Richtungswechsel: Die Zeit der „Copy&Paste“ ESOPs bei Startups ist vorbei
Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) führt zu akutem Handlungsbedarf im Venture Capital und Startup Bereich. Besonders betroffen ist die bisher übliche Mitarbeiter-Incentivierung durch virtuelle Optionen im Rahmen von ESOP-Programmen (Employee Stock Option Provisions) oder VSOP-Programmen (Virtual Stock Option Plans). Die nun veröffentlichten Urteilsgründe zeigen: Unternehmen müssen neue Mitarbeiterbeteiligungsprogramme anders gestalten und bestehende Modelle überdenken.
Sachverhalt
Der Kläger war vom 01.04.2018 bis zum 31.08.2020 bei der Beklagten beschäftigt. 2019 bot die Beklagte dem Kläger die Zuteilung von 23 virtuellen Optionsrechten an, die der Kläger annahm. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgemäße Eigenkündigung. Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers waren 31,25% der Optionsrechte des Klägers gevestet (also angespart). Die Vesting-Periode betrug 4 Jahre. Die Ausübung der gevesteten virtuellen Optionen begründet einen Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten, sofern zuvor eine Vesting-Periode abgelaufen und ein Ausübungsereignis (üblicherweise die Veräußerung der Gesellschaft oder Gewinnerzielung) eingetreten ist. Gestritten wurde im Wesentlichen über zwei Verfallsmechanismen im ESOP-Programm der Beklagten. Eine Klausel regelte den sofortigen Verfall bereits ausübbarer Optionen (also im Falle des Eintritts eines Ausübungsereignisses), wenn das Arbeitsverhältnis u.a. durch Eigenkündigung des Berechtigten endet. Nach einer weiteren Klausel verfallen gevestete Optionen stufenweise binnen zwei Jahren (also halb so lange wie die Vesting Periode zugunsten des Berechtigten) nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Im Juni 2022 machte der Kläger den Fortbestand seiner virtuellen Optionen geltend, was die Beklagte ablehnte. ArbG und LAG wiesen die Klage ab, das BAG hatte nun über die Revision zu entscheiden und hob das Urteil des LAG auf.
Wichtige Aspekte des Urteils für den Venture Capital-Markt
Das BAG entschied, dass eine Regelung in den ESOP, wonach bereits gevestete virtuelle Optionen verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis beispielsweise durch Eigenkündigung endet, einer AGB-Kontrolle nicht stand hält, da sie den Arbeitnehmer unangemessen nach § 307 BGB benachteiligt. Eine solche Regelung entfällt nach § 306 BGB ersatzlos.
Gevestete virtuelle Optionen und die mit ihnen verbundene Chance auf Beteiligung an einem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens stellen auch eine Gegenleistung für die während der Vesting-Periode erbrachte Arbeitsleistung dar. Dies gilt unabhängig davon, ob im Zuteilungsschreiben oder den ESOP selbst ausdrücklich festgehalten ist, dass die virtuellen Optionen als Anreiz für die Zukunft und nicht für die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen gewährt werden. Das BAG begründet dies insbesondere mit einer ESOP-Klausel, nach welcher die Vesting-Periode ausgesetzt wird, wenn und solange dem Arbeitnehmer kein Entgeltanspruch zusteht. Ein nachträglicher Entzug dieser „erdienten“ Rechte widerspricht dem Grundsatz des Austauschverhältnisses von Arbeit und Vergütung (§ 611a BGB).
Die ESOP-Klausel, welche den sofortigen Verfall gevesteter Optionen aufgrund einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsieht, führt außerdem zu einer übermäßigen Erschwerung des durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Kündigungsrechts des Arbeitnehmers. Denn der Optionsberechtigte dürfte dann zur Vermeidung eines Verfalls seiner bereits gevesteten Optionsrechte vor einem ungewissen Ausübungsereignis (z.B. Veräußerung oder Börsengang) oder der in dem ESOP-Programm enthaltenen Maximalfrist von 15 Jahren sein Kündigungsrecht nicht ausüben. Diese Beteiligungschance hat sich der Arbeitnehmer bereits durch die erbrachte Arbeitsleistung erdient.
Auch die weitere streitige ESOP-Klausel, nach welcher gevestete Optionen sukzessive nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, benachteiligt den ausscheidenden Arbeitnehmer unangemessen nach § 307 BGB. Der sukzessive Verfall darf in keinem unangemessenen Verhältnis zur Dauer der im Arbeitsverhältnis verbrachten Vesting-Periode stehen. Dies bejaht das BAG hier, da die virtuellen Optionen doppelt so schnell abgeschmolzen (de-vesting) wurden, wie sie zuvor erworben wurde. Mit dieser Formulierung lässt das BAG aber die Vermutung zu, dass eine Klausel, die einen graduellen Verfall entsprechend der ursprünglichen Vesting-Periode vorsieht, einer Überprüfung durch die Gerichte standhalten könnte.
Praxishinweise
Durch die neuen Vorgaben des BAG ist der Einsatz bisher üblicher Regelungen zu Verfall und De-Vesting in ESOP-Programmen so nicht mehr zulässig. Bestehende Programme müssen nun schnellstmöglich überprüft und an die veränderte Rechtsprechung des BAG angepasst werden. Hier bedarf es maßgeschneiderter, rechtssicherer Lösungen. Besondere Vorsicht ist dann geboten, wenn virtuelle Optionen nach dem Ausscheiden früherer Berechtigter erneut vergeben wurden und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG nun möglicherweise mehrfache Ansprüche verschiedener Berechtigter begründen. Dies gilt umso mehr, wenn ein ESOP-Programm etwa (mit erneut vergebenen Optionen) bereits voll ausgeschöpft wurde.
Für die Praxis ebenfalls entscheidend ist, dass das BAG die ESOP-Klauseln als AGB qualifiziert und ihre Wirksamkeit einer AGB-Kontrolle unterzogen hat. Die bisher gängige Praxis, den Verfall gevesteter Optionen an das Ausscheiden des Arbeitnehmers zu knüpfen, ist also nicht mehr haltbar, wenn solche Klauseln im Rahmen von AGB verwendet werden. Das BAG lässt aber offen, ob individuell ausgehandelte Vereinbarungen weiterhin strengere Verfallsregelungen vorsehen können. Die Begründung individueller Regelungen im Rahmen der üblicherweise breit geltenden ESOP-Programme dürfte aber zumindest sehr herausfordernd sein.
Im Übrigen wird man zwischen gevesteten und ungevesteten Optionen unterscheiden müssen. Die Entscheidung macht deutlich, dass nur ungevestete Optionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (nach wie vor) ohne weiteres verfallen dürfen. Dies ist insbesondere auch im Rahmen der Cap-Table von Start-ups zu berücksichtigen – hier dürfte es vielfach Korrekturbedarf geben.
Hinzu kommt, dass künftig stärker auf angemessene Verfallfristen geachtet werden muss. Dem beschleunigten De-Vesting hat das BAG mit seiner Entscheidung eine klare Absage erteilt. Dies lässt jedoch zumindest als Vermutung den Umkehrschluss zu, dass für bereits gevestete Optionen eine Verfallsfrist vorgesehen werden kann, die der Vesting-Periode entspricht.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil auch Auswirkungen auf bereits ausgeschiedene Berechtigte haben kann. Bereits bestehende Mitarbeiterbeteiligungsprogramme mit unwirksamen Verfallklauseln bergen das Risiko, dass bereits ausgeschiedene Berechtigte ihre Ansprüche aufrechterhalten können und nun vermehrt auf die früheren Arbeitgeber mit entsprechenden Ansprüchen zugehen.
(BAG Urt. v. 19.03.2025 – 10 AZR 67/24)

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