Dezember 2025 Blog

Straßenverkehr-Fernlenk-Verordnung: Der neue Rechtsrahmen für Remote Driving seit dem 1. Dezember 2025 in Kraft

Mit der zum 1. Dezember 2025 in Kraft getretenen Straßenverkehr-Fernlenk-Verordnung (StVFernLV) hat der Gesetzgeber erstmals einen klaren und umfassenden Rechtsrahmen für den Einsatz ferngelenkter Kraftfahrzeuge der Klassen M und N im öffentlichen Straßenverkehr geschaffen. Die Verordnung regelt zentrale Aspekte wie Zulassung, Betrieb, technische Anforderungen, Personal und behördliche Aufsicht. Damit eröffnet sie konkrete Perspektiven für Remote-Driving-Anwendungen – sowohl in der Automobilindustrie als auch in Transport- und Logistikprozessen.

Für Hersteller, Betreiber, Flotten und Infrastrukturanbieter entsteht ein eng verzahntes Pflichtenprogramm, das frühzeitig und interdisziplinär umgesetzt werden sollte. Ergänzend sind arbeits- und sicherheitsrechtliche Anforderungen an den Betrieb sowie die Organisation von Leitständen zu berücksichtigen.

Anwendungsbereich, Grundprinzipien und Rollen

Die StVFernLV gilt für Fahrzeuge, die nicht vom Fahrer im Fahrzeug selbst, sondern von einer außerhalb befindlichen Person über technische Systeme gesteuert werden.

Zentrale Elemente sind das Zusammenspiel eines ortsfesten Leitstandes, der Daten- und Steuerverbindungen sowie der im Fahrzeug verbauten Komponenten. Während des Fernlenkens gilt die fernlenkende Person rechtlich als Fahrzeugführer.

Die Verordnung greift nicht in bestehende Regelungen zu hochautomatisierten Fahrfunktionen nach dem Straßenverkehrsgesetz ein, sondern konzentriert sich auf das manuell-ferngelenkte Fahren. Zuständig für Betriebserlaubnisse und Marktüberwachung ist primär das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), während die Genehmigung des konkreten Betriebsbereichs den nach Landesrecht zuständigen Behörden obliegt.

Doppeltes Genehmigungssystem: Fahrzeug-Betriebserlaubnis und Betriebsbereichsgenehmigung

Der Betrieb ferngelenkter Fahrzeuge ist nur zulässig, wenn kumulativ eine Betriebserlaubnis des KBA für das konkrete ferngelenkte Fahrzeug sowie eine gesonderte Betriebsbereichsgenehmigung der zuständigen Landesbehörde vorliegen.

Für die KBA-Betriebserlaubnis müssen unter anderem folgende Nachweise erbracht werden:

  • ein Sicherheitskonzept zur funktionalen Sicherheit (unter Bezug auf ISO 26262 und ISO 21448),
  • Reparatur- und Wartungsinformationen,
  • ein IT-Sicherheitskonzept sowie
  • die Einhaltung umfangreicher technischer Anforderungen, insbesondere zu Latenz, Redundanz, Sichtfeldern, Notfallfunktionen und Datenspeicherung.

Die Betriebsbereichsgenehmigung setzt zusätzlich die Eignung der vorgesehenen Streckenabschnitte voraus – einschließlich dokumentierter Netzabdeckung und infrastruktureller Besonderheiten. Sie kann mit Auflagen verbunden sein, etwa dem Einsatz eines temporären Sicherheitsfahrers oder Einschränkungen bei der Personen- und Güterbeförderung.

Technische Mindeststandards: Latenz, Sicht, Assistenzsysteme und Funk

Herzstück der technischen Anforderungen sind strikte Vorgaben zur Datenübertragung zwischen Fahrzeug und Leitstand. Die Latenz für Glas-zu-Glas-Darstellung und Steuerbefehle darf insgesamt 0,2 Sekunden nicht überschreiten. Kommt es zu Verzögerungen, müssen automatische Risiko- und Geschwindigkeitsanpassungen greifen, die dem Remote-Operator im Leitstand angezeigt werden.

Für die visuelle Umgebungserfassung gelten präzise Sichtfeldstandards nach UNECE-Regelwerken, ergänzt um Anforderungen für rückwärtige und indirekte Sicht sowie – falls erforderlich – die schematische Darstellung der Fahrzeugabmessungen. Ferngelenkte Fahrzeuge müssen zwingend mit einem Notbremsassistenzsystem ausgestattet sein. Bei Autobahnbetrieb ist zusätzlich ein Spurhalteassistenzsystem vorgeschrieben.

Bei Leitungsabbrüchen oder sicherheitsrelevanten Ausfällen muss das Fahrzeug selbstständig einen risikominimalen Zustand herstellen. Funkverbindungen sind redundant, nach dem Stand der Technik verschlüsselt und über eine Public-Key-Infrastruktur abgesichert. Kritische Verbindungsabbrüche oder unbefugte Zugriffe lösen ebenfalls den risikominimalen Zustand aus.

Leitstand und Remote-Operator: Organisation, Eignung und Schulung

Der Leitstand muss ortsfest eingerichtet sein und die Fahrtüchtigkeit sowie die Aufmerksamkeit der fernlenkenden Person kontinuierlich überwachen. Er hat eine ganzheitliche, latenzoptimierte Wahrnehmung der Fahrzeugumgebung zu ermöglichen – einschließlich akustischer Signale.

Die Höchstgeschwindigkeit ferngelenkter Fahrzeuge ist auf 80 km/h begrenzt. Fernlenkende Personen müssen mindestens 21 Jahre alt sein, seit mindestens drei Jahren eine gültige Fahrerlaubnis aus der EU, dem EWR oder der Schweiz besitzen und bestimmte körperliche, geistige sowie Seh- und Höranforderungen erfüllen, die teilweise an die Regeln für die Fahrgastbeförderung angelehnt sind.

Obligatorisch ist eine umfassende Schulung durch den Fahrzeughalter. Diese umfasst technisches Systemwissen, Latenzkompensation, Kommunikation, Umfeldbedingungen und Sicherheitsprüfungen. Zusätzlich gelten strenge Einsatzregeln: keine gleichzeitige Steuerung mehrerer Fahrzeuge, Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten sowie ein Verbot des Gefahrguttransports.

Betreiber- und Herstellerpflichten: Qualität, Wartung, Dokumentation

Hersteller der Fernlenkausrüstung sind verpflichtet, Sicherheits- und IT-Konzepte zu entwickeln und dem Fahrzeughalter bereitzustellen.

Flottenbetreiber bzw. Halter tragen die Verantwortung für die Wartung, die Qualität der Dokumentation nach ISO 9001, tägliche erweiterte Abfahrkontrollen, halbjährliche Hauptuntersuchungen sowie für die Qualifikation und Überwachung des eingesetzten Personals. Zudem müssen alle sonstigen Verkehrsvorschriften eingehalten werden.

Der Halter darf ausschließlich ausreichend geschulte, geeignete und handlungssichere Remote-Operator einsetzen. Deren Eignung ist fortlaufend zu prüfen, zu dokumentieren und durch regelmäßige Fortbildungen sicherzustellen. Änderungen am Gesamtsystem sind dem KBA anzuzeigen. Außerdem muss der Zugriff auf relevante Daten für Aufsichts- und Gefahrenabwehrbehörden jederzeit gewährleistet sein.

Datenverarbeitung und Aufsicht: Speichern, Übermitteln, Forschen

Beim ferngelenkten Betrieb müssen definierte Datensätze gespeichert werden. Dazu gehören Positions- und Fahrzustandsdaten, Latenz- und Vernetzungsparameter, die Auslösung von Not- und Assistenzsystemen sowie Ereignisse wie Störungen, Konfliktszenarien und die Einleitung des risikominimalen Zustands. Für bestimmte Ereignisse ist eine Vor- und Nachlaufaufzeichnung von jeweils 10 Sekunden vorgeschrieben; diese Daten sind dem KBA unverzüglich zu übermitteln.

Nicht-personenbezogene Daten können zu Forschungszwecken für das Gemeinwohl zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus müssen Halter im Rahmen eines wissenschaftlich unabhängigen Forschungsvorhabens die Auswirkungen des Fernlenkbetriebs auf Verkehrssicherheit, die Arbeit der Operatoren und den Regulierungszweck evaluieren und regelmäßig berichten.

Das KBA überwacht den Markt und kann bei Bedarf Betriebserlaubnisse widerrufen oder deren Ruhen anordnen.

Übergang, Laufzeit und Ausnahmen

Bis zum 31. Dezember 2026 können weiterhin Ausnahmegenehmigungen nach § 70 StVZO erteilt werden. Danach hat die StVFernLV Vorrang. Die Verordnung tritt mit Ablauf des 30. November 2030 außer Kraft. Für bestimmte hoheitliche Einsätze – etwa bei Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr oder im Katastrophenschutz – gelten Ausnahmen, soweit dies zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben erforderlich ist.

Praktische Auswirkungen für Industrie und Logistik

Für Fahrzeughersteller und Systemlieferanten verschiebt die Verordnung den Innovationsfokus auf die Integration fernlenkfähiger Fahrzeugplattformen, die Entwicklung von HMI-/HUD-Konzepten für Leitstände sowie hochverfügbare, latenzarme Kommunikationsarchitekturen. Im Rahmen der Homologation müssen funktionale Sicherheit, Safety-of-the-Intended-Function, Cybersecurity und Sichtfeldanforderungen konsistent nachgewiesen werden. Zulieferer sollten zudem PKI- und Schlüsselmanagement, Sensorik-Redundanz, Notfalllogiken und Assistenzsysteme so auslegen, dass regulatorische Gleichwertigkeitsnachweise erbracht werden können. Begleitend sind Test- und Nachweisstrategien für Betriebsbereichsszenarien und Latenzrobustheit entscheidend.

Für Flottenbetreiber, Depot- und Hub-Betreiber sowie die Werkslogistik eröffnen sich neue Einsatzszenarien: etwa ferngelenkte Hof- und Werksverkehre mit Übergang in öffentliche Betriebsbereiche, Shuttle-Verkehre mit 80-km/h-Korridoren oder nächtliche Verlagerungen auf definierten Routen. Der wirtschaftliche Hebel liegt in höherer Verfügbarkeit, neuer Schichtlogik für Remote-Operator und optimierter Disposition – flankiert von strengen Governance-Anforderungen. Zentral sind die frühzeitige Ausarbeitung genehmigungsfähiger Betriebsbereiche, eine verlässliche Mobilfunkversorgung mit Redundanzen, die Schulung und Einsatzplanung der Remote-Operator unter Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten sowie die Anpassung der Versicherungsdeckung, die ausdrücklich die Haftpflicht der fernlenkenden Person umfassen muss.

Arbeitsschutz, Prävention und Organisation

Ferngelenkte Fahrzeuge müssen nicht nur verkehrs- und zulassungsrechtlich, sondern auch arbeits- und sicherheitsrechtlich sauber implementiert werden. Im Mittelpunkt stehen eine belastbare Gefährdungsbeurteilung für Leitstände und Fahrzeugbetrieb, angepasste Betriebsanweisungen, regelmäßige Unterweisungen und klar definierte Notfallketten. Ebenso wichtig sind ergonomische und psychophysiologische Aspekte des Leitstandarbeitsplatzes – etwa die Vermeidung von Ermüdung, die Sicherstellung der Aufmerksamkeit und der Umgang mit Phänomenen wie „Cyberkrankheit“.

Besondere Aufmerksamkeit erfordern technische Not-Aus-Einrichtungen, eine verlässliche Kommunikation mit Einsatz- und Rettungskräften sowie eine klare Rollen- und Verantwortungszuordnung im Betrieb. Auch die Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten im Remote-Kontext ist zwingend. Unternehmen in Transport und Logistik sollten diese arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen parallel zu den Genehmigungsverfahren konsequent umsetzen.

Handlungsempfehlungen und Fazit

Fahrzeughersteller sollten ihre Entwicklungs- und Homologationsprozesse frühzeitig an die technischen Anforderungen der StVFernLV anpassen. Besonders wichtig sind Nachweise zu Latenz und Sichtfeldern, eine robuste Cybersecurity-Architektur sowie die Integration von Assistenzsystemen.

Für Transport- und Logistikdienstleister empfiehlt sich ein zweistufiges Vorgehen:

  • Technische und organisatorische Befähigung – Einrichtung des Leitstands, Aufbau einer zuverlässigen Kommunikationsinfrastruktur, ISO-9001-konforme Dokumentation, Schulungscurricula und Anpassung der Versicherungen.
  • Regulatorische Operationalisierung – Beantragung der KBA-Betriebserlaubnis, Erstellung des Betriebsbereichsdossiers nach Anlage 2 mit Netzabdeckungs- und Infrastrukturerhebung sowie Abstimmung mit den zuständigen Behörden.

Querschnittlich müssen Datenschutz- und Datennutzungskonzepte verbindlich etabliert werden, einschließlich Ereignisdatenmanagement und klarer Meldeketten.

Die neue Verordnung eröffnet erhebliche Spielräume – verlangt aber zugleich eine disziplinierte Umsetzung entlang klar definierter technischer, organisatorischer und rechtlicher Vorgaben. Wer frühzeitig die Schnittstellen zwischen Technik, Compliance, Arbeitsschutz und Betrieb schließt, kann ferngelenkte Mobilität sicher, rechtskonform und skalierbar in die Wertschöpfung integrieren.

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