Sittenwidrige Schädigung durch vorsätzliche Insolvenzverschleppung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein Geschäftsleiter wegen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gegenüber Gesellschaftsgläubigern haften kann, wenn er die Insolvenzreife der Gesellschaft erkennt, ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft aber so lange wie möglich hinauszögert und dabei die Schädigung Dritter, insbesondere Unternehmensgläubiger, billigend in Kauf nimmt.
Hintergrund
Ein Geschäftsleiter ist zur Insolvenzanmeldung nach § 15a InsO im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft verpflichtet. Allerdings kann auch einem Dritten, dem ein konkreter Schaden durch die Fortführung des insolventen Unternehmens entsteht, ein Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsleiter unter dem Gesichtspunkt einer Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO oder aber wegen sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB zustehen.
Die Entscheidung des BGH
Im Streitfall beauftragte der Kläger eine GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit Fassadenarbeiten. Wegen werkvertraglicher Mängel leitete der Kläger sodann zunächst ein selbstständiges Beweisverfahren gegen die GmbH ein. Während dieses Beweisverfahrens wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Der Insolvenzverwalter lehnte später die Kostentragung für den Sachverständigen im selbstständigen Beweisverfahren ab. Daraufhin nahm der Kläger den Beklagten auf Ersatz der für das Beweisverfahren aufgewendeten Gerichts-, Rechtsanwalts- und Sachverständigenkosten persönlich in Anspruch. Nach Ansicht des Klägers – und den Feststellungen der Vorinstanzen – habe sich der Beklagte einer vorsätzlichen Insolvenzverschleppung schuldig gemacht und hafte dem Kläger daher auf Schadensersatz. Die Gesellschaft sei bereits über ein Jahr vor Insolvenzantragstellung zahlungsunfähig gewesen; in diesem Zeitraum erfolgten insgesamt fünf Zwangsvollstreckungsaufträge verschiedener Gläubiger gegen die Gesellschaft. Gegen den Beklagten erging ferner ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Hätte der Beklagte rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt, hätte der Kläger das Beweisverfahren gar nicht erst angestrengt.
Der BGH gab der Klage statt und stützte den Schadensersatzanspruch – anders als die Vorinstanzen –auf § 826 BGB. Die Fortführung des Geschäftsbetriebes musste zwangsläufig zu Schädigungen der Gläubiger, deren Forderungen jedenfalls nicht mehr vollständig beglichen werden konnten, führen. Diese – offensichtliche – Schädigung habe der Beklagte in Kenntnis der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit zumindest billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich hinsichtlich des Schadenseintrittes gehandelt. Dies begründe, so der BGH, in der Folge dann nicht nur einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, sondern sogar eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. Eine konkrete Kenntnis über die Anzahl der betroffenen Personen benötige der handelnde Geschäftsleiter nicht. Umstände, die das Indiz der Sittenwidrigkeit entkräften, habe der Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen.
Der BGH bestätigt damit seine Rechtsprechung, dazu, dass eine vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, ein Insolvenzverfahren so lange wie möglich hinauszuzögern, den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i. S. des § 826 BGB erfüllen kann, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2007 –VI ZR 231/06 Rn. 15). Mit dem Urteil ergänzt der BGH ferner seine Rechtsprechung zum Ersatz von (Rechtsverfolgungs)Kosten, die einem Gläubiger, der nach Insolvenzreife mit der Gesellschaft kontrahiert hat, wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die Gesellschaft entstanden sind (zuletzt: BGH Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, Rn. 23 f).
Auswirkungen für die Praxis
Nach dem Urteil des BGH sind auch Rechtsverfolgungskosten im Rahmen eines Prozesses nach § 826 BGB ersatzfähig. Gläubiger sollen davor geschützt werden, sich mit Kosten zu belasten, die wegen der unerkannten Insolvenz der Gesellschaft nicht mehr realisiert werden können. Ein konkreter Grund, weshalb der BGH den Ersatzanspruch des Klägers vorliegend auf § 826 BGB und nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO stützt, ist aber nicht ersichtlich. Im vorliegenden Fall sind die Tatbestandsvoraussetzungen beider Normen offensichtlich erfüllt. Die Rechtsverfolgungskosten im Prozess sind daher wohl auch nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 15a InsO ersatzfähig (so auch die Vorinstanzen).
Ohnehin aber gibt es in der Praxis nur sehr selten Fälle, in denen derart konkrete Anhaltspunkte wie in dem vom BGH entschiedenen Fall für ein leichtfertiges Handeln des Geschäftsleiters vorliegen. Eine eventuell bestehende D&O Versicherung wird sich in entsprechend eindeutigen Fällen voraussichtlich auf Leistungsausschluss wegen Wissentlichkeit berufen.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.07.2021 – II ZR 164/20)
Lena Biendl, Rechtsanwältin
München