Organhaftung: Enthaftung des inaktiven Geschäftsführers erst bei Amtsniederlegung
In einem aktuellen Beschluss des BGH zur Organhaftung werden drei wichtige Themenfelder angesprochen: Die Verpflichtung des Gerichts zur umfassenden Kenntnisnahme haftungsentlastenden Vortrags, das Fortbestehen der Haftung eines inaktiven Geschäftsführers bei fehlender Amtsniederlegung sowie der Haftungsausschluss bei sog. „privilegierten Zahlungen“ gem. § 64 Satz 2 GmbHG.
Sachverhalt
Gegenstand des BGH-Beschlusses ist eine Zahlungsklage des Insolvenzverwalters einer GmbH gegen deren ehemalige Geschäftsführer. Geltend gemacht wird ein Anspruch gemäß § 64 Satz 1 GmbHG. Nach dieser Norm sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft geleistet werden. Nach § 64 Satz 2 GmbHG kann es aber ausnahmsweise an einem Verschulden der Geschäftsführer fehlen, sofern es um Zahlungen geht, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmann vereinbar sind (sogenannte „privilegierte Zahlungen“), wofür der Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast trägt.
Sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht (OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 15.9.2017 – 16 U 256/15) hatten einen Anspruch gegen die beiden Geschäftsführer bejaht. Gegen seine Verurteilung wehrte sich der Beklagte zu 1) vor dem BGH u.a. mit der Begründung, dass bestimmte Verbindlichkeiten noch nicht fällig gewesen wären, so dass noch keine Zahlungseinstellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vorgelegen habe. Die GmbH sei daher zu dem maßgeblichen Zeitpunkt nicht gem. § 17 InsO zahlungsunfähig gewesen, weshalb die Haftungsvoraussetzungen des § 64 Satz 1 GmbHG nicht gegeben seien. Diesen Vortrag, so der Vorwurf des beklagten Geschäftsführers, hätten die Instanzgerichte nicht hinreichend gewürdigt.
Entscheidung des BGH
Der BGH ist dieser Argumentation gefolgt, was zur Zurückweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht führte. Der BGH stellte einen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs fest, da das Berufungsgericht auf einen wesentlichen und beweisbewehrten Sachvortrag des verklagten Geschäftsführers nicht hinreichend eingegangen sei. Das Gericht hätte, so der BGH, sich mit der Problematik der Fälligkeit der fraglichen Verbindlichkeiten, genauer: den insoweit zu beachtenden vertraglichen Regelungen und Absprachen der Parteien zur Fälligkeit der Forderung intensiver auseinandersetzen müssen.
Im Hinblick auf die Fortführung des Verfahrens nahm der BGH Stellung zur Relevanz des Vortrages der Beklagten zu 2), wonach sie „aus der aktiven Geschäftsführung bereits seit Ende 2007 ausgeschieden gewesen und (…) mit dem laufenden Geschäftsbetrieb nichts mehr zu tun gehabt“ habe“ (so im Urteil des Berufungsgerichts OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 15.9.2017 – 16 U 256/15), also nur noch die formale Stellung eines Geschäftsführers habe. Insoweit weist der BGH darauf hin, dass die Behauptung eines Geschäftsführers, er habe sich bereits Jahre vor dem entscheidenden Zeitraum von der GmbH „innerlich gelöst“ und „die Geschäftsführertätigkeit faktisch niedergelegt und keine Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf die Geschäfte der Gesellschaft mehr gehabt“, ein Verschulden des Geschäftsführers gerade nicht entfallen lässt. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Eine solche Behauptung würde eine Pflichtverletzung und ein Verschulden des Geschäftsführers gerade belegen. „Denn der bestellte Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht.“ Dementsprechend stellt der BGH fest, dass allein die Niederlegung des Geschäftsführeramtes die Geschäftsführerin vor einer Haftung hätte schützen können. In dem Beschluss des BGH heißt es: „Will er sich haftungsbefreiend von der Gesellschaft trennen, muss er sein Amt niederlegen.“
In dem Beschluss weist der BGH des Weiteren darauf hin , dass eine Haftung eines Geschäftsführers gem. § 64 Satz 1 GmbHG ausnahmsweise zwar dann entfallen könne, wenn die nach der Insolvenzreife vorgenommenen Zahlungen im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren. Dafür aber müsse nachgewiesen sein, dass ohne die erfolgten Zahlungen „eine konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht werden würde“. Diesbezüglich genüge es allerdings nicht, wenn der Geschäftsführer lediglich „zu Bilanzen der Schuldnerin und einer daraus ersichtlichen positiven wirtschaftlichen Entwicklung“ vortrage. Allein dies lasse nicht den Schluss zu, „dass die einzelnen Zahlungen zur Erhaltung einer konkreten Chance auf Sanierung und Fortführung der Schuldnerin im Insolvenzverfahren erforderlich waren“.
Mögliche Auswirkungen auf D&O-Versicherung
Schließlich führt der BGH noch aus, dass § 64 Satz 1 GmbHG kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sei, sondern als „Ersatzanspruch eigener Art“ eine eigenständige Anspruchsgrundlage der Gesellschaft begründe (was das Berufungsgericht anders gesehen und einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB bejaht hatte). Diese Rechtsaufassung des BGH mag vorliegend nur eine dogmatische Klarstellung gewesen sein, kann aber im Einzelfall auch Auswirkungen auf eine etwaige Eintrittspflicht der D&O-Versicherung haben. Im Hinblick auf diese dogmatische Einordnung des Anspruchs gem. § 64 Satz 1 GmbHG als eigenständige Anspruchsgrundlage bzw. einen „Ersatzanspruch eigener Art“ hatte das OLG Düsseldorf unlängst festgestellt, dass es sich „bei § 64 GmbHG nicht um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch (handele), der unter einen solchen D&O-Versicherungsschutz für Schadensersatz fällt“ (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.7.2018, Az. I-4 U 93/16 in Rn. 72; siehe auch OLG Celle Beschl. v. 1.4.2016 – 8 W 20/16 in Rn. 38).
(BGH Beschl. v. 21.5.2019 – II ZR 337/17)
Dr. Frank Süß, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main