall sehr schlechter und seltener Wetterbedingungen Ansprüche des Auftragnehmers bestehen – oder eben ausgeschlossen sind, da Witterungsbedingungen nicht in den Haftungskreis des Auftraggebers fallen (sollen). Es ist etwas ganz anderes, ob der Auftraggeber die Baumaßnahme beispielsweise wegen Finanzierungsproblemen nicht beginnen lässt, oder ob der Virus dem Bauherrn einen Strich durch die Rechnung macht. Ansprüche gegen den Auftraggeber werden sich also keineswegs einfach so ergeben, sondern ist jeder konkrete Fall unter die juristische Lupe zu nehmen. Maßstab sind hierbei die vorstehend bereits zum Fall der Bauverzögerung gemachten Erläuterungen. 

IV. Pacta sunt servanda – oder?

Verträge, welche in der Vor-Corona-Zeit geschlossen wurde, werden sich teilweise für die Marktteilnehmer heute und in der Zukunft nicht mehr als wirtschaftlich günstig darstellen. Beide Vertragsparteien können daher ein Interesse an einem schnellen Exit haben. Doch pacta sunt servanda. Lässt man die immer zulässige ordentliche Kündigung des Auftraggebers (bei einem weitgehenden Vergütungsanspruch des Auftragnehmers) außer Acht, kommt vor allem eine Kündigung aus wichtigem Grund oder ein Rücktritt wegen geänderter Geschäftsgrundlage in Betracht. Im Kern entscheidet sich dies bei der Frage nach der Zumutbarkeit des weiteren Festhaltens am Vertrag. Darauf wird es keine allgemeinen Antworten geben, sondern nur der rechtliche Blick auf den konkreten Fall helfen. Und nicht zu vergessen ist dabei, dass beide Vertragsparteien von der Corona-Krise betroffen sein dürften. Interessant und ab Juni wahrscheinlich vielfach im Fokus des rechtlichen Interesses ist allerdings eine besondere Regelung aus der VOB Teil B. Danach ist jede Partei berechtigt ist, den Vertrag im Falle einer Unterbrechung der Bauausführung von mehr als drei Monaten zu kündigen!

V. Und was ist jetzt zu tun?

Als erstes gilt es, die Realität anzuerkennen und sich auch auf die rechtliche Bewältigung der Krise zu konzentrieren. Unabhängig, ob Sie Auftraggeber oder Auftragnehmer sind, ob Sie als Architekt, Ingenieur oder Projektsteuerer handeln oder ob Sie Bauprojekte auf Investoren oder Nutzerseite begleiten, müssen Sie jetzt die rechtlichen Voraussetzungen für die bestmögliche Durchsetzung eigener Ansprüche oder Abwehr fremder Ansprüche schaffen. Genauso entscheidend wird es sein, für Sie akzeptable Verhandlungslösungen zu erreichen und langwierige und kostenintensive Gerichtsprozesse zu vermeiden. 

Hierfür bedarf es Profis. Wir, die Praxisgruppe von GvW mit über zwanzig Baurechtsexperten im ganzen Bundesgebiet, freuen uns, Sie in dieser Krisenzeit mit rechtlichem Rat vor Schaden zu bewahren. Mit Erfahrung, Fachwissen und Geschick 

  • überarbeiten wir Ihre Vertragsmuster und schließen eine coronabedingte Haftung für die Zukunft aus, 
  • setzen wir Ihre Interessen durch
  • stehen wir Ihnen vor Gerichten oder Schiedsgerichten mit unseren Prozessanwälten an Ihrer Seite, 
  • und lösen, wenn gewünscht, auch als Schlichter, Mediator oder Adjudikator schnell und nachhaltig die Krise.

Aber wichtiger als dies alles ist natürlich: bitte bleiben Sie gesund!

Dr. Thomas Senff

(zuletzt aktualiiert am 19.3.2020)

 

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