Relevanz kartellrechtlicher Vorgaben für die Erfüllung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat im April ein neues Merkblatt zu Brancheninitiativen im Kontext des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) veröffentlicht.
Brancheninitiativen und Sorgfaltspflichten
Das BAFA betont die Relevanz von branchenspezifischen oder branchenübergreifenden Initiativen für die Bewältigung von Herausforderungen in den immer komplexeren Lieferketten. So können die Unternehmen durch gebündelte Anstrengungen den Zwecken des LkSG besser gerecht werden und z.B. ihr Einflussvermögen auf den Verursacher einer Menschenrechtsverletzung erhöhen. Denkbare Anwendungsbereiche finden sich dabei auf jeder Ebene der Sorgfaltspflichten:
Bei der abstrakten Risikoanalyse sind das etwa:
- Erarbeitung von gemeinsamen Verständnissen zu branchenspezifischen Risiken in der Lieferkette
- Zusammenstellung von geeigneten Materialien zu einzelnen Risiken
- Entwicklung einer gemeinsamen Datenbasis für Risikoanalysen
- Fachlicher und rechtlicher Austausch
- Erfahrungen mit Menschenrechtsstandards und Produktionsbedingungen vor Ort
Im Bereich konkrete Risikoanalyse spielt dies eine Rolle bei:
- Erarbeitung von angepassten Fragebögen für branchenabhängige Risiken
- Austausch von praktischen Unterlagen zur Risikoermittlung
- Hilfestellungen für Maßnahmen im Bereich des Audits oder sog. Audit-Pooling
Unternehmen profitieren im Bereich Präventions- und Abhilfemaßnahmen durch:
- Austausch anonymisierter oder zurückliegender Beispiele aus der Praxis
- Entwicklung von best practice Ansätzen bei Präventions- und Abhilfemaßnahmen
- Austausch über praktische Wirksamkeit von Maßnahmen
- Entwicklung von allgemeinen Handlungsanleitungen für die Erstellung von Grundsatzerklärungen
- Förderung von Produzenten zur Verbesserung einzelner Arbeitsbedingungen
- Entwicklung von freiwilligen Standards oder modularem Code of Conduct für eine Branche
Auch beim Beschwerdemechanismus hilft ein gemeinsamer Ansatz:
- Gemeinsame Beschwerdeplattform mit Sicherstellung des Schutzes wettbewerblich sensibler Daten
Als konkrete Beispiele nennt das BAFA die freiwillige Selbstverpflichtung mehrerer deutscher Einzelhändler zur Etablierung von existenzsichernden Löhnen in der Lieferkette für Bananen oder die Verständigung über die Einführung eines branchenübergreifenden Beschwerdemechanismus für die Automobilindustrie in Mexiko. Auch könnte im Rahmen der Präventions- oder Abhilfemaßnahmen z.B. gemeinsam in lokale Maßnahmen zum nachhaltigen Ressourceneinsatz investiert werden.
Kartellrechtliche Relevanz
Bei der Umsetzung von einzelnen Pflichten mit Unterstützung von Brancheninitiativen bleibt jedoch zu bedenken, dass Maßnahmen in gewissen Fällen im Spannungsverhältnis mit kartellrechtlichen Vorgaben stehen können. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich gemeinsame Maßnahmen von Unternehmenszusammenschlüssen in relevanter Weise auf den Wettbewerb auswirken.
Zur Orientierung können dabei laut BAFA unter anderem folgende Punkte dienen:
- Sind wesentliche Wettbewerbsparameter durch die Vereinbarung betroffen?
- Hat eine konkrete Maßnahme wettbewerbsfördernde Elemente?
- Werden wettbewerbsrechtlich sensible Informationen ausgetauscht?
- Gibt es andere wettbewerblich relevante Auswirkungen?
Insbesondere Maßnahmen, die Einfluss auf Parameter wie Preis, Menge, Qualität, Auswahl oder Innovation haben, können wettbewerbsrechtlich relevant sein. Dabei können auch die Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele des LkSG wie Achtung der Menschenrechte oder Umsetzung sozial- und umweltpolitischer Ziele im Einzelfall solche relevanten Parameter betreffen. Je mehr Wettbewerbsparameter betroffen sind und je enger eine große Anzahl von Unternehmen kooperiert, desto sorgsamer sollte die kartellrechtliche Relevanz einer Maßnahme der Brancheninitiative im konkreten Einzelfall geprüft werden.
Das zuständige Bundekartellamt geht bei einer Prüfung von Kartellverstößen grundsätzlich in zwei Schritten vor. In einem ersten Schritt prüft es das Vorliegen einer potenziell kartellrechtlich relevanten Vereinbarung. Nur bei Vorliegen einer derartigen Vereinbarung ist der Anwendungsbereich der Prüfung des gesetzlichen Kartellverbotes eröffnet. Im zweiten Schritt prüft das Bundeskartellamt, ob die Vereinbarung eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen können dabei insbesondere bei Regelung von Pflichten oder des Marktverhaltens von mindestens einer Person durch die Vereinbarung anzunehmen sein.
Im Beispiel der freiwilligen Selbstverpflichtung zur Etablierung existenzsichernder Löhnen in der Lieferkette für Bananen stellte das Bundeskartellamt das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne des Kartellrechts fest. Ein Verstoß im Sinne einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs wurde dabei aber unter anderem aufgrund der Freiwilligkeit der Verpflichtung zum Verkauf eines prozentualen Anteils von unter fairen Bedingungen produzierten Bananen verneint. Es gab weiterhin in dem Beispielfall keinen Austausch sensibler Informationen über Preise, keine Sanktionen für Nichterreichung der Ziele oder sonstige Vorgaben für die Preisgestaltung.
Als weiteres Beispiel für relevante Fälle nennt das BAFA die Durchführung von Audits durch eine Brancheninitiative (sog. Audit-Pooling). Dabei kann z.B. die mehrfache Auditierung eines Zulieferers durch mehrere Branchenangehörige vermieden werden, wobei jedoch kartellrechtliche Regelungen relevant sein können. Dabei sollte unter anderem der Zugang zu wettbewerblich relevanten Informationen für die Mitglieder der Brancheninitiative weitgehend eingeschränkt werden. Lediglich das auditierte Unternehmen bzw. die Kontrollbehörden sollten auf Anfrage vollständigen Zugang zu den Audit-Berichten erhalten können. Im Zweifelsfall ist die gesonderte Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit der konkreten Maßnahme notwendig.
Das BAFA betont in seinem Merkblatt dabei insbesondere die Möglichkeit von Einzelfreistellungen. Diese können unter gewissen Voraussetzungen für Maßnahmen erfolgen, wenn diese zukünftige Effizienzgewinne versprechen, für den Gewinn an Effizienz unerlässlich sind, eine angemessene Beteiligung der Verbraucher ermöglichen und nicht die Möglichkeit zur Ausschaltung des Wettbewerbs eröffnen.
Ausblick auf die europäische Ebene
Auch mit Blick auf die zukünftige Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) bleibt die Behandlung von kartellrechtlichen Aspekten der Brancheninitiativen voraussichtlich relevant. Zwar sind Anpassungen an der CSDDD im Rahmen des sog. Omnibus-I Pakets der EU wahrscheinlich. Eine Verschiebung der Anwendbarkeit einiger Nachhaltigkeitsvorgaben wurde erst kürzlich beschlossen: Aktuelle Änderungen in der EU-Nachhaltigkeitsgesetzgebung.
Gerade Brancheninitiativen ermöglichen jedoch oft eine ressourcenschonende Umsetzung von Nachhaltigkeitsvorgaben durch Bündelung von branchenweitem Einfluss und Expertise. Sie stehen für eine effiziente Umsetzung von Sorgfaltspflichten und damit im Einklang mit dem Effizienzgedanken des Omnibus-I Paketes. Es bleibt abzuwarten, ob sich die kartellrechtlichen Auswirkungen auf die Brancheninitiativen im Rahmen der CSDDD durch zukünftige Anpassungen verändern wird.
Das Merkblatt des BAFA ist hier (BAFA - Überblick Lieferketten) abrufbar.
Für Fragen zur Bedeutung für Ihr Unternehmen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Hierbei haben wir nicht nur das LkSG und die CSDDD im Fokus, sondern auch die kartellrechtlichen Herausforderungen, bei denen Sie unser Kartellrechtsexperte Christian Kusulis tatkräftig unterstützt.

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